Fremdenfeindlichkeit und Rassenhass
50 Jahre nach dem Massenmord des Holocaust im Nationalsozialismus, dem Höhepunkt eines krankhaften Hasses auf Juden und andere „fremde” Minderheiten, hatte man schon die Hoffnung, die Menschen hätten dazugelernt. Da machte sich ausgerechnet in Deutschland wieder mörderischer Hass auf Ausländer und Menschen anderer Hautfarbe bemerkbar. So belagerte etwa in Hoyerswerda eine Bande Rechtsradikaler die Unterkünfte von Arbeitern aus Moçambique und Vietnam und terrorisierte tagelang die Bewohner eines Heimes für Asylbewerber, die in Deutschland eigentlich Schutz und Zuflucht suchten. In Rostock zündeten Neonazis unter dem Beifall von Anwohnern und vor den Augen der Polizei eine Aufnahmestelle für Asylbewerber an. In Mölln starben zwei Mädchen durch ein Feuer, das in einem von Türken bewohnten Haus gelegt worden war. Ebenfalls durch einen Brandanschlag kamen in Solingen fünf türkische Frauen und Mädchen ums Leben. Beispiele für den ganz normalen Wahnsinn in deutschen Städten. SO ALT WIE DIE MENSCHHEIT In einer Zeit, in der die Grenzen zwischen den Ländern fallen, werden Fremdenfeindlichkeit und Rassenhass zu einem immer größeren Problem. Gegeben hat es Fremdenfeindlichkeit und Rassenhass seit Menschengedenken. Schon die alten Griechen und Römer hatten aus einem Gefühl der Überlegenheit Vorurteile gegenüber allen Menschen, die nicht aus ihrem Kulturkreis kamen. Sie bezeichneten sie als „Barbaren” (von griechisch barbaros: unverständlich, d. h. nicht griechisch sprechend, roh, ungebildet) und behandelten sie als Minderwertige. Diese Haltung zieht sich von der Antike bis in die Gegenwart. Selbst in den USA, dem Staat, der sich als erster schon bei seiner Gründung zum Schutz der Menschenrechte verpflichtete, hielt man lange Zeit an der Sklaverei fest, Schwarze hatten keinerlei Rechte und wurden nicht als vollwertige Menschen betrachtet; den Indianern ging es nicht besser. Volle Bürgerrechte genießen Afroamerikaner und Indianer in den USA erst seit wenigen Jahrzehnten; unter dem Rassismus der Weißen leiden sie bis heute.
ALLTÄGLICHER RASSISMUS Auch in vielen Ländern Europas ist Fremdenfeindlichkeit noch immer ganz alltäglich. Deutschland bildet da keine Ausnahme. Die Verbrechen Rechtsradikaler, die sich offen zu ihrem Rassenhass bekennen, bilden nur die Spitze des Eisbergs. Nur weil Rassismus als unanständig gilt, heißt das noch lange nicht, dass er nicht existiert. „Wir sind keine ausländerfeindliche Gesellschaft!”, wird von den Politikern nach Verbrechen wie in Hoyerswerda, Rostock oder Mölln stets versichert. Aber manche Fachleute halten bereits das Wort Ausländerfeindlichkeit für eine Verharmlosung, um vom tatsächlichen Rassismus in unserem Land abzulenken. Untersuchungen zeigen, dass Ausländerfeindlichkeit in Deutschland weit verbreitet ist. Je weiter rechts die Bürger in ihren politischen Ansichten stehen und je weniger Bildung sie haben, desto größer ist die Feindseligkeit gegenüber Menschen anderer Hautfarbe, Nationalität und Kultur. Die Ablehnung äußert sich nicht nur in offener Gewalt. Fremdenfeindlichkeit und Rassenhass haben viele Gesichter und beginnen schon im Kleinen, im täglichen Leben, bei Redewendungen und Sprüchen. Vorurteile haben sich über Generationen hinweg festgesetzt und sind selbst noch bei Enkeln und Urenkeln vorhanden – unterschwellig sogar bei denjenigen, die sich gar nicht als fremdenfeindlich, geschweige denn rassistisch empfinden.
DIE WURZELN DES RASSISMUS Dem Rassismus liegt die irrige Annahme zugrunde, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe auch unterschiedliche Eigenschaften haben. Rassisten europäischer Abstammung behaupten z. B., dass Menschen weißer Hautfarbe hochwertiger und leistungsfähiger sind als alle anderen. „Rassenforscher” machten daraus im 19. Jahrhundert sogar eine Art von Wissenschaft. Sie teilten die Menschen in „Grundrassen” ein und unterstellten ihnen bestimmte Merkmale. So erfanden sie etwa den „afrikanischen Köpermenschen”, der ausschließlich von seinen Trieben gesteuert werde, oder den „asiatischen Seelenmenschen” mit der Neigung zur Spiritualität. Als hochwertigste Rasse galt der angeblich vernunftgeleitete weiße „europäische Geistesmensch”. Auf eine grausame Spitze trieben die Nationalsozialisten den Rassismus. Ihre Vorstellung von der Überlegenheit der „germanisch-nordischen Rasse” stützte sich u. a. auf die Lehren des Franzosen Arthur Comte de Gobineau (1816-1882) und des Briten Houston Stewart Chamberlain (1855-1927). Gobineau sah in der „Rassenvermischung” die Ursache für den Untergang von Kulturen und zog gegen sie zu Felde. Chamberlain betrachtete die blonden und blauäugigen „Arier”, d h. die Germanen bzw. die Deutschen, als Erben der Griechen und Römer. Sie müssten sich gegen andere Rassen durchsetzen, um ihren „Auftrag” zu erfüllen. Die „Arier” müssten sich vor allem gegen die Juden durchsetzen, die Chamberlain nicht als Religionsgemeinschaft, sondern als eigene „Rasse” ansah. Die Nationalsozialisten haben diese „Lehre” Chamberlains aufgenommen. Und auf der Grundlage dieser „Lehre” Millionen Menschen ermordet.
ANGST VOR DEM FREMDEN? Wo müssen wir die Gründe dafür suchen, dass wir nicht freudig, neugierig und entgegenkommend auf fremde Menschen aus anderen Kulturen zugehen, um von ihnen zu lernen und an ihren Lebenserfahrungen teilzuhaben? Über die Ursachen von Fremdenfeindlichkeit und Rassenhass wird heftig diskutiert. Vielleicht liegen die tieferen Gründe in unserem engstirnigen Denken? Oder in einer Art abwehrendem Revierverhalten, also in einer Art Verteidigung des eigenen Gebiets? Das Fremde an sich wirkt stets bedrohlich und ruft Verunsicherung hervor. Es konfrontiert mit dem Unbekannten und Ungewohnten. Es zwingt dazu, umzudenken, sich neu einzustellen und altbekannte Gewohnheiten aufzubrechen. Es liegt an uns, diese Ängste zu überwinden und das Fremde und Unbekannte anzunehmen, fremde Menschen und unbekannte Kulturen willkommen zu heißen.
Für Kinder und
Jugendliche (© cpw, 2007) |