Das geteilte Deutschland

 

Ende des Jahres 1945 sah Deutschland einer ungewissen Zukunft entgegen. Nur gut 70 Jahre nach der lange ersehnten Gründung eines deutschen Nationalstaates schien es mit der Einheit Deutschlands ein für allemal vorbei. Zwei verschuldete Weltkriege innerhalb weniger Jahrzehnte hatten das Fass zum Überlaufen gebracht. Es galt, „Deutschland und vor allem Preußen daran zu hindern, ein drittes Mal über uns herzufallen”, wie es der britische Premierminister Winston Churchill ausdrückte. Die Alliierten, die siegreichen Verbündeten im Krieg gegen die Hitler-Diktatur, wollten das Land dauerhaft besetzt halten. Die „Großen Drei” – US-Präsident Harry Truman, der sowjetische Staatschef Jossif Stalin und Churchill – hatten Deutschland in vier Zonen aufgeteilt. Eine davon war für Frankreich bestimmt, das ebenfalls zur Siegermacht erklärte wurde. Jede der vier Zonen wurde von einer der Siegermächte besetzt. Die Hauptstadt Berlin, im Herzen der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ oder „Ostzone”) gelegen, war ebenfalls in vier Sektoren aufgeteilt und unter die gemeinsame Kontrolle aller vier Siegermächte gestellt worden.

ENDE DER ALLIIERTEN EINTRACHT

Doch schon bald war es mit der Eintracht der Alliierten vorbei. Die drei Westalliierten USA, Großbritannien und Frankreich beobachteten mit zunehmendem Misstrauen Stalins rücksichtslose „Sowjetisierungspolitik” in Osteuropa. Und auch die Sowjetische Besatzungszone befand sich von Anfang an fest in der Hand deutscher Kommunisten, die bei Kriegsende 1945 aus dem sowjetischen Exil nach Deutschland heimgekehrt waren und der Sowjetunion die Treue hielten.

WIRTSCHAFTLICHE SPALTUNG

Die alten weltanschaulichen Gegensätze zwischen den westlichen, marktwirtschaftlich orientierten Demokratien und der sozialistischen Sowjetunion traten voll zutage, als Deutschland 1946/47 vor dem völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch stand. Mitverschuldet hatten diese katastrophale Lage nicht zuletzt die Besatzer mit ihrer rücksichtslosen Ausbeutung des Landes zur Kriegsentschädigung („Reparationen”). Zur Verbesserung der Versorgungslage schlugen die drei Westalliierten eine wirtschaftliche Zusammenarbeit der Zonen vor. Stalin war an der Öffnung der Sowjetischen Besatzungszone für die kapitalistische Marktwirtschaft nicht interessiert. Und so schlossen die Amerikaner und die Briten ihre Besatzungszonen am 1. Januar 1947 zu einer „Bizone” zusammen, die später um die französische Zone zur „Trizone” erweitert wurde. Die Währungsreform, also die Einführung der Deutschen Mark als neue Geldwährung in den Westzonen am 21. Juni 1948, machte die wirtschaftliche Spaltung Deutschlands perfekt.

Die Berliner Blockade
Als Antwort auf die Währungsreform in den drei westlichen Besatzungszonen und den drei Berliner Westsektoren ließ der sowjetische Staatschef Stalin am 24. Juni 1948 alle Zufahrtswege nach Berlin abriegeln und verhängte eine „Blockade” über die Stadt. Damit wollte er die drei Westalliierten mit Gewalt davon abhalten, in ihren Besatzungszonen einen westlich orientierten deutschen Teilstaat zu gründen. Doch die Westmächte ließen sich nicht beeindrucken und versorgten die 2,2 Millionen Westberliner über eine „Luftbrücke”. Elf Monate lang landete alle paar Minuten ein Versorgungsflugzeug - im Volksmund „Rosinenbomber” genannt - auf einem der drei Westberliner Flughäfen. Mit seinem Erpressungsversuch erreichte Stalin nur, dass die Westdeutschen und Westalliierten noch näher zusammenrückten.

