Iwan IV.,

der Schreckliche

 

Er war der erste Zar Russlands, und er ließ sich als Auserwählter Gottes verherrlichen. Noch heute, weit über 400 Jahre nach Iwans Tod, gibt es russisch-orthodoxe Mönche, die seinem Befehl gehorchen. Nämlich dann, wenn sie bei Seelenmessen in endlosem Gemurmel Tausende von Toten namentlich aufrufen. Denn in einem Anfall von Reue hatte Iwan am Ende seiner Tage die Klöster angewiesen, für die Opfer seiner Schreckensherrschaft „bis in alle Ewigkeit” zu beten. Und Opfer gab es mehr als genug. Denn der Tyrann, der bis heute eine Menge Rätsel aufgibt, führte eine neuartige Herrschaftsmethode ein, die die meisten nachfolgenden Machthaber Russlands immer wieder nachahmten: den Terror.

KEINE GLÜCKLICHE KINDHEIT

Iwan wurde am 25. August 1530 als Sohn des Großfürsten von Moskau, Wassilij III., geboren. Als er drei Jahre alt war, starb sein Vater, und Iwan trat offiziell dessen Nachfolge an. Vier Jahre später starb auch noch seine Mutter. Der verwaiste Iwan erlebte nun unter der Knute von Mönchen, die seine Erziehung übernahmen, eine bittere Kindheit hinter den Mauern der düsteren Kreml-Festung. Die Regierungsgeschäfte führte ein Rat aus Bojaren (Adligen niederen Ranges) für ihn. Sie rangen mit feiger Hinterhältigkeit und brutaler Gewalt um die Macht – ohne sich um Iwan zu kümmern. Das Aufwachsen in dieser rohen Umgebung ging nicht spurlos an Iwan vorüber.

DER ERSTE ZAR

Iwans Leben war von Beginn an von Gewalt geprägt. Als Zwölfjähriger soll er mit großem Vergnügen Hunde und Katzen vom Dach des Palastes geworfen haben. Im Alter von 13, so wird erzählt, habe er einen seiner Vormunde nackt auf offener Straße erschlagen lassen. Mit 14 ritt er angeblich mit seinem Pferd im vollen Galopp auf Moskaus Straßen alle nieder, die nicht rechtzeitig zur Seite springen konnten. Mit 16 schließlich bestieg er als Iwan IV. den Fürstenthron, und im Jahr darauf, 1547, ließ er sich zum ersten Zaren Russlands krönen.

Caesar – Kaiser – Zar
Zar kommt vom lateinischen Wort Caesar - wie übrigens auch das deutsche Wort Kaiser. Als der junge Iwan als erster russischer Herrscher den Titel Zar annahm, wollte er eine geschichtliche Verbindung zum untergegangenen byzantinischen Kaisertum knüpfen und sein Reich politisch und kirchlich in dessen Nachfolge stellen.

REFORM UND EXPANSION

Zunächst erlebte das Land eine Glanzzeit. Der junge Zar ließ Paläste, Kirchen, ja ganze Städte bauen, förderte den Handel und holte ausländische Fachleute ins Land. Außerdem ordnete er die Verwaltung neu und berief die erste russische Ständeversammlung ein, in der – mit Ausnahme der Bauern – jeder Stand vertreten war. Auch seine Armee baute Iwan aus, u. a. indem er die Strelitzen gründete, eine mit Feuerwaffen ausgerüstete Elitetruppe. So führte er erfolgreich Kriege gegen die Tatarenreiche Kasan und Astrachan und weitete das Zarenreich auf das gesamte Wolgabecken aus. Keinen Erfolg dagegen hatte er im Norden: Sein Versuch, für Russland einen Zugang zur Ostsee zu erkämpfen, scheiterte. In der Folge wandte er sich nach Osten und begann mit der Eroberung und Erschließung von Sibirien. Insgesamt verdoppelte Iwan im Lauf der Jahre sein Herrschaftsgebiet und machte Russland zu einem riesigen Vielvölkerstaat.

