Gesellschaft

 

Die Zugehörigkeit zur Gesellschaft ist die Grundlage menschlichen Daseins. Menschen sind von Natur aus gesellige Lebewesen. Ohne den Umgang mit anderen Menschen verkümmern sie geistig, körperlich und kulturell. Zum gesellschaftlichen Miteinander gehört auch eine soziale Einstellung: Dass sich Eltern um ihre Kinder kümmern, unterscheidet sie noch nicht von den Tieren. Dass sie aber auch Kranken, Alten und Schwachen helfen, ist recht einzigartig in der Natur.

GESELLSCHAFTLICHE RANGORDNUNG – EINE HACKORDNUNG?

Menschen tun sich offenbar schwer damit, andere als Gleiche anzuerkennen. Das Ringen um eine höhere Stellung durchzieht die gesamte Gesellschaftsgeschichte. Die Rangordnung bei den Menschen erinnert an die Hackordnung bei den Herdentieren, die ja ebenfalls gesellige Lebewesen sind. Im Tierreich setzt sich der Stärkere gegen die Schwächeren durch. So einfach ist es in der menschlichen Gesellschaft nicht. Denn anders als Tiere verfügen wir Menschen nicht nur über Körperkraft, sondern auch über Geisteskraft. Sie gibt uns ein Bewusstsein für Würde und ein Gefühl für Ungerechtigkeit. Deshalb finden wir uns schwer damit ab, wenn wir unterlegen sind oder ungleich behandelt werden. Es sei denn, wir glauben, dass Ungleichheit der Wille Gottes ist. Und genau so war es über sehr lange Zeit, bis ins Zeitalter der Aufklärung im 18. Jahrhundert.

Verschiedene Formen der Gesellschaft
Die Soziologie, die Wissenschaft von der Gesellschaft, unterscheidet zwischen der genossenschaftlichen Gesellschaft, die weitgehend egalitär ist, also auf Gleichheit abzielt, und der Herrschaftsgesellschaft, in der die Macht ungleich verteilt ist. Die Herrschaftsgesellschaft wird wiederum unterteilt in die ständische Gesellschaft, in der die Stellung des Menschen durch seine Herkunft vorbestimmt ist, und in die bürgerliche Gesellschaft, in der die Möglichkeit zum gesellschaftlichen Auf- oder Abstieg gegeben ist.

STÄNDISCHE GESELLSCHAFT

In den früheren Epochen der Geschichte finden wir fast überall eine Abstufung der Gesellschaft in verschiedene Stände. Ein Stand war ein geschlossener Personenkreis, der sich von den anderen in Kleidung, Verhaltensweisen und Rechten unterschied. Bereits in der Antike gehörte jede Familie einem Stand an. Im Mittelalter entschied sich der Platz, den der Mensch in der Gesellschaft einnahm, bereits bei der Geburt. Der Sohn eines Bauern z. B. konnte noch so begabt sein – er war zum Leben als Bauer verurteilt. Und damit obendrein unfrei, denn die meisten Bauern waren „Hörige”, sie gehörten also einem adligen Grundherrn. Ein Adliger dagegen konnte noch so unfähig sein, er war dennoch zum Herrn geboren.

An der Spitze der Stände stand der Adel, gefolgt von Klerus (Geistlichkeit), Bürgertum und Bauern. Auch innerhalb der Stände gab es Rangunterschiede: So begann die Rangfolge des Adels mit den Kaisern oder Königen, ging weiter über die Kurfürsten, Grafen und Reichsritter und endete bei Landadligen wie Freiherren oder Junker. Der Klerus reichte vom adligen Fürstbischof bis hinab zum kleinen Dorfpfarrer. Adel und Klerus, also der erste und der zweite Stand, stellten im Mittelalter kaum mehr als 1 Prozent der Bevölkerung. Die Bürger (Stadtbewohner) bildeten den dritten Stand und brachten es auf etwa 25 Prozent, also ein Viertel der Gesamtbevölkerung.

Drei Viertel – 75 Prozent der Bevölkerung – entfielen auf den Bauernstand, zu dem auch die landlosen Tagelöhner zählten. Die Bauern unterschieden sich in freie Bauern, die manchmal auch zum dritten Stand gezählt werden, und die unfreien, die Hörigen. Aber es gab auch noch eine unterste Gruppe. Zu ihr gehörten gesellschaftlich verachtete Personen wie Bettler, Vagabunden und Personen mit „unehrlichen” Berufen wie Henker, Schinder oder Dirne ebenso wie unehelich geborene Menschen und gesellschaftlich verachtete Personen wie Zigeuner oder Juden, die wegen ihrer Religion diskriminiert wurden.

