Europäische Union

 

Europa wächst in schier atemberaubendem Tempo zusammen. Ganze 25 Länder umfasst der Staatenbund der Europäischen Union (EU) inzwischen. Und wenn alle, die einen Beitrittsantrag gestellt haben, aufgenommen werden, wird die Gemeinschaft bald mehr als 30 Mitglieder haben. Als Bürger eines EU-Staates kann man ohne Einschränkung in jedem EU-Mitgliedsland Handel treiben und Dienstleistungen anbieten, seinen Wohnsitz nehmen und seinen Arbeits- oder Studienplatz wählen. In immer weiteren Teilen der EU ist es auch möglich, mit demselben Geld wie zu Hause zu bezahlen: dem Euro. War es vor kurzem noch eine Sensation, ohne Passkontrollen in Nachbarländer zu reisen, gehören inzwischen auch Länder wie Polen und Tschechien zu uns und beabsichtigen, ihre Grenzen über kurz oder lang ebenfalls zu öffnen. Vor noch nicht allzu langer Zeit befanden sich diese Länder noch jenseits des sprichwörtlichen Eisernen Vorhangs, mit dem die osteuropäischen Länder fast 50 Jahre lang vor dem Westen abgeschottet waren. Estland, Lettland und Litauen waren sogar sowjetische Teilrepubliken. Bei der Einreise in all diese Länder bestand damals trotz Pass und Visum die Gefahr, in größte Schwierigkeiten zu kommen, wenn man nur eine falsche Bewegung machte.

Wer wird aufgenommen?
Wichtigste Voraussetzungen für die Aufnahme in die Europäische Union sind Demokratie, Achtung der Menschenrechte und eine funktionierende Marktwirtschaft.

VERHÄNGNISVOLLER NATIONALISMUS

Doch als unsere Urgroßeltern jung waren, konnte einem dies allerdings ohne weiteres auch an der französischen Grenze passieren. Kaum zu glauben, aber Franzosen und Deutsche waren lange Zeit derartige „Erzfeinde”, dass sie sich allein zwischen 1870 und 1945 drei blutige Völkerschlachten lieferten. An ein geeintes Europa war bis in die jüngste Geschichte überhaupt nicht zu denken. Jahrhundertelang dachte jede europäische Nation nur an sich selbst und ihre eigenen Interessen. Nicht selten wurden dabei auch Versuche unternommen, die eigene Macht und das eigene Staatsgebiet auf Kosten der Nachbarn zu mehren. Der Nationalismus war es, der Europa immer wieder ins größte Unglück stürzte. Zuletzt zwischen 1939 und 1945, als das Deutsche Reich unter der Führung von Adolf Hitler im nationalistischen Wahn den gesamten Kontinent erobern wollte und die Europäer im 2. Weltkrieg an den Rand des Untergangs brachte.

GEBOT DER STUNDE

Als nach dem 2. Weltkrieg alles in Trümmern lag und 50 Millionen Tote zu beklagen waren, sah man endlich ein, dass es so nicht weitergehen konnte. Der britische Staatsmann Winston Churchill war der Erste, der 1946 das Gebot der Stunde aussprach: „In welcher Lage befindet sich Europa heute? Eine riesige verängstigte Menge geschundener, hungriger und bekümmerter Menschen starrt geschockt auf die Ruinen ihrer Städte und Heime. Gleichzeitig sucht sie den dunklen Horizont schon nach der nächsten Gefahr, der nächsten Tyrannei, dem nächsten Unheil ab. Das ist es, was die in so viele alte Staaten und Nationen geteilten Europäer damit erreicht haben, dass sie einander ständig zerfleischen und verwüsten. Doch es gäbe ein Heilmittel, das alles von Grund auf ändern und ganz Europa – oder wenigstens den größten Teil davon – innerhalb weniger Jahre frei und glücklich machen könnte. Worin dieses Allheilmittel besteht? Darin, dass man die europäische Familie wieder aufrichtet und ihr eine Ordnung gibt, in der sie in Frieden, Sicherheit und Freiheit leben kann. Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa schaffen!”

Großbritanniens EU-Sonderrolle
Obwohl es der Brite Winston Churchill war, der als Erster nach dem 2. Weltkrieg die europäische Einigung ins Gespräch brachte, dauerte es noch fast ein viertel Jahrhundert, bis sich sein Land selbst der Gemeinschaft anschloss. In Großbritannien gibt es allerdings bis heute eine Menge EU-Gegner, und in vielerlei Hinsicht beansprucht der Inselstaat eine Sonderrolle.

