Maya

 

Sie geben heute noch Rätsel auf: Mitten aus dem Dschungel der Halbinsel Yucatán in Mexiko ragen die kolossalen Pyramiden, Tempel, Paläste und Statuen der Maya empor. In Zeiten, als in Europa die meisten Völker noch in einfachsten Verhältnissen lebten, hatten die Maya ihre Blütezeit. Dieses altamerikanische Indianervolk errichtete riesige Städte von höchster Vollendung, bediente sich der Schrift und beschäftigte sich mit Astronomie und Mathematik. Ihre kulturellen Leistungen, ihre handwerklichen und wissenschaftlichen Fähigkeiten, ihre Religion, ihre Lebensweise und nicht zuletzt ihr Aussehen waren derart ungewöhnlich, dass manch einer die Maya bereits für Wesen von einem anderen Stern gehalten hat.

RIVALISIERENDE KÖNIGREICHE

Die Vorfahren der Maya lebten vor fast 4 500 Jahren in Dörfern an den Küsten des Pazifiks sowie im Hochland der heutigen Länder Guatemala und El Salvador. Nachdem ihr Lebensraum von Vulkanausbrüchen verwüstet worden war, wanderten Teile dieser Urahnen der Maya aus und siedelten sich um das Jahr 1000 v. Chr. im Tiefland der Halbinsel Yucatán und entlang ihrer Nordküste an. Ähnlich wie im alten Griechenland entstand eine Reihe von Stadtstaaten, die von Königen regiert wurden und untereinander um die Vorherrschaft kämpften. Mit der Zeit erreichte die Stadt Tikal eine Vormachtstellung; ein einheitliches, großes Mayareich gab es jedoch nie. Was das Volk der Maya trotzdem zusammenhielt, war eine gemeinsame Kultur und Religion, die auf derselben Schöpfungsgeschichte und denselben Vorstellungen vom Leben nach dem Tod gründete.

Schönheitsideale der Maya
Die Maya werden als Menschen von kräftigem und stattlichem Körperbau beschrieben. Sie hatten meist krumme Beine, weil sie von ihren Müttern als Säuglinge ständig auf der Hüfte sitzend getragen wurden. Als schön galt bei ihnen, wer eine platte Stirn hatte und schielte. Man erreichte dies, indem man den neugeborenen Kindern ein Holzbrettchen auf den noch weichen Schädel band. Später wurde ihnen ein Pechpflaster an die Haare geheftet, das zwischen den Augen baumelte und die Kinder zum Schielen verleitete. Um den Bartwuchs zu unterdrücken, wurde den Jünglingen die Gesichtshaut mit heißen Tüchern versengt. Die Männer trugen ihr Haar lang und verbrannten es in der Scheitelgegend, um dort das Wachstum zu hemmen.

MONUMENTALE STÄDTE

Die Städte der Maya waren zum Teil gewaltig. Eine der ältesten und berühmtesten ist Tikal, die ab etwa 600 v. Chr. gebaut und um 900 n. Chr. verlassen wurde. Zu ihrer Blütezeit beherbergte sie bis zu 50 000 Einwohner. Im Stadtzentrum drängten sich rund 3 000 Bauwerke aus massivem Stein, von denen viele ausgegraben wurden: Tempelpyramiden, Altäre, Paläste, Verwaltungsgebäude und Wohnhäuser. In den Ruinen fanden sich großartige Kunstwerke aus Stein, Jade und Keramik mit Darstellungen aus dem Leben und der Götterwelt der Maya.

Zur Blütezeit der Mayakultur zwischen 300 und 900 n. Chr. gab es mehr als 40 große Mayastädte. Die bedeutendsten neben Tikal waren Yaxchilán, Calakmul, Copán und Palenque. Luftaufnahmen zeigten, dass sie durch ein Netz aus bis zu zehn Meter breiten gepflasterten Straßen miteinander verbunden waren. Und das, obwohl die Maya das Rad nicht kannten und gar keine Fuhrwerke benutzten. Radaruntersuchungen brachten zudem ein gigantisches Bewässerungssystem zum Vorschein, das ganz Yucatán mit Wasser versorgte.

