Frieden

 

Ganz unverhofft an einem Hügel
Sind sich begegnet Fuchs und Igel.
„Halt”, rief der Fuchs, „du Bösewicht!
Kennst du des Königs Ordre nicht?
Ist nicht der Friede längst verkündigt,
Und weißt du nicht, dass jeder sündigt,
Der immer noch gerüstet geht?
Im Namen seiner Majestät,
Geh her und übergib dein Fell!”
Der Igel sprach: „Nur nicht so schnell!
Lass dir erst deine Zähne brechen,
Dann wollen wir uns weiter sprechen!”
Und allsogleich macht er sich rund,
Schließt seinen dichten Stachelbund
Und trotzt getrost der ganzen Welt,
Bewaffnet, doch als Friedensheld.

 

BEWAFFNETER FRIEDEN

Diese Fabel des deutschen Schriftstellers Wilhelm Busch trägt die Überschrift Bewaffneter Frieden. Fabeln sind belehrende Gleichnisse, in denen Tiere mit den typischen Charaktereigenschaften von Menschen ausgestattet werden. Der Igel steht hier stellvertretend für alle friedliebenden, aber dennoch wehrhaften Völker der Erde, und sein Misstrauen gegenüber dem Fuchs erscheint durchaus berechtigt. Denn Tatsache ist, dass in 3 500 Jahren Menschheitsgeschichte nur 250 Jahre Frieden herrschte. Im selben Zeitraum wurden über 8 000 Friedensverträge geschlossen, die ewig gültig sein sollten. Tatsächlich wurden sie durchschnittlich schon nach zwei Jahren wieder gebrochen. Nicht umsonst hält sich heute jedes noch so friedliebende Land bewaffnete Streitkräfte, wenigstens zur Selbstverteidigung – wie eben der Igel in unserer Fabel.

MEHR ALS DIE ABWESENHEIT VON KRIEG

Unser Wort Frieden kommt vom althochdeutschen Wort fridu, und das bedeutete Schutz, Sicherheit und Freundschaft. Das Völkerrecht erklärt den Frieden zu einem Zustand nichtkriegerischer Beziehungen zwischen Staaten. Doch herrscht tatsächlich schon Frieden, wenn zwischen den Völkern die Waffen schweigen? Wie steht es mit der alltäglichen Gewalt zwischen den Mitmenschen? Und was ist mit all der Ungerechtigkeit auf der Welt? In einem umfassenderen Sinne bedeutet Frieden also die Abwesenheit von Krieg und die Abwesenheit aller Formen von Gewalt, die die Verwirklichung der menschlichen Grundbedürfnisse behindern oder verhindern. Frieden kann aber auch als eine Entwicklung verstanden werden: wenn die Gewalt abnimmt und Gerechtigkeit und Freiheit zunehmen.

DIE KUNST DES STREITENS

Dass der Mensch eine Kämpfernatur hat, können wir im täglichen Leben erfahren. Wenn uns Mitmenschen allzu friedlich oder harmonisch begegnen, kommt uns das direkt unnormal – um nicht zu sagen: verdächtig – vor. Man fragt sich, ob sie womöglich ihre wahren Gefühle nur verbergen. „Streit muss sein”, heißt es im Volksmund. Doch die wahre Kunst des Streitens besteht darin, zu einer für alle Seiten im eigentlichen Sinne des Wortes „befriedigenden” Lösung zu kommen. Das gilt bei Streitigkeiten zwischen einzelnen Menschen ebenso wie bei Konflikten zwischen Staaten und Völkern.

GÖTTLICHE WELTORDNUNG

Bei uns in Europa galt in alter Zeit der Frieden als Grundsatz der göttlichen Weltordnung. Doch als die christliche Einheit am Ende des Mittelalters durch die Spaltung der Kirche zerfiel, brachen Zeiten des ständigen Unfriedens an. Nicht zuletzt wegen unterschiedlicher Überzeugungen in Glaubensfragen gehörten Feindseligkeiten und kriegerische Auseinandersetzungen von nun an zum Alltag.

Landfrieden im Mittelalter
Zur Eindämmung des Faustrechts und der Fehden, mit denen die Adligen ihre Streitigkeiten in Form von Privatkriegen auszutragen pflegten, wurden von den mittelalterlichen Kaisern „Landfrieden” ausgerufen. Übertretungen wurden durch „peinliche”, also schmerzliche Strafen geahndet, auch durch die Todesstrafe. Fortgesetzte Verletzungen des Landfriedens führten dazu, dass sich die Städte zu Landfriedensbünden zusammenschlossen.

