Dritte Welt

 

Djima ist neun Jahre alt. Er stammt aus Zinivé, einem Dorf in der Nähe von Cotonou, der Hauptstadt von Benin in Westafrika. Djima arbeitet und schläft in der Werkstatt eines Topfmachers auf dem großen Markt von Danktopa. Zur Schule ist er nie gegangen. Jeden Morgen steht er um 6 Uhr auf, um in den Mülltonnen der Stadt nach Blechdosen zu suchen. Um 8.30 Uhr muss er zurück sein, um Töpfe zurechtzufeilen. Um 10 Uhr geht es auf den Markt. Fünf Töpfe auf einmal kann der kleine, barfüßige Kerl auf seinem Kopf balancieren, jeder zwei Kilo schwer. Sein Frühstück muss er sich erst verdienen. Es gibt schlechte Tage, an denen Djima gar nichts verkauft. Dann kehrt er abends eben hungrig und durstig in die Werkstatt zurück und muss sich obendrein noch von seinem Meister beschimpfen lassen.

Alltag in einem der ärmsten Länder der Welt – und dabei geht es Djima noch gar nicht so schlecht. Andere in seinem Alter werden von ihren Arbeitgebern versklavt und misshandelt. Sie müssen den ganzen Tag Müllhalden durchwühlen oder auf allen vieren in engen Bergwerksstollen schuften. Rückenverkrümmungen, verkrüppelte Arme und Beine, Verbrennungen, Hauterkrankungen, Blindheit und Taubheit sind nur einige der Folgeerscheinungen der unmenschlichen Arbeitsbedingungen, denen weltweit Millionen von Kindern ausgesetzt sind.

ARM, ÄRMER, AM ÄRMSTEN

Benin ist ein typisches Land der Dritten Welt. So werden Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika genannt, die früher größtenteils von europäischen Staaten beherrscht wurden und seit ihrer Unabhängigkeit unter großen wirtschaftlichen Problemen leiden. Weil sie noch sehr rückständig sind, spricht man auch von Entwicklungsländern. Unterschieden wird dabei zwischen Entwicklungsländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen und Schwellenländern, die sozusagen schon an der Schwelle zu den höher entwickelten Ländern stehen. Die Ärmsten der Armen werden bisweilen sogar als Vierte Welt bezeichnet.

Ursprünglich verstand man unter „Dritter Welt” die so genannten „blockfreien Staaten”. Sie waren keinem der beiden großen Machtblöcke zuzuordnen, die sich wegen ihrer unterschiedlichen Weltanschauung jahrzehntelang feindlich gegenüber standen: die „Erste Welt” des Westens unter der Führung der USA und die „Zweite Welt” des Ostens unter der Führung der Sowjetunion.

Kennzeichnend für die Dritte Welt sind Armut, hohe Arbeitslosigkeit, Verschuldung im Ausland, niedrige oder fehlende Schulbildung, schlechte medizinische Versorgung, Krankheit und Hunger. Da sie vom Staat keine Unterstützung erwarten können, haben die Menschen dort viele Kinder, weil sie hoffen, von ihnen versorgt zu werden, wenn sie einmal nicht mehr für ihren Lebensunterhalt aufkommen können. Aber den meisten dieser Kinder geht es nicht anders als dem kleinen Djima aus Benin: Von klein auf leiden sie unter Armut und Mangel. Jedes Jahr sterben etwa 12 Millionen Kinder unter fünf Jahren – 95 Prozent davon an den Folgen der Armut.

HILFE ZUR SELBSTHILFE

Um die schlimmste Not zu lindern, versuchen Hilfsorganisationen ebenso wie die Regierungen der reichen Länder die Menschen in den Drittweltländern zu unterstützen. Das geschieht mittels Geld, das entweder gespendet oder geliehen wird, oder durch die Lieferungen von Nahrungsmitteln, Medikamenten und technischen Anlagen.

