Bürgerkrieg

 

James war erst acht Jahre alt, als ihn die Soldaten zusammen mit 175 anderen Kindern aus seinem Dorf holten und in ein Lager im Busch brachten. Schauplatz war Liberia, ein Land in Westafrika, in dem seit Jahren ein Bürgerkrieg tobte. Drei Monate lang wurden die Kinder nun in dem Lager bis zum Umfallen gedrillt und zu Kindersoldaten gemacht. Man schoss ihnen über die Köpfe, während sie unter Stacheldrahtnetzen durchrobbten. Sie lernten sich lautlos zu bewegen und auf alle möglichen Weisen zu töten. Damit sie ihre Hemmungen und ihre Angst verloren, gab man ihnen Drogen.

Die Zahl der Kindersoldaten, die an den zahlreichen Bürgerkriegen auf der Welt beteiligt sind, wächst von Jahr zu Jahr. Sie kämpfen an vorderster Front oder werden als Spione eingesetzt. Die Buben und Mädchen sind leicht zu beeinflussen. Sie halten das alles für ein Spiel, denn sie verstehen den Sinn des Krieges noch nicht.

MORDEN OHNE REGELN

Ein „echter” Krieg wird zwischen den Streitkräften von zwei oder mehr Staaten ausgefochten und unterliegt bestimmten Regeln und Gesetzen. Ein Bürgerkrieg dagegen ist eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Gruppen von Menschen innerhalb eines Staates oder eines gemeinsamen Gebietes. Bürgerkriege gehorchen keinen Regeln und keinem Kriegsrecht. Sie werden deshalb meist mit äußerster Brutalität und Heimtücke geführt.

Mehr noch als bei Kriegen zwischen verschiedenen Staaten sind die Hauptleidtragenden in Bürgerkriegen unschuldige Zivilisten – all jene also, die an den Kämpfen gar nicht beteiligt sind. Die hohe Zahl ziviler, nichtmilitärischer Opfer erklärt sich auch daraus, dass sich Bürgerkriege für gewöhnlich über äußerst lange Zeiträume hinziehen. Häufigste Ursachen für Bürgerkriege sind: Macht- und Gewinnstreben, unterschiedliche Weltanschauungen und Religionen, Neid, Hass oder Feindschaft gegenüber einer anderen Volksgruppe, Ungerechtigkeit und Unterdrückung, Wunsch nach kultureller oder staatlicher Eigenständigkeit.

Bürgerkriege in der Geschichte
Bürgerkriege hat es bereits in der Antike gegeben, beispielsweise im Römischen Reich, wo sich zwischen 133 und 27 v. Chr. zwei Gruppierungen um die Neugestaltung des Staates bzw. um die Macht im Staat stritten. Nach der Reformation im 16. Jahrhundert tobten fast 150 Jahre lang erbitterte Religionskriege in Europa, die nicht selten in Form von Bürgerkriegen ausgefochten wurden. Dazu gehören z. B. die Hugenottenkriege (1562-1598) in Frankreich. Berühmt ist auch der so genannte Sezessionskrieg (1861-1865) in den USA, in dem sich einige Südstaaten, die von Plantagenwirtschaft und Sklaverei lebten, aus der Union mit den industrialisierten Nordstaaten der USA lösen wollten. Und im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) kämpften Republikaner gegen Rechtsgerichtete um die Macht im Staat.

UNRUHEHERD DRITTE WELT

Auf der Erde gibt es mindestens 50 Gebiete, in denen regelmäßig Bürgerkriege oder bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Die Mehrzahl dieser Gebiete liegt in der so genannten Dritten Welt, also in Entwicklungsländern Afrikas, Asiens und Südamerikas. Allein im Jahr 2002 gab es in der Dritten Welt 27 Kriege, in denen eine oder mehrere Rebellengruppen gegen ihre jeweiligen Regierungen kämpften. Aber auch in Europa und an seinen Rändern gibt es immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen, wie z. B. vor wenigen Jahren auf dem Balkan oder in einigen der Länder, die aus dem zerfallenen Vielvölkerstaat Sowjetunion hervorgegangen sind.