DAS ENDE DES KRIEGES ALLER GEGEN ALLE

Im Zeitalter der „Aufklärung”, in der sich die Menschen aus der blinden Gottesgläubigkeit des Mittelalters befreiten, suchten Denker nach einer vernünftigen Rechtfertigung von Staat und Herrschaftsgewalt. Die Menschen erschienen ihnen ziemlich streitsüchtig und gewaltbereit. Deshalb glaubten sie, dass unter den Menschen von Natur aus Mord und Totschlag herrschen würden – sozusagen ein „Krieg aller gegen alle”. Die ständige Angst vor diesem andauernden Krieg hätte die Menschen schlussendlich dazu gebracht, freiwillig durch einen Gesellschaftsvertrag Staaten zu gründen, in denen Recht und Gesetz ein Zusammenleben in Frieden erzwingen.

TRAUM VON EINER WELTFRIEDENSORDNUNG

Mit dem innerstaatlichen Frieden war allerdings noch lange nicht der zwischenstaatliche Kriegszustand behoben. Vorschläge zur Errichtung einer überstaatlichen Ordnungsmacht gab es zwar immer wieder. So machte sich beispielsweise der deutsche Philosoph Immanuel Kant bereits 1795 in seinem Entwurf Zum Ewigen Frieden Gedanken über eine weltumspannende Rechts- und Friedensordnung. Doch erst die bitteren Erfahrungen zweier Weltkriege mit zig Millionen Toten machten die Menschen einsichtig und führten zur Gründung der Vereinten Nationen. Auf der Grundlage eines neu geschaffenen Völkerrechts soll diese Weltfriedensorganisation, der heute fast alle Staaten der Welt angehören, auf Frieden zwischen den Staaten hinwirken. Was ihr freilich nicht immer gelingt, weil sie nicht über ausreichende Mittel gegen Friedensstörer verfügt.

Pazifismus
Die schlimmen Erfahrungen der beiden Weltkriege haben in Europa nach 1945 den Pazifismus gefördert. Der Pazifismus ist eine Bewegung, die die Anwendung von Gewalt - besonders militärischer Gewalt - überwinden will. Doch man muss unterscheiden zwischen „absolutem Pazifismus” und „relativem Pazifismus”. Für die Anhänger der ersten Form kommt verletzende oder tötende Gewalt keinesfalls in Frage. Die Anhänger des relativen Pazifismus halten eine solche Einstellung für verantwortungslos. Für sie ist Gewalt zwar ebenfalls verwerflich. Doch möchten sie auf die Möglichkeit zur Notwehr nicht verzichten. Für sie ist es durchaus vorstellbar, dass Gewalt unter Umständen das geringere Übel zur Abwehr eines größeren Übels darstellen kann.

AUGE UM AUGE, ZAHN UM ZAHN

Freiheit, Recht und Demokratie sind Voraussetzungen für Frieden, aber sie garantieren ihn nicht. Die Beilegung von Streitigkeiten und die Herstellung und Bewahrung des Friedens hängen immer vom guten Willen aller Beteiligten ab. Dass die Menschen nicht vernünftig miteinander streiten können, ist einer der Gründe, warum es auf der Welt so unfriedlich zugeht. So ist es beispielsweise schwierig oder sogar unmöglich, mit jemandem zu einer friedlichen Übereinkunft zu gelangen, der es gewohnt ist, Streitigkeiten mit den Fäusten auszutragen. Dasselbe gilt für jemanden, der nach dem rachsüchtigen Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn” lebt.

FRIEDENSERZIEHUNG IST NÖTIG

Die Menschen neigen dazu, Konflikte mit Gewalt zu lösen. Deshalb ist die Suche nach möglichst gewaltfreien Wegen der Konfliktaustragung eine der wichtigsten Aufgaben der Friedenserziehung und Friedensarbeit. Werte wie Gewaltlosigkeit, Rücksichtnahme, Verständigungsbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein sind dabei bedeutsam; ebenso wichtig ist die Fähigkeit, mit der Streit- und Angriffslust anderer richtig umzugehen. Notwendig ist auch der Abbau von Vorurteilen und Feindbildern, die zu den Hauptursachen für Gewalt zählen. Respekt vor anderen Weltanschauungen und Kulturen sollten ebenso selbstverständlich sein wie uneigennützige Hilfsbereitschaft. Streitigkeiten friedlich zu beenden ist im Grunde nur möglich, wenn bei allen Beteiligten folgende Einsichten herrschen: Konfliktlösungen können nicht aufgezwungen werden. Sie müssen gemeinsam erarbeitet werden, damit ihnen alle Beteiligten zustimmen können. Und es darf am Schluss keinen Gewinner und keinen Verlierer geben.