Die Stroganows und Sibirien
Östlich des Uralgebirges erstreckt sich Sibirien, zu Zeiten Iwans IV. ein weites, unerschlossenes Land. Im Jahr 1558 stellte Iwan der Kaufmannsfamilie Stroganow eine 'Besitzurkunde' für dieses riesige Gebiet aus. In der Folge eroberten die Stroganows mit Hilfe einer Privatarmee große Teile Sibiriens, ließen dieses unwirtliche Gebiet erforschen und erschließen, gründeten Städte und bauten vor allem ihr eigenes Handelsunternehmen immer weiter aus.

DIE OPRITSCHNINA – FURCHT UND SCHRECKEN

Die Erfahrungen während seiner Kindheit hatten Iwan zu einem erbitterten Gegner der Bojaren werden lassen. In den ersten zehn, zwölf Jahren seiner Regierung erwies er sich jedoch noch als gemäßigter und umsichtiger Herrscher. Als aber 1560 seine geliebte Frau Anastasia Romanowa starb, verfiel der Zar ohne ihren mäßigenden Einfluss zusehends der Grausamkeit und Gewalt und wurde immer unberechenbarer. Nun begann er mit den Bojaren abzurechnen und seine Alleinherrschaft zu festigen: Er enteignete die Bojaren und vertrieb sie von ihrem Land; ganze Familien ließ er ermorden. Die enteigneten Güter – auf russisch Opritschnina – verteilte Iwan an niedere Adlige, die ihm dafür als Leibwache dienten. Diese so genannten Opritschniki verbreiteten in Iwans Namen Furcht und Schrecken; jeden, den sie als Feind des Zaren ansahen, durften sie umbringen und ausplündern. 1570 ließ Iwan sogar die Stadt Nowgorod vernichten und Tausende Einwohner ermorden, weil sich die Stadt angeblich gegen ihn verschworen hatte.

Als die meisten russischen Bojaren beseitigt waren und der klägliche Rest nicht mehr aufzubegehren wagte, wandte sich Iwans Terror gegen die Klöster. Zuletzt berief der Zar sogar junge Angehörige der Opfer seines Terrors in seine Terrortruppe der Opritschniki, damit sie dort an ihren einstigen Peinigern blutige Rache nehmen konnten. Die Überbleibsel der Truppe löste er nach dieser letzten „Säuberung” auf. Später hat man Iwans Schreckensherrschaft insgesamt Opritschnina genannt.

EIN BITTERES ENDE

Durch das fortwährende Morden hatte sich der Herrscher jedoch selbst seiner fähigsten Männer beraubt. Das Reich konnte nun nicht mehr gegen Angriffe verteidigt und zusammengehalten werden. Und so kam es, dass Russland verfiel – und mit ihm der Zar.

Am Ende erschlug der Zar im November 1581 sogar seinen eigenen Sohn. Aus Wut über ein unzüchtiges Kleid war der Zar mit einer Eisenstange auf seine schwangere Schwiegertochter losgegangen. Als sich der junge Thronfolger schützend dazwischenwarf, wurde er tödlich verletzt. Damit war der letzte von Iwans fünf Söhnen gestorben, der als Einziger in der Lage gewesen wäre, die Herrschaft zu übernehmen. Denn drei seiner Söhne waren schon im Kindesalter gestorben, und der vierte, Fjodor, war schwachsinnig. Von Gram und Reue seelisch und körperlich zerfressen, starb Iwan IV. am 18. März 1584, und das Zarenreich versank für lange Zeit im Chaos. Die Nachwelt hat Iwan den Beinamen „der Schreckliche” gegeben.

Der Erfinder des Staatsterrors
Iwan der Schreckliche gilt als Erfinder des totalitären Staatsterrors, der in Russland im 20. Jahrhundert unter Jossif Stalin seinen Höhepunkt erlebte. Hier wie dort konnte es jeden treffen, jederzeit, an jedem Ort und ohne ersichtlichen Grund. Und hier wie dort wurden Familien ausgelöscht und mit ihnen ihr Besitz und ihr Andenken. Vom Opfer sollte nichts bleiben – so als hätte es nie existiert. Rund 4 000 politische Morde werden Iwan zugeschrieben, begangen zumeist an Adligen und Geistlichen, ihren Familien und Dienerschaften.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)