Inka

 

Sie hielten sich für die Herren der Welt. Vor der Eroberung Südamerikas durch die Spanier erstreckte sich das Reich der Inka über rund 4 000 Kilometer von Nord nach Süd und von den Gipfeln der Anden bis zur Küste des Pazifischen Ozeans. Der mächtigste Herrscher in der Geschichte dieses Indianervolkes war Huayna Capac (um 1493 bis 1527). Er wurde ebenso wie alle seine Vorgänger als Sohn der Sonne verehrt, als Abkömmling des höchsten Gottes der Inkareligion also.

Huayna Capac war nicht nur der Oberste Inka; er war der Inka höchstpersönlich. Das Wort bedeutet nämlich eigentlich König. Als das Reich der Inka 1532 durch die Spanier zerstört wurde, zog sich der letzte Inkaherrscher mit seinem Gefolge in die Berge zurück. Dort, im undurchdringlichen Dschungel, kämpften sie um das Überleben ihrer Kultur in der letzten Stadt der Inka, in Vilcabamba.

ALTE BERGSPITZE

Auf der Suche nach dieser legendären Stadt machte der Amerikaner Hiram Bingham 1911 eine der aufregendsten archäologischen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts: Er fand die Ruinen der prachtvollen Inkastadt Machu Picchu („alte Bergspitze”) – so genannt, weil Bingham nicht sicher war, ob es sich um Vilcabamba handelte. Der Anblick der Stadt ist überwältigend. Von keinem Punkt des Tales aus zu sehen, schmiegt sie sich an einen steilen Gebirgsstock. Wie kein anderer Fund legt Machu Picchu Zeugnis ab von der großartigen Geschichte und Kultur der alten Inka. Die Stadt hatte wahrscheinlich etwa 4 000 Einwohner.

VORGESCHICHTE

Die Vorfahren der Inka stammten ursprünglich aus den Hochebenen der Anden in Peru. Der kleine kriegerische Stamm wanderte um das Jahr 1100 in das Tal von Cuzco ein, wo er seine Hauptstadt und zentralen Heiligtümer errichtete. In den darauf folgenden 300 Jahren überfielen die Inka zwar immer wieder ihre Nachbarn, aber nicht um Land zu erobern, sondern um sich an ihnen zu bereichern. Dies änderte sich erst unter ihrem Herrscher Viracocha Inka, der in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts lebte. Nun eroberten die Inka umfangreiche Gebiete und unterwarfen die Stämme, die dort wohnten, doch sie vermieden übermäßige Grausamkeit und behandelten ihre neuen Untertanen gerecht. Sie verlangten allerdings, dass die Unterworfenen ihre Staatssprache, das Quechua, übernahmen und ihren Gottkönig verehrten. Ansonsten durften sie ihre eigene Religion behalten. Das Quechua war übrigens die Muttersprache der Indianer im Tal von Cuzco schon vor der Inkazeit. Es wird noch heute von mehreren Millionen Menschen in Peru und Ecuador gesprochen.

Unglaubliche Leistungen
Der eigentliche Inkastaat existierte nicht einmal ein Jahrhundert lang und das, was man als Inkareich bezeichnen könnte, sogar weniger als ein halbes Jahrhundert. Deshalb wurden immer wieder Zweifel geäußert, ob sich die ungeheuren Leistungen überhaupt in derart kurzer Zeit hätten bewerkstelligen lassen können. Es gibt einige Historiker, die die Ursprünge der Inka gerne um einige Hundert, ja sogar um tausend Jahre zurückdatieren würden.

BAUERNSTAAT

Es sind vor allem die eindrucksvollen Bauwerke, die bis heute von der ungeheuren Tatkraft der Inka zeugen. So sind die steilen Berghänge von Kolumbien über Ecuador, Peru, Bolivien bis Chile und Argentinien noch immer übersät mit Terrassenbauten, die einen Eindruck von der hoch entwickelten Landwirtschaft dieses fleißigen Bauernvolkes geben. Der Oberste Inka setzte Fachleute ein, die seinen Untertanen zeigten, wie man Steinterrassen und Bewässerungsanlagen anlegt, und sie in den Techniken der Aussaat, Düngung und Ernte unterwiesen.

Angebaut wurden vor allem Kartoffeln, Mais und Paprika. Man züchtete Alpakas wegen der Wolle und Lamas wegen des Fleisches und als Lasttiere. Als Haustiere wurden außerdem Hunde, Meerschweinchen und Enten gehalten. Haupterzeugnisse der Inkahandwerker waren reich verzierte Keramik, Stoffe, Gewänder, Goldschmuck, Werkzeuge und Waffen. Die Inkawirtschaft erinnert ein wenig an den Sozialismus: Das Land gehörte der Allgemeinheit, und die Bauern mussten einen Großteil der Erträge abliefern. Diese wurden in öffentlichen Vorratshäusern eingelagert und in Zeiten der Not, etwa nach Missernten, an die Bevölkerung verteilt.