Wege zum Frieden in der Bergpredigt
Die Bergpredigt Jesu Christi im Neuen Testament zeigt einige sehr erfolgversprechende Wege zum Frieden auf: die Bereitschaft zu großzügiger Vergebung; Fehler und Schwächen nicht immer nur bei den anderen, sondern bei sich selbst suchen; Böses nicht mit Bösem vergelten, sondern durch das Gute besiegen; dem Feind Liebe und wohlwollende Zuwendung entgegenbringen.

WARUM KRIEG?

Möglicherweise liegt es ja an ihrer Verschiedenartigkeit, dass es immer wieder zu Mord und Totschlag zwischen den Menschen kommt. Ein Wolfsrudel ist dem anderen doch sehr ähnlich. Dagegen besteht die Menschheit aus einer Vielzahl von Völkern, Staaten und Nationen. Sie alle haben andere Sitten, Gebräuche, Weltanschauungen und Religionen. Hinzu kommen die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten auf der Welt. Dies sind Anlässe genug für Streit, Neid und Hass. Und die Völker führen tatsächlich immer dann Kriege, wenn sie anderen ihre eigene Meinung und den eigenen Glauben aufzwingen wollen. Oder um ihnen Land, Reichtum und Macht wegzunehmen.

KRIEGER VON NATUR AUS?

Ob der Krieg nun schon in der Natur des Menschen liegt und deshalb gar nicht aus der Welt zu schaffen ist, lässt sich nur schwer klären. Denn erst die letzten 10 000 Jahre geben uns nähere Auskunft über die Entwicklung der Menschheit. Noch vor wenigen Jahren gab es Naturvölker, die überhaupt keinen Krieg kannten. Weil sie den Urmenschen sehr ähnlich waren, folgern manche Forscher, dass es bei unseren frühen Vorfahren ebenfalls sehr friedlich zugegangen sein muss. Solange die frühen Menschen als Jäger und Sammler umherzogen, waren sie alle gleich arm. Dies änderte sich rasch, als sie als Bauern und Städter sesshaft wurden: Nun wurden die Unterschiede im Besitz immer größer, die einen besaßen viel oder sogar sehr viel, die anderen wenig oder nichts. Und das, so glauben einige Forscher, ist die Ursache für den Krieg zwischen den Menschen.

Andere meinen, der Krieg sei so alt wie die Menschheit selbst. Ohne die ständige Gefahr, den Beute- und Rachezügen anderer Horden zum Opfer zu fallen, hätten die Menschen gar nicht den Zusammenhalt in der Gruppe gesucht. Dann wäre es auch nie zu Staaten gekommen, in denen es sich im Schutz von Recht und Gesetz sicher leben lässt. Und ein Blick in die Frühgeschichte zeigt tatsächlich, dass im alten Griechenland schon lange vor der Bildung richtiger Staaten bewaffnete Auseinandersetzungen zum Alltag gehörten. Und fest steht auch, dass es erst mit der Entstehung der griechischen Stadtstaaten erste Versuche gab, die andauernden Kriege durch Bündnisse und Friedensordnungen zu begrenzen.

RECHT DES STÄRKEREN

Der Begriff Krieg hat sich im Laufe der europäischen Geschichte gewandelt. Im engeren Sinn bezeichnet man heute die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten als Krieg. Ursprünglich jedoch kommt das Wort vom mittelhochdeutschen Ausdruck kriec, und das bedeutet „Rechtsstreit”. Das Wort stammt also aus einer Zeit, in der Gerichte noch selten waren. Um bei Streitigkeiten zu ihrem Recht zu kommen oder um Machtfragen zu klären, blieb zum Beispiel den Adeligen im Mittelalter nur die Fehde. Das heißt, sie mussten mit ihrem Gefolge ausziehen und um Recht oder Macht kämpfen. Später ging das Recht zur Fehde und damit zum Krieg auf die Könige und Fürsten über. Denn sie waren die Einzigen, die nicht dazu gezwungen werden konnten, sich dem Schiedsspruch eines Richters zu beugen.

Christliche Kriegsführung
Im Mittelalter gab es umfangreiche Regelwerke zur christlichen Kriegsführung. So war z. B. der Einsatz von Armbrust oder Pfeil und Bogen verboten, weil es sich dabei um die typischen Waffen aufständischer Bauern und Bürger handelte. Im Krieg zwischen verfeindeten Christen mussten sehr viele Rücksichten genommen werden. Wenn es allerdings gegen aufständische Bauern oder „heidnische” Völker wie Slawen oder Muslime ging, war so gut wie alles erlaubt.

