Altafrikanische Kulturen

 

Armut und Rückständigkeit, Hunger und Not, Gewalt und Krieg – für all das ist Afrika heute Inbegriff. Kaum zu glauben, dass ausgerechnet dort die Wiege der Menschheit gestanden haben soll und von dort bahnbrechende kulturelle Entwicklungen ihren Ausgang genommen haben.

Jedes Kind hat wahrscheinlich schon vom Reich der Pharaonen in Ägypten gehört. Dagegen sind sogar den allermeisten Erwachsenen die Königreiche von Aksum und Kusch, von Kanem-Bornu oder von Bunyoro keine Begriffe. Doch zeigen alle diese Königreiche, dass es auf dem „Schwarzen Kontinent” sehr hoch entwickelte Kulturen gab, ehe der „weiße Mann” kam, und zwar auch südlich der Wüste Sahara. Es ist ein Irrglaube, dass in Afrika nur verstreut lebende Wilde in primitiven Strohhütten hausten, bevor ihnen die europäischen Kolonialherren die Zivilisation brachten. Im Gegenteil: legendäre Städte wie Aksum oder Meroë standen bereits in voller Blüte, als es in weiten Teilen Europas entweder überhaupt noch keine Städte gab oder die Städte, die es gab, nur Ansammlungen recht armseliger Hütten waren.

VON EUROPA UNBEACHTET

Die afrikanischen Kulturen blieben, abgesehen von der ägyptischen, lange Zeit in Europa unbekannt, besser gesagt: unbeachtet. Dabei erzählen uns die Ruinen von einst beeindruckenden Bauwerken sowie die mündlichen Überlieferungen und Aufzeichnungen von Reisenden von vielfältigen, alten afrikanischen Kulturen. Denn genauso verschiedenartig wie der riesige Kontinent Afrika selbst sind auch seine Königreiche und Hochkulturen. Da gab es kleine Stadtstaaten an der Ostküste Afrikas und riesige Reiche wie Mali am Fluss Niger im Westen. Es gab muslimische Herrscher wie Kankan Musa, der quer durch den Kontinent nach Mekka pilgerte, und christliche Reiche, wie Äthiopien, das seine Mönche bis ins entfernte Jerusalem schickte. Der Fernhandel spielte für die meisten altafrikanischen Kulturen eine wichtige Rolle. Die bedeutendsten Güter waren Gold und Sklaven, die von Karawanen durch die Sahara nach Norden gebracht wurden. Man hat aber auch Porzellan aus China und Perlen aus Indien in den Ruinen von afrikanischen Handelsstätten entdeckt. Vor allem der muslimische Gelehrte Ibn Battuta (1304-1369) lernte auf seinen Reisen durch Afrika viele Städte und Völker kennen und hat davon in seinem Buch Rihlah (Reisen) berichtet. Einige altafrikanische Kulturen wollen wir näher betrachten.

KUSCH

Das antike Königreich Kusch in Nubien, am Nil südlich von Ägypten gelegen, erlebte seinen Aufstieg vermutlich schon im 16. Jahrhundert v. Chr. Es brachte eine eigenständige Kultur hervor, die von den benachbarten alten Ägyptern beeinflusst war. Kusch wurde so mächtig, dass es im 8. Jahrhundert v. Chr. sogar wagte, Ägypten zu erobern, und stellte dort von 715 bis 664 v. Chr. den Pharao. Bedeutendster Herrscher aus der Reihe der Kuschiten, wie die Herrscher aus Kusch hießen, war Taharka der Große, der etwa von 690 bis 664 v. Chr. Ägypten regierte. Kuschs Macht und Reichtum gründeten auf Verarbeitung und Verkauf von Eisen. Einen Eindruck von Kuschs Größe vermitteln heute noch die Überreste von Tempelanlagen, Palästen und Pyramiden, an denen der ägyptische Einfluss deutlich wird. Um das Jahr 350 n. Chr. wurde Meroë, die prächtige Hauptstadt des Reiches, von den benachbarten Aksumiden zerstört.

AKSUM

Das Königreich Aksum, im Norden des heutigen Äthiopien und südlich des antiken Kusch gelegen, wurde im 2. Jahrhundert v. Chr. gegründet. Die Aksumiden waren Nachfahren semitischer Stämme aus dem Königreich Saba im Südwesten der Arabischen Halbinsel und waren im 1. Jahrtausend v. Chr. über das Rote Meer nach Afrika gekommen. Im Königreich Aksum regierte die Herrscherfamilie der Salomoniden, die ihre Herkunft auf den biblischen König Salomo und die Königin von Saba zurückführten. König Ezana trat im 4. Jahrhundert n. Chr. zum Christentum über und verwandelte sein Reich in einen der ersten christlichen Staaten der Welt. Damals stand es auf einer Stufe mit den Reichen Persien, China und Rom und unterhielt ausgezeichnete Handelsbeziehungen mit der griechisch-römischen Welt und mit Indien. Ab dem 8. Jahrhundert begann das Reich zu zerfallen. Doch noch während der Zeit der Kreuzzüge im 12./13. Jahrhundert suchten christliche Kreuzritter dort Verbündete für ihren Kampf gegen die Muslime im Heiligen Land.