BÜRGERLICHE GESELLSCHAFT

In den Städten bildete sich im hohen Mittelalter, ab etwa dem 11. Jahrhundert, die bürgerliche Gesellschaft heraus: Die Handwerker und Kaufleute, die dem städtischen Bürgertum angehörten, kamen zu Reichtum. Das machte sie selbstbewusst, und sie wollten nun nicht mehr einsehen, dass sie weniger Rechte haben sollten als die Adligen. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts erkämpfte sich das Bürgertum politische Mitwirkung in den Städten. Da es aber reiche, weniger reiche und arme Bürger gab, teilte sich auch der Bürgerstand in mehrere Schichten: Oberschicht, Mittelschicht, Unterschicht.

GESELLSCHAFTLICHE SCHICHTEN UND KLASSEN

Die Ordnung der Gesellschaft nach Ständen zerfiel, als das Bürgertum während der Französischen Revolution 1789 unter der Losung „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit” begann, die Adelsherrschaft abzuschütteln. In der neuen bürgerlichen Gesellschaft traten nun die Schichten an die Stelle der Stände. Verlierer war die Unterschicht, die kein Eigentum besaß. Die Besitzbürger, also die Bürger, die über einiges Geld verfügten, nutzten die neuesten technischen Erfindungen wie etwa die Dampfmaschine, bauten Fabriken und leiteten die Industrialisierung ein. Die Besitzlosen waren gezwungen, ihren Lebensunterhalt durch bezahlte Lohnarbeit in diesen Fabriken zu bestreiten.

Zu Beginn des Industriezeitalters beutete das Besitzbürgertum, auch Bourgeoisie (sprich: Bur-schwa-sie) genannt, die Lohnarbeiterschaft, auch Proletariat genannt, schamlos aus. Die Gesellschaft zerfiel in eine Klassengesellschaft. Aus welcher Familie man stammte, spielte im Grunde keine Rolle mehr. Was von nun an zählte, war Kapital, also Geld- und Sachvermögen.

Gesellschaftsgeschichte – ein andauernder Klassenkampf
Karl Marx, der geistige Vater des Kommunismus, hatte die industrielle Revolution miterlebt. Er erklärte die Gesellschaftsgeschichte als eine andauernde Abfolge von Klassenkämpfen. In seiner berühmtesten Schrift, dem Kommunistischen Manifest, schrieb er: 'Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedes Mal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen. [...] Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat.'

DIE GESELLSCHAFT IM SOZIALSTAAT

Und so ist es eigentlich bis heute geblieben. Die Klassengegensätze haben sich inzwischen zwar erheblich abgeschwächt, aber die Schichtung der Gesellschaft ist geblieben. Aber während die Gesellschaftsschichtung im 19. Jahrhundert bildlich einer Pyramide glich mit vielen Armen an ihrem Fundament und wenigen Reichen an ihrer Spitze, so sieht sie heute wie eine Zwiebel aus: Wenige Superreiche am einen und wenige ganz Arme am anderen Ende und dazwischen eine sehr breite Mittelschicht. Dass das so ist, ist ein Verdienst des Sozialstaates. Der bemühte sich um die soziale Sicherung seiner Bürger und um einen Ausgleich zwischen Arm und Reich und sorgte so für eine Einebnung der gesellschaftlichen Ungleichheiten.

Unsere sehr breite Mittelschicht ließe sich noch weiter untergliedern. Denn es gibt doch erhebliche Unterschiede zwischen ihren Mitgliedern: zwischen Klein- und Mittelunternehmern, Geschäftsleuten, Selbstständigen, Managern, Freiberuflern, Regierungsbeamten, Juristen, Wissenschaftlern mit hohen Gehältern und den kleinen lohnabhängigen Angestellten und Beamten des mittleren Dienstes. Auch die Arbeiterklasse gibt es noch. Teile davon, etwa gut ausgebildete Facharbeiter, können der Mittelschicht zugerechnet werden, während ungelernte Hilfsarbeiter bereits zur Unterschicht gehören. Die Unterschicht schließt auch alle gesellschaftlich Verachteten ein wie Langzeitarbeitslose, Obdachlose, Drogensüchtige usw. Geblieben sind auch soziale Ungleichheiten z. B. zwischen Mann und Frau und zwischen in- und ausländischen Mitbürgern.

Zwar wird heute manchmal behauptet, dass es überhaupt keine Schichten und Klassen mehr gäbe; tatsächlich aber bestehen sie fort. Der größte Unterschied zu der alten Ständeordnung liegt darin, dass durch Leistung ein Aufstieg in der Gesellschaft möglich ist.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)