KAMPF DER SYSTEME

Unterdessen hatten sich die machtpolitischen Spannungen zwischen den USA und der Sowjetunion erhöht. Die USA traten dem offenkundigen Weltmachtstreben der Sowjetunion mit einer „Politik der Eindämmung” (Containment) entgegen. Um Westeuropa fest an sich zu binden, überschütteten es die Amerikaner mit Militär- und Wirtschaftshilfen. Weil dieser Kampf der Systeme nicht mit militärischen, sondern mit wirtschaftlichen Mitteln und Propaganda geführt wurde, sprach man von einem „Kalten Krieg”.

Der Marshallplan
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges (1939-1945) war das wirtschaftlich geschwächte und zerstörte Europa als Handelspartner für Amerika ausgefallen - mit entsprechend schlechten Auswirkungen auf die amerikanische Wirtschaft. Deshalb legte US-Außenminister George Marshall 1947 ein Programm zum raschen wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas vor. In den Genuss von Wirtschaftshilfen aus dem so genannten Marshallplan kamen auch die drei westlichen Besatzungszonen, deren Wirtschaft sich nun rasch erholte. Mit dem Marshallplan war auch der Plan von US-Finanzminister Henry Morgenthau („Morgenthau-Plan”) endgültig vom Tisch, Deutschland in einen Agrarstaat umzuwandeln.

ZWEI DEUTSCHE STAATEN

Und da die Frontlinie dieses Kalten Krieges mitten durch Deutschland verlief, änderten die Westmächte die Politik in ihren Besatzungszonen, wo sich inzwischen wieder politisches Leben regte, und nahmen Abstand von ihrem ursprünglichen Plan, Deutschland dauerhaft besetzt zu halten. In der Absicht, einen „Vorposten der freien Welt” zu schaffen, beauftragten sie westdeutsche Politiker, eine demokratische Verfassung für einen eigenen Staat auszuarbeiten. Das Ergebnis war das „Grundgesetz”, das am 23. Mai 1949 in Kraft trat und die Bundesrepublik Deutschland begründete. Unterdessen wurde auch in der Sowjetischen Besatzungszone eine Verfassung ausgearbeitet; sie wurde eine Woche nach dem Grundgesetz verabschiedet und trat am 7. Oktober 1949 in Kraft. Aus der Sowjetischen Besatzungszone war die Deutsche Demokratische Republik (DDR) entstanden. Damit war Deutschland in zwei Staaten geteilt.

Um die Teilung Deutschlands nicht für alle Zeiten festzuschreiben und die Möglichkeit eines gesamtdeutschen Staates offen zu halten, sollte die westdeutsche Verfassung bewusst den Charakter einer Übergangslösung erhalten. Deshalb bekam sie auch den außergewöhnlichen Namen „Grundgesetz”. Bonn als Hauptstadt der Bundesrepublik sollte ebenfalls nur eine vorläufige Lösung sein. Die DDR hingegen gab sich eine „richtige” Verfassung und wählte Ostberlin als Hauptstadt.

Neubeginn der Parteien
Nach dem Krieg hatten sich die Alliierten auf eine schnelle Demokratisierung Deutschlands verständigt. Schon im Sommer 1945 waren die ersten Parteien zugelassen worden, allen voran die SPD und die KPD, die dem Nationalsozialismus Widerstand geleistet hatten. Schon bei den ersten Landtagswahlen in den Jahren 1946/47 schälten sich die SPD und die neu gegründeten überkonfessionellen Parteien CDU und CSU als mit Abstand stärkste politische Kräfte in den Westzonen heraus.

WESTBINDUNG DER BUNDESREPUBLIK

Erster Bundeskanzler der Bundesrepublik war 14 Jahre lang Konrad Adenauer von der CDU. Er war ein erklärter Gegner der Sowjetunion und deren kommunistischen Systems. Deshalb setzte er alles daran, sein Land zu einem verlässlichen Partner der westlichen Welt zu machen. Dazu diente auch seine Politik der Aussöhnung mit Frankreich, mit der er den Grundstein zur westeuropäischen Einigung legte. Ein beispielloser Wirtschaftsaufschwung, das „Wirtschaftswunder”, tat ein Übriges, Westdeutschland in eine stabile Demokratie zu verwandeln.

