Bürgerrechte

 

Die meisten von euch werden gar nichts Besonderes dabei finden, wenn eure Mitschüler nicht mehr nur Stefan, Michael oder Julia heißen, sondern immer öfter auch Sidika, Kostas oder Ahmet. Die seltsamen Namen dürften schon das Ungewöhnlichste an diesen Klassenkameraden sein; vielleicht noch, dass sie nicht am Religionsunterricht teilnehmen, weil sie einen anderen Glauben haben. Ansonsten dürften sie sich kaum von allen anderen unterscheiden. Sie sprechen genauso Schwäbisch, Kölsch oder Hessisch und sind irgendwo zwischen Flensburg, Berchtesgaden, Aachen und Görlitz zur Welt gekommen. Doch bis vor wenigen Jahren noch galten Kinder wie diese, von denen jedes Jahr 100 000 in Deutschland zur Welt kommen, nicht als Deutsche. Sie hatten die Staatsangehörigkeit von Ländern, die sie meist nur aus dem Fernsehen oder von Ferienreisen kannten. Denn sie gehören zu den Töchtern und Söhnen der mehr als sieben Millionen Ausländer, die in Deutschland leben und arbeiten – ein Drittel davon schon länger als 30 Jahre, die Hälfte mindestens zehn Jahre. Doch selbst wenn sie und ihre Familien sich längst in unsere Gesellschaft eingefügt hatten, sind sie lange Zeit „Menschen zweiter Klasse” geblieben. Denn ihnen war verwehrt, was allen Nachkommen gebürtiger Deutscher sozusagen mit in die Wiege gelegt wird: Bürgerrechte.

OHNE BÜRGERRECHTE KEINE TEILHABE

Die Bürgerrechte sind wie die Menschenrechte Grundrechte. Die Grundrechte werden in Rechtsstaaten, zu denen auch Deutschland gehört, normalerweise von der Verfassung garantiert. Doch man unterscheidet dabei zwischen Rechten, die für „alle Menschen” gelten (Menschenrechte), und Rechten, die „alle Bürger” haben (Bürgerrechte). Tatsächlich ist es nämlich so, dass jeder Mensch überall ein Anrecht auf den Schutz seiner Menschenrechte hat. Bürgerrechte dagegen sind mit der Staatsangehörigkeit verknüpft. Nur ein Staatsbürger genießt in dem Staat, dem er angehört, auch staatsbürgerliche Rechte. Im demokratischen Staat sind dies so wichtige Rechte wie das Wahlrecht oder das Recht, öffentliche Ämter ausüben zu dürfen. Denn sie sind notwendige Voraussetzungen für eine Teilhabe an der Herrschaft und der politischen Mitgestaltung des Gemeinwesens.

Frauen und Bürgerrechte
Bis ins 20. Jahrhundert hinein waren in den Demokratien die Frauen von wichtigen Bürgerrechten wie dem Wahlrecht ausgeschlossen. Und auch in anderen Bereichen hatten sie lange nicht so viele Rechte wie Männer. Heute noch fällt auf, dass Frauen viel seltener hohe Ämter in Wirtschaft und Politik bekleiden. Und sie bekommen immer noch nicht überall den gleichen Lohn für ihre Arbeit wie ihre männlichen Kollegen.

DEUTSCH VON GEBLÜT

In Deutschland wurden diese Missstände nach langem Streit inzwischen behoben. Das uralte Staatsangehörigkeitsrecht, das die Abstammung „von deutschem Geblüt” forderte, wurde inzwischen durch ein modernes ersetzt. Dieses sorgt zum Beispiel dafür, dass jedes hier geborene Ausländerkind automatisch deutscher Staatsbürger wird. Und die Einbürgerung erwachsener Ausländer wurde ebenfalls erleichtert. Die Neubürger haben alle Rechten und Pflichten, die das deutsche Bürgerrecht vorsieht. Sie dürfen beispielsweise an Wahlen teilnehmen und sich wählen lassen, sie können wohnen, wo sie wollen, und ihren Beruf frei wählen. Sie genießen Schutz vor Auslieferung und Ausweisung, müssen aber auch der Wehrpflicht nachkommen oder Zivildienst leisten.