DEUTSCH-FRANZÖSISCHE VERSTÄNDIGUNG

Diese Idee stieß auf lebhaftes Interesse. Nicht zuletzt unter dem Eindruck zunehmender Spannungen zwischen den westlichen Verbündeten unter der Führung der USA und der offensichtlich nach Weltmacht strebenden Sowjetunion. Vor allem der erste deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer sah in einer Verständigung mit den westeuropäischen Nachbarn außerdem eine Chance, das besiegte Deutschland wieder in die Staatengemeinschaft zurückzuführen.

ES BEGANN MIT DER MONTANUNION

Grundvoraussetzung für einen dauerhaften Frieden war die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland. Das war allen klar. Als Vertrauen bildende Maßnahme schlug der französische Außenministers Robert Schuman 1950 vor, die für die Kriegswaffenproduktion wichtigen Industrien in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum unter Aufsicht zu stellen. Schon im Jahr darauf wurde die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) geschaffen, besser bekannt unter dem Namen Montanunion. Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg schlossen sich an. Diese „Gemeinschaft der Sechs” bildete die Keimzelle für den weiteren europäischen Einigungsprozess, der am 1. November 1993 schließlich in der Errichtung der Europäischen Union gipfelte.

„HAUS EUROPA”

Viel ist heute vom „Haus Europa” die Rede. Und die jüngeren Generationen haben sich von Jahr zu Jahr dort häuslicher eingerichtet. Sie unterhalten gute Kontakte zu ihren Nachbarn, besuchen sich gegenseitig oft und ausgiebig und verstehen sich prächtig, auch wenn sie nicht immer dieselbe Sprache sprechen. Man hat sich inzwischen eine Art Hausordnung samt Hausverwaltung gegeben, die sich um die Gemeinschaftsaufgaben kümmert und darauf achtet, dass sich jeder Nachbar an die getroffenen Vereinbarungen hält. Allerdings soll nicht verschwiegen werden, dass es auch eine beträchtliche Anzahl gibt, die befürchten, bald nicht mehr Herr im eigenen Haus oder besser gesagt: in der eigenen Wohnung im „Haus Europa” zu sein.

EUROPÄISCHE INTEGRATION

In den ersten Jahrzehnten hatte sich die europäische Zusammenarbeit hauptsächlich auf wirtschaftlichem Gebiet abgespielt. Zur Schaffung eines gemeinsamen Marktes ohne Handelshemmnisse waren am 25. März 1957 in Rom Verträge über die Bildung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) geschlossen worden, die so genannten Römischen Verträge. Die EWG ging schließlich zusammen mit der Montanunion und der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) zur gemeinsamen friedlichen Nutzung der Kernenergie 1967 in der Europäischen Gemeinschaft (EG) auf. Die zeitgleiche Einrichtung gemeinsamer Führungsorgane wie Europäische Kommission und Europäischer Ministerrat leitete die politische Zusammenarbeit ein. Im Laufe der Zeit übertrug die ständig wachsende Zahl der Mitglieder immer größere Teile ihrer einzelstaatlichen Zuständigkeiten den Gemeinschaftsorganen, damit in Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse einheitliche Entscheidungen getroffen werden konnten. Diese Entwicklung wird auch als „Europäische Integration” bezeichnet.

EU-Sorgenkind Landwirtschaft
Der Agrarmarkt stellt seit jeher ein besonderes Problem der europäischen Gemeinschaft dar. Unsere Landwirte erzeugen viel zu viele Nahrungsmittel. Um das Einkommen der Bauern zu sichern, kauft ihnen die Gemeinschaft ihre Überschüsse ab und lagert sie ein. Da es sich um verderbliche Ware handelt, muss sie von Zeit zu Zeit mit Verlust weiterverkauft, verfüttert oder einfach vernichtet werden. Etwa 70 Prozent der EU-Gelder werden allein zur Unterstützung der europäischen Landwirtschaft verwendet.

