Lehnswesen
„Bauren (Bauern) erinnern an Stockfische. Dieselben sind am besten, wenn sie weich geschlagen und fein und wohl geklopfet. Auch die lieben Bauren sind niemals braver, als wenn man ihnen ihr rechtes Maß Arbeit aufleget, so bleiben sie fein unter Zucht und mürb. Der Bauer will gleich ein Junker sein, sobald ihm sein Herr zu viel Gnade erweist.” Diese Zeilen aus der Feder eines Pfarrers bringen auf beispielhafte Weise die Einstellung zum Ausdruck, die man im Stand der Adligen und Geistlichen gegenüber den bäuerlichen Untertanen hegte. Das Lehnswesen machte im Mittelalter und der frühen Neuzeit fast alle Bauern zu Leibeigenen oder Hörigen. Und die Bauern stellten im Mittelalter weit mehr als drei Viertel der Bevölkerung. JAHRTAUSENDORDNUNG Rund tausend Jahre lang hatte ausschließlich der Adel die Gewalt über Grund und Boden und alles, was dort kreuchte und fleuchte. Nicht nur dass ihm das Wild in den Wäldern, die Fische in den Teichen und Bächen, die Vögel und Bienen in der Luft gehörten. Auch die Menschen, die auf seinem Boden lebten, betrachtete er als sein Eigentum. Das Schicksal eines Menschen entschied sich bei der Geburt. Und wenn man nicht der Sprössling eines Adligen war, war man als Untertan geboren. Der Sohn eines Bauern war zum Bauerndasein verurteilt. Er war an die Scholle gebunden, die sein Vater als Höriger oder Leibeigener vom adligen oder kirchlichen Grundherrn zur Bewirtschaftung bekommen hatte. Grundlage dieses Verhältnisses war das Lehnswesen, nach dem lateinischen Wort feudum für Lehen auch Feudalismus genannt. Diese starre Ordnung, die im 8. Jahrhundert begründet wurde, bestimmte weit über das Mittelalter hinaus die Lebensverhältnisse der Menschen. Erst in der Folge der Französischen Revolution von 1789 wurde diese Ordnung beseitigt. In manchen Ländern bestand sie bis ins 19. Jahrhundert.
GEFLECHT VON ABHÄNGIGKEITEN Es war Kaiser Karl der Große (747-814), der dem Lehnswesen zum Durchbruch verhalf. Schon seine Vorgänger hatten verdiente Männer mit Ländereien belohnt. Doch Karl machte sich diesen Brauch zur Sicherung und Verwaltung seines gewaltigen Reiches zunutze. Er suchte sich geeignete Gefolgsleute, die ihm beim Herrschen und Verwalten mit Rat und Tat zur Seite standen. Man nannte sie Kronvasallen, und der König oder Kaiser belohnte sie nicht mit Geld, sondern mit Landgütern. Diese bekamen sie allerdings nicht geschenkt, sondern nur geliehen, weshalb man sie als „Lehen” bezeichnete. Ein Lehen konnte nicht nur aus Land bestehen, sondern auch aus einträglichen Ämtern oder Rechten, beispielsweise einem Richteramt oder dem Recht, Münzen zu prägen, Zölle zu erheben oder nach Erz zu schürfen. Lehnsmann und Lehnsherr versicherten sich gegenseitig Treue beziehungsweise Schutz. Die Kronvasallen verliehen ihr Land an Untervasallen weiter, die sich ihrerseits wieder Vasallen suchen konnten. So entstand ein weit verzweigtes Netz von Abhängigkeiten. Das Lehnsverhältnis endete, wenn der Lehnsherr oder der Lehnsmann starb. Erst Kaiser Konrad II. (um 990 bis 1039) machte die Lehen erblich, d. h., der Lehnsmann konnte sein Lehen an seine Söhne vererben. Dadurch schwand die Macht des Kaisers nach und nach, da er über die Lehen nun nicht mehr frei verfügen konnte.
DIE GRUNDHERRSCHAFT Solange die Bauern frei waren, hatten sie die Pflicht, für ihren König Kriegsdienst zu leisten. Da dies mit der Landwirtschaft schwer vereinbar war, übergaben immer mehr Bauern freiwillig ihr Land dem König, dem Herzog, einem Ritter oder einem Bischof. Die neuen Eigentümer übernahmen dafür den Kriegsdienst und sorgten für ihren Schutz. Mit dem Verzicht auf ihren Besitz verloren die Bauern aber auch ihre Freiheit. Sie wurden zu „Hörigen” ihrer Grundherren. Die Grundherren hatten das Recht, über ihre Hörigen zu richten; sie durften frei über sie verfügen, sie aber nicht vom Hof vertreiben. Die hörigen Bauern waren an ihr Land gebunden. Der Grundherr überließ es ihnen zur Bewirtschaftung und verlangte dafür den Zehnt, also den zehnten Teil von dem, was der Bauer im Jahr erntete oder herstellte. Darüber hinaus wurden die Hörigen bei Bedarf zur Fronarbeit (zum Herrendienst) herangezogen, beispielsweise zur Feldarbeit und Erntehilfe auf den herrschaftlichen Gütern oder zum Bau von Schlössern, Burgen, Häusern, Wegen und Brücken. Verwaltet und beaufsichtigt wurden die ländlichen Lehen von einem Meier (von lateinisch maior: größer, höher stehend) oder einem Vogt. FREIE, HÖRIGE UND LEIBEIGENE Neben den Hörigen gab es auch noch die Leibeigenen. Bei ihnen handelte es sich um Menschen, die aus irgendeinem Grund, meist durch Verschuldung, in persönliche Abhängigkeit geraten waren. In der Regel wurden sie als Knechte auf den Gütern ihrer Herren eingesetzt. Leibeigene waren rechtlich gesehen keine Sklaven. Doch obwohl sie als Personen betrachtet wurden, konnten ihre Herren über sie verfügen wie über Sachen. Sie konnten sogar verkauft werden. Die Unfreiheit der Leibeigenen bestand in erster Linie aus Dienstpflichten. Leibeigene konnten in den verschiedensten Berufen arbeiten. Sie stiegen manchmal sogar im Dienst für ihren Herrn zu Amt und Ehren auf, behielten jedoch ihre unfreie Stellung. Nur wenige Bauern konnten ihre Freiheit voll behalten. Ihre Zahl ging aber im Lauf der Zeit immer weiter zurück. Sofern sie keinen eigenen Grund und Boden besaßen, pachteten die freien Bauern von adligen Großgrundbesitzern Land und entrichteten dafür einen Pachtzins. Die freien „Zinsbauern” standen als Einzige nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Grundherrn und mussten weder Abgaben – außer dem Pachtzins – entrichten noch Fronarbeiten leisten. In den ersten Jahrhunderten des Lehnswesens war die Grundherrschaft für die Hörigen keine allzu große Last. Doch die Bindung an Stand und Grund führte dazu, dass die Bauern über Generationen hinweg gezwungen waren, ihr Land unter ihren Söhnen aufzuteilen. Dies machte ein Auskommen immer schwieriger, da die Bauernhöfe durch die Teilungen immer kleiner wurden. Die Bauern verelendeten und gerieten durch ihre Notlage zunehmend in Leibeigenschaft. Kriege und wachsende Prunksucht der Adligen führten darüber hinaus zu einer immer schamloseren Ausbeutung der niederen Stände. Im Zeitalter des Absolutismus wurde ihre Lage endgültig unerträglich.
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