Gemüse in 4 000 Meter Höhe
Mit ihren Terrassenanlagen haben es die Inka geschafft, selbst die Steilhänge der Anden bis in eine Höhe von 4 000 Metern nutzbar zu machen und vor Erosion (Erdabtragung) durch den Regen zu schützen. Ihre mit Erde hinterfüllten Stützmauern – andenes genannt – findet man im gesamten ehemaligen Inkareich. Sie haben eine Gesamtlänge von mehreren Zehntausend Kilometern.

GENIALE BAUMEISTER

Zu den eindrucksvollen Hinterlassenschaften der Inka gehören aber auch prachtvolle Tempel, Paläste und Festungsanlagen. Errichtet wurden diese Gebäude teilweise mit dem beeindruckenden so genannten Zyklopenmauerwerk. Es besteht aus riesigen geglätteten Felsblöcken, die genau aneinander angepasst und ganz ohne Mörtel zusammengefügt sind. Weitere bemerkenswerte Leistungen der Inkabaumeister waren Bewässerungskanäle und Aquädukte sowie Hängebrücken aus geflochtenen Pflanzenfasern, mit denen sie in schwindelnder Höhe bis zu 100 Meter breite Schluchten überwanden.

Obwohl sie keine Reittiere oder Wagen hatten, unterhielten die Inka ein gut ausgebautes Wegenetz. Auf ihm konnten Stafettenläufer bis zu 400 Kilometer am Tag zurücklegen, um Botschaften oder Waren von einem Ort zum anderen zu transportieren. Um ihre Botschaften „aufzuschreiben”, verwendeten die Inka nicht Buchstaben und ein Schreibmaterial wie Papier, Stein oder Ton, sondern Quibus. Das waren Bündel aus verschiedenfarbigen Schnüren, die nach bestimmten Systemen verknotet und miteinander verknüpft wurden.

Kuriose Theorien
Die Inka kannten weder das Rad noch Eisenwerkzeuge. Es ist nach wie vor ein Rätsel, wie es ihnen gelang, die riesigen Felsblöcke zu bearbeiten, zu transportieren und ohne Mörtel derart exakt zusammenzusetzen, dass nicht einmal eine Messerklinge in die Fuge passt. Dies hat bereits zu den kuriosesten Theorien geführt. Manche glaubten, die Inka bekamen Hilfe von Außerirdischen. Andere meinten, sie hätten eine Säure erfunden, mit der man Steine erweichen konnte, um sie zu bearbeiten.

GÖTTERWELT

Ebenso wie der Staat war auch die Religion der Inka streng geregelt. Ihr oberster Gott war Viracocha, Schöpfer und Beherrscher aller Lebewesen. Weitere wichtige Gottheiten waren der Sonnen-, der Sternen- und der Wettergott sowie die Mond-, die Erd- und die Meeresgöttin. Die religiösen Rituale der Inka drehten sich hauptsächlich um Landwirtschaft und Gesundheit. Bei wichtigen Zeremonien opferte man den Göttern Tiere, in seltenen Fällen auch einmal Menschen.

Auch die Inka kannten Mumien
In einem Armenviertel am Rand der peruanischen Hauptstadt Lima wurde einer der größten Friedhöfe aus der Inkazeit entdeckt. Allein unter einem Schulhof konnten Archäologen mehr als 120 Mumienbündel aus dem trockenen Boden bergen. Bei drei Grabungen legten die Forscher gut 2 200 Mumien von Menschen aus allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten frei.

DAS ENDE DES INKAREICHES

Der spanische Abenteurer und Eroberer Francisco Pizarro (1476-1541) hatte von dem großen Reichtum und der Macht der Inka gehört und versprach sich reiche Beute. Wider Erwarten hatte er bei seinem Eroberungszug leichtes Spiel. Als er 1532 mit nur 180 Mann nach Peru vorstieß, herrschte dort gerade Krieg: Die Halbbrüder Huascar und Atahualpa kämpften um die Herrschaft. Denn der letzte Inkakönig Huayna Capac war gestorben, ohne einen seiner Söhne als Nachfolger zu benennen. Am Ende besiegte Atahualpa seinen Halbbruder und übernahm alleine die Herrschaft.

Pizarro nutzte die Schwäche des vom Krieg gezeichneten Reiches aus. Außerdem kam den Eroberern zugute, dass die Inka sie wegen ihrer hellen Haut für Götter hielten, die auf die Erde zurückgekehrt waren. Innerhalb kurzer Zeit hatte Pizarro mit seinen 180 Mann die Inka besiegt. Atahualpa wurde gefangen genommen, obwohl er den Spaniern eine gewaltige Summe an Lösegeld zahlte, und wenig später ließ ihn der spanische Eroberer auf grausame Weise hinrichten. Das einst mächtige Inkareich war untergegangen. Viele Kunstwerke der Inka fielen der Gier der Eroberer zum Opfer: Wertvolle Arbeiten aus Gold und Silber wurden einfach eingeschmolzen. Die Eroberung des Inkareiches war auch Francisco Pizarros Untergang: Im Streit um Macht und Gold wurde er 1541 von aufständischen Soldaten umgebracht.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)