FREIHEIT – NUR FÜR DIE WEISSEN

So harmlos wie in Deutschland verlief der Durchsetzung der Bürgerrechte nicht überall auf der Welt. Und noch immer vergeht kein Tag, an dem im Kampf um Bürgerrechte nicht irgendwo auf der Welt Blut vergossen wird. Doch es sind beileibe nicht nur Diktaturen, die ihrem Volk staatsbürgerliche Rechte vorenthalten. Die aufsehenerregendsten Fälle von Bürgerrechtsverletzungen ereigneten sich ausgerechnet in solchen Staaten, die sich der Freiheit verschrieben haben. Allen voran in den USA, einem der Mutterländer der modernen Demokratie. Bereits seit 1787 werden dort in einer mustergültigen Verfassung allen Amerikanern vorbildliche Menschen- und Bürgerrechte garantiert. Doch davon konnten große Teile der Bevölkerung fast 200 Jahre lang nur träumen: die nämlich, die keine helle Hautfarbe hatten. Für sie galten die Bürgerrechte nicht, sie blieben weiter Menschen zweiter Klasse.

MENSCHENRECHTE – NUR NICHT ZU HAUSE

Für die Schwarzen in den USA war es das höchste der Gefühle, dass 1866 die Sklaverei abgeschafft und ihnen erlaubt wurde, vor Gericht aufzutreten und öffentliche Einrichtungen zu benutzen. Und den indianischen Ureinwohnern wurde sogar erst 1924 die US-Staatsbürgerschaft zuerkannt, was natürlich noch lange nicht Gleichberechtigung bedeutete. Nach dem 2. Weltkrieg, in den die USA als Verteidiger von Demokratie und Menschenrechten eingegriffen hatten, spitzte sich die Lage zu. Die Schwarzen waren nun nicht mehr bereit, sich mit Halbherzigkeiten wie z. B. der Aufhebung der Rassentrennung in den amerikanischen Streitkräften abspeisen zu lassen.

ZUGESTÄNDNISSE – NUR NICHT ZU VIELE

Um ihren Forderungen nach völliger Rechtsgleichheit Nachdruck zu verleihen, formierte sich unter der Führung von Martin Luther King eine eindrucksvolle Bürgerrechtsbewegung. Der schwarze Prediger nahm sich dabei den indischen Bürgerrechtler Mahatma Gandhi zum Vorbild. Gandhi war es mit Mitteln des gewaltlosen Widerstands gelungen, 1947 die britische Kolonialherrschaft in Indien zu beenden. Mit friedlichem Ungehorsam, Streiks und riesigen Protestmärschen kämpfte die Bürgerrechtsbewegung für das Ende der Erniedrigung und Benachteiligung der Schwarzen (Rassendiskriminierung). Damit zwang sie die Regierung zu immer weiteren Zugeständnissen. Doch es dauerte noch über zehn Jahre, ehe das amerikanische Parlament (der Kongress) 1964 und 1965 Gesetze beschloss, die den schwarzen Amerikanern (Afroamerikanern) die Bürgerrechte und das Wahlrecht einräumten.

„Ich habe einen Traum …”
Martin Luther King war ein mitreißender Redner. Seine Rede vor rund 250 000 Demonstranten, die 1963 in die amerikanische Hauptstadt Washington marschiert waren, ging in die Geschichte ein. Er sagte u. a.: „Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können ... Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilen wird ...”

GLEICHBERECHTIGUNG – NUR AUF DEM PAPIER

Aber ebenso wie Mahatma Gandhi musste Martin Luther King seinen Erfolg mit dem Leben bezahlen. Er wurde am 4. April 1968 von einem rassistischen Fanatiker erschossen. Er war damals 39 Jahre alt. Und obwohl die Schwarzen laut Gesetz gleichberechtigt sind, sind Ungerechtigkeiten aus rassistischen Beweggründen in den USA mehr oder weniger bis heute an der Tagesordnung – die Gleichberechtigung steht nur auf dem Papier. Vor allem in bestimmten Landesteilen haben sich die Weißen noch lange nicht damit abgefunden, dass die Nachkommen ihrer ehemaligen schwarzen Sklaven dieselben Rechte haben sollten wie sie.

