Kolonialismus

und

Imperialismus

 

Als der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz 1883 an der Westküste Afrikas an Land geht, sieht er nichts als Öde, so weit das Auge reicht. Dennoch kauft er das Gebiet in der Wüste Namib einem Häuptling der Hottentotten (wie die Deutschen das Volk der Khoikhoin abschätzig nennen) für 10 000 Goldmark sowie 260 Gewehre ab. Wenig später unterstellt er das Gebiet dem Schutz des Deutschen Reiches. Damit geht ein Traum vieler Deutscher in Erfüllung: Endlich hat das Deutsche Reich seinen „Platz an der Sonne” neben den anderen Großmächten Europas. Denn es hätte nicht mehr lange gedauert, und die anderen Großmächte hätten den Globus unter sich aufgeteilt – ohne einen Anteil für Deutschland.

Doch die Freude über die erste Kolonie „Deutsch-Südwestafrika” währt nicht lange. In dem Gebiet lebt auch das Volk der Herero. Die schließen zwar einen „Schutzvertrag” mit den Deutschen. Aber entgegen dem Vertrag nehmen ihnen die deutschen Siedler Land und Wasser weg. 1904 kommt es zu einem großen Aufstand: Die Herero überfallen die Farmen der deutschen Siedler und zerstören die neu gebaute Eisenbahnlinie. Der deutsche Kaiser schickt Soldaten. Und gegen die Kanonen und Maschinengewehre der Deutschen sind die Eingeborenen machtlos. Ein Großteil von ihnen wird getötet, der Rest versklavt.

Den Herero erging es damit kein bisschen besser als Millionen von Menschen rund um den Erdball, die in den Jahrhunderten zuvor unter die Knechtschaft selbst ernannter weißer Herren geraten waren.

EROBERUNG DER WELT

Kolonien in Form von Handelsniederlassungen und Siedlungen außerhalb des Mutterlandes gab es schon im Altertum, z. B. bei den Phöniziern, den Griechen und den Römern. Das Wort „Kolonie” kommt vom lateinischen colonia, und das heißt „Niederlassung”. Als Kolonialismus bezeichnet man allerdings nur die gezielte Besitznahme und Unterwerfung von Gebieten in Übersee, die von den Europäern zur Stärkung ihrer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Macht in der Neuzeit betrieben wurde, also ab etwa 1500. Die letzte Phase des Kolonialismus in den Jahren 1840 bis 1914 ging als Zeitalter des Imperialismus in die Geschichte ein. Dieses Wort kommt vom lateinischen imperare für „herrschen”. In dieser Zeit entbrannte ein regelrechter Wettlauf zwischen den europäischen Staaten, den USA und Japan um die restlichen „herrenlosen” Gebiete auf der Erde.

DIE WELT UND EUROPA IM WANDEL

Die Geschichte des Kolonialismus begann gegen Ende des Mittelalters. Mutige Seefahrer wagten sich entlang der Küsten Afrikas immer weiter nach Süden vor, umrundeten endlich das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas und fanden schließlich den Seeweg nach Indien. Nach und nach drangen sie dann immer weiter nach Osten vor, bis nach China und Japan. In der anderen Richtung, nach Westen, wagte sich Christoph Kolumbus auf den unbekannten, offenen Ozean hinaus und entdeckte 1492 Amerika für die Europäer.

Durch die Entdeckungen blühte das Wirtschaftsleben in Europa auf. Gold und Silber aus den eroberten Ländern förderten die Geldwirtschaft. Erzeugnisse aus den Kolonien wie Kartoffeln, Mais, Reis, Kaffee, Kakao, Tee, Zucker veränderten die Ernährung grundlegend. Der Handel machte die europäischen Kaufleute reich und selbstbewusst. Gewinnstreben trat nun an die Stelle des gemeinnützigen Wirtschaftsdenkens im Mittelalter.

Die Eroberung Südamerikas
1492 entdeckte Christoph Kolumbus Amerika. Es folgten die spanischen Konquistadoren (Eroberer), die vor allem an den sagenhaften Gold- und Silberschätzen Südamerikas interessiert waren. Bald sicherten sich auch die Portugiesen einen Anteil. Im Gefolge der Entdecker und Eroberer kamen die Missionare, die die Eingeborenen zum Christentum bekehren sollten. Und schließlich kamen die Siedler, die das fruchtbare Land in Besitz nahmen und die Eingeborenen zu rechtlosen Arbeitskräften herabstuften.