Ein christliches Reich in Afrika
Äthiopien, früher auch Abessinien genannt, ist der Nachfolger des frühchristlichen Reiches Aksum. In Äthiopien setzte sich schon bald die koptische Kirche durch, die christliche Kirche Ägyptens. Als einziges afrikanisches Land konnte das äthiopische Reich seine Unabhängigkeit gegenüber den europäischen Kolonialmächten bewahren. Nur in den Jahren 1935 bis 1941 stand Äthiopien unter italienischer Fremdherrschaft. Berühmt wurde der damalige äthiopische Kaiser Haile Selassie I. (1892-1975) durch seine Rede vor dem Völkerbund 1936, in der er gegen die Besetzung seines Landes protestierte. Heute ist Äthiopien ein von Krieg und Hungersnot gebeuteltes Land.

KANEM-BORNU

Während Aksum zerfiel, erlebte das Reich Kanem-Bornu seinen Aufstieg. Es lag ein ganzes Stück weiter westlich am Südrand der Sahara um den Tschadsee. Sein Wohlstand gründete auf dem Karawanen- und Sklavenhandel durch die Sahara. Von Anfang an stand der Staat unter dem Einfluss des Islam; im 11. Jahrhundert wurde er Staatsreligion. Durch Eroberungen wurde das Reich während der folgenden Jahrhunderte nach Westen, Osten und Norden ausgedehnt. Besonders unter König Idris Alaoma, der ab 1571 herrschte und von den Osmanen in Nordafrika Feuerwaffen erworben hatte, wuchs das Reich gewaltig. Es verfügte nun über eine riesige Armee, die sich aus rund 100 000 Reitern und doppelt so vielen Fußsoldaten zusammensetzte. Abhängige Stämme mussten Abgaben zahlen. Der Zerfall des Reiches begann im 18. Jahrhundert, zum Teil unter dem Druck des Volkes der Fulbe, das aus dem Westen in das Reich eindrang. Das Königreich Kanem-Bornu gehörte zu seiner Zeit neben den Reichen von Mali und Songhai zu den größten Herrschaftsgebieten in Afrika.

GHANA

Das Königreich Ghana in Westafrika wird zum ersten Mal im 8. Jahrhundert erwähnt. Seine Armeen, die mit Eisenwaffen ausgerüstet waren, machten das Reich ab dem 11. Jahrhundert zum Beherrscher der Handelswege, die sich vom Gebiet des heutigen Marokko im Norden nach Süden bis in die Küstenwälder Westafrikas erstreckten. Der Reichtum Ghanas gründete vor allem auf dem Handel mit Gold aus dem Süden, das gegen Waren aus dem muslimischen Nordafrika eingetauscht wurde. Die Hauptstadt des Königreiches war Kumbi Saleh. Der schärfste Widersacher Ghanas war der muslimische Berberstamm der Sahanjas. Weil sich Ghana dem Islam verweigerte, fielen die Sahanjas zur Strafe 1076 in Ghana ein. Das war der Anfang vom Ende des Königreiches Ghana. 1240 wurde die Hauptstadt Kumbi Saleh von Sundiata Keita, dem Herrscher des benachbarten Kleinstaates Kangaba, zerstört.

MALI

Sundiata Keita (um 1210 bis ca. 1260) gilt als der Gründer und erste Herrscher des Reiches Mali. Seine Nachfolger dehnten das Reich immer weiter aus, bis es sich schließlich im Westen bis zum Atlantik erstreckte, im Süden über die goldreichen Länder der Bundu und Bambuk, im Osten über den Niger und im Norden hinein in die Sahara, wo es reiche Salz- und Kupfervorkommen gab. im 13. und 14. Jahrhundert war Mali der größte und reichste Staat Afrikas südlich der Sahara. Zu dieser Zeit war das Reich ein freiwilliger Zusammenschluss der drei unabhängigen Staaten Mali, Mema und Wagadou, die zusammen zwölf weitere Provinzen besetzt hielten. In den Jahren 1324/25 unternahm König Kankan Musa eine prachtvolle Pilgerreise nach Mekka, die nicht nur unter den Muslimen großes Aufsehen erregte, sondern die Größe und den Reichtum Malis auch in Europa bekannt werden ließen. Das sagenhafte Timbuktu wurde unter Kankan Musa zur Hauptstadt des Reiches. In den folgenden Jahrzehnten schwächten Machtkämpfe das Reich. Dies nutzten unterdrückte Völker, um gegen die Herrscher von Mali zu rebellieren.