WEISSE HERREN IN AFRIKA

Noch viel übler als in den USA waren bis vor kurzem die Zustände in der Republik Südafrika. Dort hatte eine winzige Minderheit von Nachkommen der europäischen Kolonialherren jahrhundertelang die einheimische schwarze Bevölkerung als rechtlose Untermenschen behandelt. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, verkündete 1948 die Regierung eine Politik der „Apartheid” – das bedeutet „Trennung” in der Landessprache der südafrikanischen Weißen. Die Apartheidgesetze teilten die Bevölkerung in „Weiße”, „Mischlinge”, „Schwarze” und „Asiaten” ein und wiesen diesen Gruppen gesonderte Siedlungsgebiete zu. Mischehen wurden verboten, und es gab getrennte Schulen, Busse, Strände, Toiletten und sogar Parkbänke.

HELDEN DES FREIHEITSKAMPFES

Doch auch in Südafrika hatte sich eine Widerstandsbewegung gebildet. An ihr war übrigens zeitweise auch der spätere indische Freiheitsheld Gandhi beteiligt. Er hatte als junger Mann für eine indische Firma in Südafrika gearbeitet und dabei den Rassismus der Weißen am eigenen Leibe verspürt. Zu einer der wichtigsten Figuren im Freiheitskampf der Südafrikaner wurde aber Nelson Mandela, der wegen seines Widerstands gegen die Apartheid zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden war. Aber fast alle Welt ächtete die weiße südafrikanische Regierung wegen ihrer Apartheidpolitik. Nicht zuletzt deshalb sah sich die südafrikanische Regierung 1990 schließlich gezwungen, die Apartheidpolitik zu beenden. Sie ließ die politischen Gefangenen frei und gewährte den Schwarzen gleiche Rechte. Und schon bei den ersten allgemeinen Wahlen im Jahr 1994 bekam Südafrika eine schwarze Regierung. Und Nelson Mandela, der 28 Jahre lang unschuldig im Gefängnis gesessen hatte, wurde der erste schwarze Staatspräsident.

BÜRGERRECHTE WELTWEIT

Sicherlich waren die Zustände in Südafrika besonders krass. Doch in den meisten Kolonialländern war es völlig normal, die Ureinwohner von der politischen Teilhabe auszuschließen. Selbst in Australien mussten die Aborigines bis 1967 warten, dass ihnen von den Weißen Bürgerrechte zuerkannt wurden. Und wo es nicht rassische Gründe sind, die zur Unterdrückung führen, sind es zumeist religiöse. Bestes Beispiel dafür sind die Verhältnisse in der britischen Provinz Nordirland. Dort musste sich die Minderheit der Katholiken mühsam ihre Bürgerrechte erkämpfen. Sie waren ihnen von der Mehrheit ihrer christlichen Glaubensbrüder mit protestantischem Bekenntnis einfach vorenthalten worden.

Eine Art von Bürgerrechtsbewegung gab es auch in den von der Sowjetunion kontrollierten Staaten des so genannten Ostblocks. Die Gegner der sozialistischen Diktaturen in diesen Ländern nannte man Dissidenten („Abweichler”). Es war nicht ungefährlich, sich mit den Machthabern anzulegen. Trotzdem gab es immer wieder Versuche, mehr Demokratie und Bürgerrechte zu erkämpfen. Dem Mut dieser Dissidenten ist es mit zu verdanken, dass die sozialistischen Diktaturen zusammengebrochen sind. Ein leuchtendes Beispiel war die Bürgerbewegung in der DDR, die mit friedlichen Demonstrationen die Freiheit erkämpfte und damit die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglichte.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)