WARUM KOLONIEN?

Kolonien bedeuteten einen großen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Machtzuwachs. Die Industrie, die sich im 19. Jahrhundert in rasendem Tempo entwickelte, benötigte viele Rohstoffe – und die kamen aus den Kolonien. Und da in den europäischen Fabriken allmählich mehr erzeugt wurde, als die Bevölkerung zum Leben brauchte, hielt man nach neuen Absatzmärkten Ausschau – und auch die fand man in den Kolonien. Außerdem benötigte man dringend neue, fruchtbare Siedlungsgebiete, weil es in Europa allmählich zu eng wurde für die vielen Menschen. Fortschritte in Nahrungsmittelerzeugung, Medizin und Wissenschaft hatten zu einer wahren Bevölkerungsexplosion geführt. So lebten um das Jahr 1800 in Europa etwa 174 Millionen Menschen, und 100 Jahre später, 1900, waren es mehr als zweieinhalbmal so viele, nämlich 460 Millionen. Und nicht zuletzt hielten sich die weißen Eroberer für höherwertige Menschen, die den „unterentwickelten” Farbigen die Zivilisation und den rechten Glauben bringen sollten.

Die „Ausbreitung deutschen Geistes”
Der Alldeutsche Verband, der die Kolonialpolitik des deutschen Kaisers Wilhelm II. unterstützte, erklärte in seinem Gründungsaufruf 1891: „Wir sind durchdrungen von der Überzeugung, dass unser Volk, indem es die Erhaltung und Ausbreitung deutschen Geistes auf der Erde betreibt, damit am wirksamsten auch den Bau der Weltgesittung fördert.”

DAS BRITISCHE IMPERIUM

Hauptschauplätze des imperialistischen Wettlaufes zwischen den europäischen Großmächten waren Asien und Afrika. Großbritannien hatte inzwischen so viele Ländereien zusammengerafft, dass es von seinen Besitzungen als British Empire („Britisches Imperium”) sprach. Die Engländer waren zu dieser Zeit eine unschlagbare Weltmacht. Mit ihrer Flotte beherrschten sie sämtliche Weltmeere.

Zum Herzstück des Britischen Imperiums sollte Indien werden. Die Briten verdrängten hier erst die Portugiesen, Niederländer und Franzosen. Dann bekriegten sie die einheimischen Fürsten, und schließlich verleibten sie sich 1858 das bevölkerungsreiche Riesenland ein. Die britische Königin Victoria nahm später sogar den Titel einer Kaiserin von Indien an.

Nun gingen die Briten zielstrebig daran, ihre Kolonialgebiete miteinander zu verbinden. Eine Kette von Stützpunkten ermöglichten es ihren Schiffen, stets eigene Häfen anzulaufen. Sie brachten den von 1859 bis 1869 gebauten Suezkanal zwischen Mittelmeer und Rotem Meer an sich; er verkürzte den Seeweg nach Indien um 9 000 Kilometer. 1882 besetzten sie Ägypten und bekamen damit den Seeweg nach Indien völlig unter ihre Kontrolle.

Das britische Weltreich
1900 umfasste das britische Weltreich fast ein Viertel der gesamten Erdoberfläche. Fast jeder vierte Einwohner der Erde war britischer Untertan.

DER CHINESISCHE SPIELBALL

Inzwischen machten sich Großmächte, allen voran Großbritannien und Japan, in China zu schaffen. Das große, aber schwache Kaiserreich wurde zu einer Reihe „ungleicher Verträge” gezwungen und musste verschiedene Häfen für den Außenhandel öffnen oder gar abtreten. Darunter war auch Hongkong, das die Briten 1842 zur Kronkolonie erklärten. Ab 1875 besetzten imperialistische Mächte die von China abhängigen Gebiete. Japan sicherte sich nach einem Krieg 1894/95 Taiwan, Korea und Teile der Mandschurei.

DIE ZAREN SCHLUCKEN MITTELASIEN

Das russische Zarenreich beteiligte sich unterdessen ebenfalls am Imperialismus. Seine Interessen lagen jedoch nicht in Übersee. Eines nach dem anderen schluckte Russland seine Nachbarländer und dehnte sich dabei in Asien immer weiter aus.