Bürgerkriege in der Gegenwart
In den ersten 50 Jahren seit dem Ende des 2. Weltkrieges 1945 gab es 218 Kriege. Fast zwei Drittel dieser Kriege waren Bürgerkriege. Meistens ging es dabei um den Sturz der bestehenden Regierung. Eine kleinere Anzahl dieser Kriege waren Sezessionskriege, also Kriege, in denen eine (Volks-)Gruppe für die Abspaltung von einem Staat und die Gründung eines eigenen Staates kämpfte. Die große Mehrheit dieser Bürgerkriege wurde in den Entwicklungsländern Afrikas, Asiens und Südamerikas ausgetragen.

KINDER IM BÜRGERKRIEG

So kommt es, dass heute ungefähr 30 Millionen Kinder in Kriegsgebieten leben. Schätzungsweise zwei Millionen Kinder kamen in den letzten zehn Jahren in Bürgerkriegen zu Tode. Und mindestens sechs Millionen erlitten schwerste Verletzungen. Unbekannt ist die Zahl derer, die ihr Leben lang unter den schlimmen Erlebnissen und der Angst leiden, die sie im Krieg erfahren mussten. So wie die kleine Marie-Grace aus dem afrikanischen Land Ruanda. Ihr Pech war, dass sie zu den Tutsi gehörte, als Soldaten der Hutu ihr Dorf überfielen. Seit ihr Land 1962 unabhängig wurde, ringen diese beiden Stämme, die Tutsi und die Hutu, in einem grausamen Bürgerkrieg um die Vorherrschaft. Marie-Grace erinnert sich: „Sie befahlen, uns draußen vor die Tür zu legen. Dann haben sie geschossen. Ich lag neben meiner Mutter, und durch Zufall hat mich keine Kugel getroffen. Aber meine Mutter starb sofort. Und auch meine Schwester wurde getroffen. Ich bat sie, ruhig zu sein, damit die Soldaten nicht auf uns aufmerksam wurden. Dann ist sie gestorben. Ein Bruder von mir sprang auf und wollte davonlaufen. Er wurde ein paar Meter entfernt getötet. Einige unserer Hutu-Nachbarn aus dem Dorf verhalfen uns Überlebenden später zu Flucht. Nach drei Tagen habe ich erfahren, wie mein Vater und einer meiner Brüder in einer Kapelle gefoltert und getötet worden sind. Ich war so traurig, dass ich nicht mehr leben wollte …”

„INTERNATIONALISIERUNG” VON BÜRGERKRIEGEN

Bürgerkriege können manchmal zu Kriegen zwischen Staaten ausarten. Beispielsweise wenn die verfeindeten Volksgruppen eines Staates neue Staaten bilden, aber die Kämpfe danach weiter fortsetzen. Oder wenn diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in ihrem Land geflohen sind, den Streit in benachbarte Staaten tragen. Manchmal werden auch Staaten, in denen ähnliche Probleme herrschen wie in dem Bürgerkriegsland, in die kriegerischen Auseinandersetzungen hineingezogen. Man spricht dann von „Internationalisierung” von Bürgerkriegen.

Von einer Internationalisierung spricht man auch in den nicht seltenen Fällen, in denen andere Staaten ganz gezielt in einen Bürgerkrieg eingreifen. Zum Beispiel um einer der Streitparteien zu helfen oder weil sie durch die Auseinandersetzungen ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen bedroht sehen. Das Recht zur Einmischung haben sich in der Vergangenheit wiederholt die ehemaligen großen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich herausgenommen. Am häufigsten nahm sich dieses Recht jedoch die Weltmacht USA, teilweise unterstützt von Verbündeten. Und in Form von „Friedensmissionen” hat es militärische Eingriffe zur Beendigung von Bürgerkriegen aber auch schon im Auftrag der Vereinten Nationen gegeben.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)