ENDLICH FRIEDEN

Bisher sind alle Staaten der Gemeinschaft, die inzwischen ein halbes Jahrhundert lang für Stabilität, Frieden und Wohlstand gesorgt hat, immer noch selbständig und haben eigene Regierungen. Gerade aus der Vielfalt der nationalen Eigenheiten schöpft die EU ihre Kraft, die ihrerseits zum Wohle des Ganzen eingesetzt wird. Vielen Bürgern erscheint das Tempo der Einigung dennoch zu hoch, obwohl der Vertrag von Maastricht, mit dem die Europäische Union geschaffen wurde, ausdrücklich das Prinzip nationaler Selbstverantwortung vorsieht. Mittlerweile hat sich die Europäische Union schon eine Verfassung gegeben. Gerade dadurch sieht sich so mancher in seiner Befürchtung bestätigt, dass sich die Union eben doch auf dem Weg zu einem echten Bundesstaat mit einer Zentralregierung befindet.

Der Vertrag von Maastricht enthält aufschlussreiche Absichtserklärungen im Hinblick auf die weitere Entwicklung der EU: 1. Alle EU-Bürger bekommen die „Europäische Unionsbürgerschaft”. Sie bedeutet gleiche Rechtsstellung für alle und ist Vorstufe einer europäischen Staatsbürgerschaft. 2. Zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität wird eine europäische Polizeibehörde namens Europol aufgebaut. 3. Die Mitglieder der Gemeinschaft verpflichten sich zu einer gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik. Dadurch sollen die Interessen Europas klarer und nachdrücklicher vertreten werden.

DIE WICHTIGSTEN ORGANE DER EU

Das Europäische Parlament: Seit 1979 alle fünf Jahre in den Mitgliedsstaaten direkt gewählte Versammlung mit 726 Abgeordnetensitzen. Es hat hauptsächlich beratende Funktion, aber keine Befugnisse zur Rechtsetzung. Es ist für die Kontrolle der Europäischen Kommission zuständig, die sie durch ein Misstrauensvotum auch auflösen kann.

Der Rat der Europäischen Union: Eine Art EU-Regierung, bestehend aus den Regierungschefs und Fachministern der Mitgliedsstaaten. Der Rat der EU, auch EU-Ministerrat genannt, hat die oberste Entscheidungsbefugnis und ist für die Rechtssetzung zuständig.

Die Europäische Kommission: Für die Umsetzung von EU-Recht und der Politik des Rates zuständiges Kollegium, das auch Gesetzesvorlagen erarbeitet. Die Mitglieder der Kommission, die Kommissare, werden von den Regierungschefs der EU-Länder bestellt und vom Europäischen Parlament beaufsichtigt.

Der Europäische Gerichtshof: Er überwacht die Einhaltung der gemeinschaftlichen Verträge und Rechtsvorschriften in den EU-Mitgliedsstaaten.

Der Europäische Rechnungshof: Er überprüft die Einnahmen und Ausgaben der EU auf ihre Rechtmäßigkeit und macht notfalls Spar- und Verbesserungsvorschläge.

Die Europäische Zentralbank: Sie ist für die Stabilität der europäischen Währung Euro verantwortlich.

WICHTIGE ETAPPEN

1951: Gründung der Montanunion (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, EGKS). Mitglieder: Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande.

1957: Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM). Einbeziehung der Bereiche Landwirtschaft, Fischerei, Verkehrswesen, Wettbewerbsrecht und Außenhandel. Beschluss zur Bildung eines gemeinsamen Marktes (erst 1993 verwirklicht).

1967: Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) unter Einschluss von Montanunion, EWG und EURATOM.

1968: Europäische Zollunion zur Abschaffung der Binnenzölle und Errichtung eines gemeinsamen Außenzolls.

1973: Erweiterung der EG um Großbritannien, Irland und Dänemark.

1979: Errichtung des Europäischen Währungssystems (EWS) und Einführung des ECU als Rechnungs- und Währungseinheit.

1979: Erste Direktwahl zum Europäischen Parlament.

1981: Erweiterung der EG um Giechenland.

1986: Erweiterung der EG um Spanien und Portugal.

1989: Beschluss zur Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU).

1993: Aus der Europäischen Gemeinschaft geht die Europäische Union (EU) hervor.

1995: Erweiterung der EU um Österreich, Schweden und Finnland.

1995: Ende der Grenzkontrollen in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Spanien und Portugal.

2002: Der Euro wird in allen Staaten, die an der Währungsunion teilnehmen, gesetzliches Zahlungsmittel: in Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, den Niederlanden, Luxemburg, Österreich, Portugal, Spanien und Griechenland.

2004: Erweiterung der EU um Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechische Republik, Slowakische Republik, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)