WETTLAUF UM AFRIKA

Nun richteten die Europäer ihr Augenmerk auf Afrika. Obwohl der Kontinent am nächsten liegt, war er bis 1880 nur zu einem geringen Teil von Europäern besiedelt worden. Das Landesinnere war bis dahin sogar noch weitgehend unerforscht geblieben. Doch das änderte sich nun innerhalb von nur 20 Jahren.

Erst als auf der Erde so gut wie keine Gebiete mehr übrig waren, die sie noch hätten besetzen können, hielten die europäischen Mächte inne. Sie grenzten ihre Eroberungen ab und schlossen miteinander Verträge, um das Erworbene zu sichern.

Der Burenkrieg
Lediglich am afrikanischen Kap der Guten Hoffnung hatten sich die Holländer seit 1652 festgesetzt, um den Seeweg nach Indien zu sichern. 1806 wurden sie dort von den Briten verscheucht. Die Buren, Nachfahren der ersten holländischen Siedler, wichen in Richtung Norden zurück. Da sie von den Engländern immer wieder bedrängt wurden, griffen sie schließlich zu den Waffen. Am Ende des dreijährigen „Burenkrieges” mussten sie sich 1902 geschlagen geben. Die Briten vereinigten sämtliche eroberten Gebiete in Südafrika 1910 zu einer Union.

MERIKANISCHER IMPERIALISMUS

Die USA hatten im Laufe des 19. Jahrhunderts ihr Staatsgebiet vom Atlantik bis zum Pazifik quer über den nordamerikanischen Kontinent und auf Teile Mexikos ausgedehnt. Darüber hinaus betrieben sie nun ebenfalls imperialistische Politik: Zwischen 1867 und 1902 kauften sie Russland für 7,2 Millionen Dollar Alaska ab, verleibten sich Hawaii ein, zwangen Spanien zur Abtretung von Kuba, Puerto Rico, Guam und den Philippinen. Sie besetzten Teile Samoas und brachten den noch unfertigen Panama-Kanal, der den Atlantik und den Pazifik verbinden sollte, unter ihre Kontrolle.

Dollarimperialismus und Bananenrepublik
Banken und Industrieunternehmen aus den USA setzten sich in vielen mittel- und südamerikanischen Ländern fest und machten sie wirtschaftlich abhängig. Dieser so genannte „Dollarimperialismus” führte dazu, dass sich die USA schließlich das Recht nahmen, in jedem Staat des amerikanischen Kontinents einzugreifen. Einige dieser von den USA abhängigen Länder lebten hauptsächlich vom Anbau und dem Export von Bananen, der ebenfalls in den Händen von Unternehmen aus den USA war. Daher kommt die Bezeichnung „Bananenrepublik” für kleinere, abhängige Staaten, in denen meistens auch die Demokratie wenig ausgeprägt ist.

ENDE DER KOLONIALHERRSCHAFT

Die spanische und portugiesische Herrschaft über Mittel- und Südamerika ging schon im frühen 19. Jahrhundert zu Ende. Deutschland verlor seine Kolonien nach dem 1. Weltkrieg (1914-1918). Aber bis zum 2. Weltkrieg (1939-1945) herrschten europäische Staaten noch über fast ganz Afrika und einen Großteil Asiens. Nach 1945 verstärkten die eingeborenen Bevölkerungen den Druck auf die Kolonialmächte, ihre Besitzungen aufzugeben. Doch statt abzuziehen, kamen die europäischen Kolonialherren teilweise erst einmal wieder zurück. Zum Beispiel in die Länder in Südostasien, die die Japaner im Krieg erobert hatten. Die Wende brachten erst die Befreiungsbewegungen und manchmal auch Befreiungskriege in den Kolonien: Sie machten den Kolonialherren deutlich, dass sie nicht mehr erwünscht waren. Erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts waren aus nahezu allen Kolonien unabhängige Staaten geworden.

FOLGEN DES KOLONIALISMUS

Die Kolonialmächte hatten die Grenzen zwischen ihren Gebieten häufig ohne Rücksichten auf Zusammengehörigkeiten oder Feindschaften der Volksgruppen gezogen, die dort lebten. Dies führte in einigen der Länder, die nun unabhängig geworden waren, zu Bürgerkriegen um die Vorherrschaft in diesen Staaten. Einige dieser Kriege dauerten jahrzehntelang, einige sind bis zum heutigen Tag noch nicht beendet.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)