Das eigentliche Ziel der Entwicklungshilfe lautet aber „Hilfe zur Selbsthilfe”. Den Menschen soll nicht einfach Geld gegeben werden, damit sie sich etwas kaufen können. Stattdessen werden Helfer in die Länder geschickt, die von dem Geld gemeinsam mit den Einheimischen Schulen, Werkstätten, Fabriken und Verkehrsnetze aufbauen. Dadurch sollen die Grundlagen dafür geschaffen werden, dass die Menschen dort aus eigener Kraft ihre Lebensverhältnisse verbessern können. Obwohl sie teilweise beschämend niedrig ist, kann die Entwicklungshilfe als eine Art Wiedergutmachung betrachtet werden. Denn es ist vor allem die Schuld der Europäer, dass es eine Dritte Welt überhaupt gibt.

Die Vereinten Nationen empfehlen den reichen Ländern, mindestens 0,7 Prozent des Wertes aller ihrer produzierten Güter als Entwicklungshilfe den armen Ländern zur Verfügung zu stellen. Nur fünf Staaten halten sich daran: Dänemark, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen und Schweden. Deutschland spendet derzeit 0,27 Prozent.

DIE SELBST ERNANNTEN HERREN DER WELT

Vor rund 500 Jahren begannen die Europäer, mit ihren überlegenen Waffen Völker und Länder auf anderen Kontinenten zu unterwerfen und sie zu Kolonien zu machen. Im Laufe der Jahrhunderte entbrannte ein regelrechter Wettlauf zwischen den europäischen Mächten um die Beherrschung der Welt. In ihrer Überheblichkeit betrachteten die europäischen Kolonialherren die einheimische Bevölkerung fast immer als unzivilisierte Menschen zweiter Klasse, zwangen ihnen ihre Sprache, Religion und Lebensweise auf und ließen sie wie Sklaven für sich arbeiten.

Das Hauptinteresse der Europäer galt wertvollen Bodenschätzen wie Gold, Silber und Edelsteinen. Doch sie nahmen auch das Land in Besitz und legten riesige Plantagen an, auf denen sie exotische Pflanzen und Früchte anpflanzten. Oft spezialisierte man sich dabei auf ein einziges Produkt, das besonders gut gedieh: Zuckerrohr, Tabak, Kaffee, Tee, Bananen, Baumwolle oder Edelholz. All das wurde dann nach Europa verschifft. Und um die Märkte in Europa vor unliebsamer Konkurrenz zu schützen, war es verboten, die Rohstoffe direkt in den Kolonien zu Gebrauchsgütern weiterzuverarbeiten. Auf diese Weise wurden diese Länder vollkommen von Europa abhängig gemacht.

WEDER UNABHÄNGIG NOCH SELBSTSTÄNDIG

Die katastrophalen Folgen machten sich erst nach dem Ende der Kolonialzeit in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts richtig bemerkbar, als aus den Kolonien unabhängige Staaten geworden waren. Völlig auf sich allein gestellt, konnten sich die ehemaligen Kolonien nun weder selbst versorgen noch mit dem Ausland gewinnträchtigen Handel treiben. Die Preise für Rohstoffe auf dem Weltmarkt waren viel zu niedrig, um aus den Erlösen genügend Geräte und Maschinen einkaufen zu können, die für den Aufbau einer leistungsfähigen Wirtschaft notwendig wären. Abgesehen davon, dass es in diesen Ländern kaum Menschen gab, die das nötige Verständnis hatten, die Techniken sinnvoll einzusetzen oder gar selbst herzustellen. Denn Geld für Ausbildung ist in den verarmten Staaten der Dritten Welt kaum vorhanden.

Erschwerend hinzu kam, dass in vielen Ländern nach der Unabhängigkeit jahre- und jahrzehntelange Bürgerkriege tobten, die eine geordnete Entwicklung unmöglich machten. Feindschaften zwischen Völkern und Stämmen, die die Kolonialherren unterbunden hatten, brachen auf. Denn die Europäer hatten bei der Aufteilung der Kontinente willkürlich Grenzen festgelegt, ohne Rücksicht auf Zusammengehörigkeiten, Lebensgewohnheiten, Sprachen oder Religionen.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)