GERECHTER UND UNGERECHTER KRIEG

Da der Krieg stets Tod und Zerstörung bringt, benötigten vor allem die christlichen Herrscher gute Gründe, ihn zu rechtfertigen. Sie wollten ja nicht als Sünder dastehen – lautet doch das 6. Gebot: Du sollst nicht töten! Unterstützung bekamen sie dabei ausgerechnet von der Kirche. Diese erlaubte ihnen den „gerechten Krieg” als Strafe für Unrecht oder zur Wiederherstellung des Friedens. Das war nicht neu. Denn schon die alten Römer pflegten einen „gerechten” Grund für den Krieg zu suchen. Was sie freilich nicht davon abhielt, sich ein Weltreich zu erobern.

Mit dem „gerechten Krieg” war es spätestens vorbei, als sich die Christenheit im Streit um die Erneuerung der Kirche in Katholiken und Protestanten spaltete. Diese Zeit nennt man Reformation. Danach tobten in Europa eineinhalb Jahrhunderte lang erbitterte Religionskriege um den rechten Glauben. Am bekanntesten ist der Dreißigjährige Krieg (1618-1648), an dem die meisten Staaten Europas beteiligt waren.

KRIEG ALS NORMALES MITTEL DER POLITIK

Im Verlauf der weiteren Geschichte wurde der Krieg zu einem ganz normalen Mittel der Politik zwischen den Staaten. Für den preußischen General Carl von Clausewitz etwa war Anfang des 19. Jahrhunderts der Krieg gar nichts Verwerfliches mehr. „Nicht die Ächtung des Krieges führt zu seiner Begrenzung, denn sie beraubt den Überfallenen seiner Verteidigung”, meinte er. „Allein die Vorbereitung der Fähigkeit, einen Krieg zu führen, bietet die Möglichkeit zur Kriegsverhinderung.” Diese Ansichten gelten bis heute. Nicht umsonst hält sich jeder noch so kleine Staat Soldaten und Kriegsgerät mindestens zur Selbstverteidigung.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts kam es in vielen Ländern Europas zu einer regelrechten Begeisterung für alles Militärische. Auch die Staaten gaben sich in ihrer Politik entsprechend militaristisch. Alle wollten Großmacht sein und trumpften mit Waffen und Armeen auf. Dies ging sogar so weit, dass sich die europäischen Staaten einen Wettlauf um die Aufteilung der Welt lieferten. Möglichst viele schwächere Länder auf anderen Kontinenten wurden unterworfen, zu Kolonien gemacht und ausgebeutet. Diese Einstellung führte schlussendlich in den 1. Weltkrieg, der viele Millionen Menschen das Leben kostete.

DER TRAUM VON EINER FRIEDLICHEREN WELT

Um endgültig zu Besinnung zu kommen, bedurfte es noch des viel grauenhafteren 2. Weltkrieges. Dieser artete derart aus, dass er als „totaler Krieg” in die Geschichte eingegangen ist. Der Schock über das Ausmaß der Zerstörungen und die beispiellosen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in diesem Krieg führte zu einem Umdenken. Mit der Gründung der Vereinten Nationen 1945 schien erstmals eine dauerhafte Friedensordnung in greifbare Nähe zu rücken. Dies ist aber ein Traum geblieben. Die „echten” Kriege zwischen Staaten sind zwar deutlich zurückgegangen. An ihre Stelle sind verdeckte Kriege, Bürgerkriege und der Terrorismus getreten. Völkermord, Flucht und Vertreibung haben inzwischen mehr Todesopfer gefordert als die beiden Weltkriege zusammen.

In Europa herrschte nach dem 2. Weltkrieg über 50 Jahre lang Frieden, obwohl sich der Westen und der Osten spinnefeind waren. Wer jedoch meint, die Menschen seien endlich zur Vernunft gekommen, der irrt. Sie trauten sich nur nicht. Denn beide Seiten hatten Atomraketen, mit denen sie sich gegenseitig in Schach hielten. Die Sprengkraft dieser Waffen hätte ausgereicht, um alle Städte der Welt sieben Mal zu zerstören. Diesen Zustand nannte man das „Gleichgewicht des Schreckens”. Bezeichnenderweise ist die Zeit auch nicht als „Langer Frieden” sondern als „Kalter Krieg” in die Geschichte eingegangen.

Die Zivilisten sind die Opfer
Von Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu seinem Ende hat sich das Verhältnis von getöteten Soldaten zu zivilen Opfern von 8:1 auf 1:8 umgekehrt hat, d. h., in einem Krieg kommen auf einen getöteten Soldaten acht getötete Zivilisten. 40 Prozent aller Todesopfer sind Minderjährige.

 

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)