Ein spendabler Herrscher
Kankan Musa regierte das westafrikanische Reich Mali von 1312 bis 1337. Zu dieser Zeit war Mali der größte und wohlhabendste Staat in Afrika südlich der Sahara. Der Muslim Kankan Musa ist uns heute vor allem wegen seiner Pilgerreise ins fast 3 000 Kilometer entfernte Mekka im Jahr 1324/25 bekannt. Auf dieser Reise soll er von Hunderten von Dienern begleitet worden sein sowie von 60 000 Trägern und zahlreichen Kamelen, die Proviant und wertvolle Geschenke durch die Wüste schleppten. Während eines Zwischenstopps in Kairo machte Kankan Musa durch seinen verschwenderischen Lebensstil von sich reden und dadurch, dass er unglaubliche Mengen Gold an seine Gastgeber verschenkte. Durch seinen Prunk und seine Freigebigkeit fiel Kankan Musa u. a. Kaufleuten aus Venedig auf, die sich ebenfalls in Kairo aufhielten. Durch sie und durch Berichte des arabischen Gelehrten Ibn Battuta wissen wir heute von dem spendablen Herrscher.

SONGHAI

Die Songhai, deren Zentrum die Stadt Gao am Niger war, konnten sich als eines der ersten Völker des Reiches Mali die Unabhängigkeit erkämpfen. Unter der Herrschaft von Sonni Ali (gestorben 1492) brachten sie im Lauf des 15. Jahrhunderts ihrerseits einen Großteil von Mali unter ihre Herrschaft. Alis Nachfolger, Askia Mohammed, erweiterte den Machtbereich und eroberte Timbuktu, das sich unter seiner Herrschaft zu einem Zentrum muslimischer Gelehrsamkeit und einem wirtschaftlichen Mittelpunkt entwickelte. Nach seinem Tod entbrannten jedoch erneut Machtkämpfe, die zusammen mit Aufständen und Überfällen aus den angrenzenden Staaten das Reich schwächten. Vom Reichtum angezogen, eroberten Armeen aus Marokko im Jahr 1591 Gao und beendeten die Vorherrschaft der Songhai.

KONGO

Noch weniger bekannt als die Staaten, die sich unmittelbar südlich der Sahara gebildet hatten, sind die zentralafrikanischen Reiche. In der Savanne des Kongo, südlich des tropischen Regenwaldes, gründeten bantusprachige Völker zu Beginn des 9. Jahrhunderts landwirtschaftliche Gemeinschaften. Kongo war das größte der drei benachbarten Königreiche Tio, Loango und Kongo, die seit dem 13. Jahrhundert aus mehreren kleinen Stammesherrschaften am Unterlauf des Flusses Kongo zusammengewachsen waren. Es erstreckte sich von der Flussmündung bis nach Luanda im Süden und von der Küste bis zum Fluss Kwango im Osten und hatte etwa eine halbe Million Einwohner. Hauptstadt des Reiches war Mbanza. Kongos Wohlstand gründete auf der Arbeit von Sklaven, die sie auch weiterverkauften. 1482 landeten portugiesische Seefahrer in Kongo. Sie führten das Christentum ein und nahmen den Sklavenhandel in ihre Hand. Ein Bürgerkrieg zwischen christlichen und nichtchristlichen Kongo-Stämmen schwächte das Reich, so dass die Portugiesen leichtes Spiel hatten, es unter ihre Kontrolle zu bringen. Um 1700 war das Reich zerfallen.

BUNYORO UND BUGANDA

Eines der größten Reiche in Ostafrika war das Königreich Bunyoro im heutigen Uganda. Es wurde im 15. Jahrhundert von Eindringlingen gegründet, die aus dem Norden, vom Nil her kamen. Diese waren Rinderzüchter und setzten sich gegen die eingeborenen Nyoro durch, die Ackerbau betrieben. Regiert wurde Bunyoro von einem Herrscher, der zugleich als Gott verehrt wurde. Er hatte keinen festen Regierungssitz, sondern zog regelmäßig von einem Teil seines Königreiches zum anderen.

Nach 1800 wurde das Königreich Bunyoro als mächtigster Staat in der Region von dem im Süden angrenzenden Buganda abgelöst. Die Bevölkerung dieses Königreiches setzte sich aus den Völkern der Hima, Bantu und Luo zusammen; seine Hauptstadt war Kampala am Nordufer des Victoriasees. Für seine wirtschaftliche Blüte sorgte der Handel mit Elfenbein. Ab 1860 verbreitete sich zunächst der Islam in Buganda. Knapp 20 Jahre später folgten christliche Missionare, die das Reich für europäische Einflüsse öffneten. Verschiedene Abenteurer und Kolonisten ließen nicht lange auf sich warten.

Über das Schicksal des Königreiches Buganda wie auch über das Schicksal des größten Teils von Afrika wurde nun in Europa entschieden. Die europäischen Kolonialmächte, allen voran Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Belgien, teilten Afrika wie einen Kuchen unter sich auf. 1894 übernahmen die Briten offiziell die „Schutzherrschaft” über das Gebiet, in dem auch Buganda lag.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)