Die Stalinnote – verpasste Einheit?
Stalin unterbreitete im Frühjahr 1952 in der so genannten Stalinnote überraschend das Angebot, die beiden deutschen Staaten zu einem neutralen, demokratischen Gesamtdeutschland unter alliierter Kontrolle zu vereinen. Trotz der Chance, die deutsche Einheit doch noch zu erhalten und Deutschland aus dem Ost-West-Konflikt heraushalten zu können, wiesen die Regierung Adenauer und die Westalliierten die Stalinnote zurück. Gegen die Widerstände vor allem aus der SPD hielt Adenauer an seinem Kurs der Westbindung fest und führte die Bundesrepublik in die Westeuropäische Union (WEU), die NATO und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG).

DER SED-STAAT

Laut ihrer Verfassung war auch die DDR eine parlamentarische Demokratie. Doch in Wirklichkeit lag die Macht ganz nach dem Vorbild der Sowjetunion bei der kommunistischen Partei, die in diesem Falle Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) hieß. Genauer gesagt bei der Parteispitze, dem Politbüro der SED unter der Leitung von Generalsekretär Walter Ulbricht. Für die Sicherung der SED-Herrschaft war das Ministerium für Staatssicherheit (kurz: Stasi) zuständig, das die Bevölkerung mit Methoden des Polizeistaates unter Kontrolle hielt.

Die Staatspartei SED
Auf Betreiben der sowjetischen Besatzungsmacht kam es 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone zur Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Die SED wandelte sich rasch in eine kommunistische Staatspartei, folgte dem Vorbild der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und wurde weitgehend von dieser gelenkt. Zwar gab es noch andere Parteien in der DDR. Doch die waren in der so genannten Nationalen Front zusammengefasst und standen unter der Kontrolle der SED.

17. JUNI 1953

Schon bald zeigte sich, dass die staatlich gelenkte sozialistische Planwirtschaft in der DDR der freien Marktwirtschaft der Bundesrepublik heillos unterlegen war. Es dauerte nicht lange, und das Wort von der „Mangelwirtschaft” machte die Runde. Die aufgestaute Unzufriedenheit mit dem Sozialismus in der DDR-Bevölkerung entlud sich am 17. Juni 1953 in einem Aufstand. Die SED-Führung rief die Sowjetunion zu Hilfe, die den Aufstand mit Panzern gewaltsam niederwalzte. Als sich in der Folge Hunderttausende DDR-Bürger in den Westen absetzten, zog die DDR-Führung die Notbremse.

Flucht in den freien Westen
Zwischen 1949 und 1961 flohen mehr als 2,5 Millionen Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik. Die Hälfte davon waren gut ausgebildete Arbeiter und Akademiker, die das Land dringend zum Aufbau einer leistungsfähigen Wirtschaft gebraucht hätte.

MAUER UND STACHELDRAHT

In der Nacht vom 13. August 1961 ließ die DDR-Führung sämtliche Verbindungswege nach Westberlin absperren. Sodann errichteten Baukolonnen unter Aufsicht bewaffneter Soldaten eine Mauer, die Ostberlin vom Westteil der Stadt hermetisch abriegelte. Entlang der gesamten deutsch-deutschen Grenze zog sich ein 1400 Kilometer langer unüberwindlicher Maschendrahtzaun mit Selbstschussanlagen, vor dem sich ein scharf kontrollierter, verminter „Todesstreifen” erstreckte. Da eine Flucht aus der DDR in den Westen von nun an einem Selbstmord gleichkam, musste sich die eingesperrte Bevölkerung wohl oder übel in ihr Schicksal ergeben. Die meisten Menschen richteten sich deshalb im SED-Staat so gut wie möglich ein. Trotz Versorgungsengpässen genossen die DDR-Bürger den höchsten Lebensstandard im Ostblock.

WANDEL DURCH ANNÄHERUNG

„20 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik müssen wir ein weiteres Auseinanderleben der deutschen Nation verhindern, also versuchen, über ein geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander zu kommen.” Diese Worte stammen von Willy Brandt. Mit der Wahl des SPD-Politikers Brandt 1969 zum Bundeskanzler kam erstmals Bewegung in die deutsch-deutschen Beziehungen. Grundlage und Voraussetzung von Brandts „Deutschlandpolitik” bildete seine „Ostpolitik”. Die Ostpolitik zielte auf eine Normalisierung des Verhältnisses zur Sowjetunion, Polen und der Tschechoslowakei ab und trug zur Entschärfung des Kalten Krieges in Europa bei. „Wandel durch Annäherung” lautete die Zauberformel, mit der Brandt eine Entspannung im deutsch-deutschen Verhältnis und eine Reihe beträchtlicher Erleichterungen für die DDR-Bürger erreichte. Brandts Deutschlandpolitik machte beispielsweise erstmals seit dem Bau der Mauer einen begrenzten Reiseverkehr und Kontakte zwischen Ost und West möglich.

RISKANTES SPIEL

Jäh unterbrochen wurde dieses politische „Tauwetter” durch eine neue „Eiszeit” infolge des Einmarsches sowjetischer Truppen in Afghanistan 1979. US-Präsident Ronald Reagan, ein überzeugter Antikommunist, läutete 1981 einen neuen Rüstungswettlauf ein. Durch die neue Aufrüstung wollte Reagan die Sowjetunion an die Grenzen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit treiben und so den Zusammenbruch der Sowjetunion erzwingen. Diese riskante Strategie nährte weltweit die Furcht vor einem kriegerischen Befreiungsschlag durch die in die Enge getriebene Sowjetführung. Als Segen erwies sich in dieser brenzligen Situation die Machtübernahme durch Michail Gorbatschow 1985 in der Sowjetunion. Er zeigte sich von Anfang an verhandlungsbereit, machte Zugeständnisse, war zur Abrüstung bereit – und er räumte den Menschen im sowjetischen Einflussbereich nie gekannte Freiheiten ein.

„WIR SIND DAS VOLK”

Bald wurden überall im kommunistischen Ostblock Forderungen nach Reformen laut. Doch die SED-Führung mit Erich Honecker an der Spitze sträubte sich bis zuletzt gegen den neuen Kurs. Im Herbst 1989 zogen erstmals in der Geschichte der DDR mächtige Demonstrationszüge durch die Straßen der ostdeutschen Städte. Als die Sowjetunion keinerlei Anstalten machte, den Protest zu unterbinden, fürchtete man im SED-Politbüro um die Macht. Erich Honecker wurde von seinen eigenen Leuten abgesetzt. Doch das genügte den Menschen in der DDR nicht; sie gaben keine Ruhe mehr, bis die neue DDR-Führung am 9. November 1989 nachgab und die Grenzübergänge zur Bundesrepublik Deutschland öffnete.

Ab dem Dezember 1989 verhandelten Vertreter der Oppositionsgruppen und der Regierung am „runden Tisch”, was aus der DDR werden sollte: entweder ein selbständiger Staat mit einem System, das einen Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus beschreitet, oder eine Konföderation mit der Bundesrepublik Deutschland oder ein Beitritt zur Bundesrepublik. Die ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990 zeigten, dass sich die DDR-Bürger mehrheitlich die Wiedervereinigung wünschten.

Montagsdemonstrationen
Ab dem September 1989 zogen jeden Montag zunächst Hunderte, dann Tausende Demonstranten vor allem in Leipzig durch die Straßen und forderten Reisefreiheit und eine grundlegende Reform der DDR. Ihr Motto war: „Wir sind das Volk.” Zwar ging die Staatsmacht mit Gewalt gegen die Demonstranten vor, doch die ließen sich davon von ihrem Protest nicht abhalten. Als sich schließlich Zehntausende Demonstranten in Leipzig versammelten, zog die DDR-Führung sogar ernsthaft in Erwägung, Panzer gegen das eigene Volk auffahren zu lassen. Am Ende aber musste sie vor der Bevölkerung kapitulieren.

„WIR SIND EIN VOLK”

Nach der Öffnung der Grenzen der DDR erkannte die westdeutsche Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl die einmalige Chance auf eine Wiedervereinigung. In geschickten Verhandlungen mit den drei Westalliierten und der Sowjetunion wurde das für unmöglich Gehaltene möglich: Am 3. Oktober 1990 vollzog sich mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik die Wiedervereinigung des geteilten Deutschland.

Die erfolgreiche Revolution
Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte war eine Revolution erfolgreich. Es gilt als eine große historische Leistung, dass es den Menschen in der DDR 1989 gelang, ihre Machthaber mit friedlichen Mitteln in die Knie zu zwingen.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)