LANDWIRTSCHAFT UND WISSENSCHAFT

Die Maya waren hervorragende Ackerbauern und Viehzüchter. Sie pflanzten und ernteten Mais, Bohnen, Kürbisse, Tomaten, Avocados und vieles mehr. Als Geld verwendeten sie Kakaobohnen. Eine hohe Stellung in der Gesellschaft nahmen die Gelehrten ein. Sie bedienten sich bei ihren Arbeiten einer Art Hieroglyphenschrift und entwickelten einen Kalender, der bis ins 16. Jahrhundert der genaueste der Welt war. Genau genommen besaßen die Maya zwei Kalender – einen mit 260 und einen mit 365 Tagen, so wie wir ihn heute noch haben.

Rätselhafte Kristallschädel
Die Maya sind berühmt für ihre kunsthandwerklichen Fähigkeiten. Ihre Stoffe und Töpferarbeiten gehörten zu den schönsten der amerikanischen Indianervölker. Für Ratlosigkeit sorgen allerdings bis heute ihre phantastischen Kristallschädel. Diese detailgetreuen Nachbildungen von Totenköpfen aus geschliffenem Bergkristall waren offenbar Kultobjekte. Mit ihnen lassen sich verblüffende optische Effekte erzeugen: So strahlen sie von unten einfallendes Licht durch die Augenhöhlen wieder aus. Oder der Hinterkopf funktioniert wie eine Kameralinse, die das Licht durch die Augen projiziert. Das ist schon erstaunlich genug, doch fassungslos machte Wissenschaftler eine Untersuchung, die bestätigte, dass es ungefähr 300 Jahre ununterbrochener Präzisionsarbeit bedurfte, um einen solchen Kristallschädel ohne moderne Spezialgeräte herzustellen.

RELIGION UND OPFERKULT

Über dem Volk thronte der Adel aus König und Priestern, der auch für den religiösen Kult zuständig war. Der Jahreslauf war geprägt von religiösen Zeremonien. Die Maya glaubten, dass sie ständig die Götter besänftigen mussten, um das Fortbestehen der Welt zu sichern. Dazu dienten nicht zuletzt Menschenopfer. Berühmte religiöse Stätten mit mächtigen Tempelpyramiden, in denen sie ihre Götter verehrten, waren z. B. Tikal, Copán und Palenque. Zu ihren wichtigsten Göttern gehörten der Himmelsgott Itzamná und der Regengott Chac.

RÄTSELHAFTER NIEDERGANG

Ein Rätsel ist bis heute der rasche Niedergang der Mayakultur geblieben. Wahrscheinlich brach ein Bürgerkrieg zwischen den vielen Mayastädten aus, und jeder bekämpfte jeden. Andere Ursachen, wie Missernten und Überbevölkerung, kamen vermutlich dazu. Sicher ist, dass ungefähr ab dem Jahr 800 überall die Bautätigkeit zum Stillstand kam. Schließlich verließen die Menschen die Städte, um in einigen Hundert Kilometern Entfernung wieder von vorn anzufangen, während ihre prächtigen alten Städte vom Tropenwald überwuchert wurden. Als die Spanier 1525 Guatemala und 1541 die Halbinsel Yucatán eroberten, war es für sie nicht schwer, die geschwächten Mayavölker zu unterwerfen. Doch im Gegensatz zu den anderen altamerikanischen Völkern haben die Maya bis heute überlebt. In vielen Teilen Südmexikos sind sie zahlreicher als die Nachkommen der europäischen Eroberer. Ihre Nachfahren trifft man aber auch in El Salvador, Guatemala und Belize an. Dort werden nach wie vor Mayasprachen gesprochen.

Unwiederbringlich verloren
Die Geschichte und Lebenswelt der Maya konnte erst in jüngerer Zeit enthüllt werden. Erst vor nicht allzu langer Zeit gelang es nämlich, ihre komplizierte Bilderschrift zu entziffern, die man auf Tempelwänden, Steintafeln und Säulen findet. Eine wichtige Grundlage der Mayaforschung bilden religiöse Schriften wie das Popol Vuh und die Chilam-Balam-Bücher. Ansonsten sind von den umfangreichen schriftlichen Aufzeichnungen der Maya nur vier weitere Bücher erhalten. Der Rest fiel den Flammen zum Opfer: am 12. Juli 1561 hatte ein spanischer Bischof sämtliche Kunstwerke, Gegenstände und Schriften auf den Scheiterhaufen werfen lassen, von denen er annahm, sie dienten den Maya zur Teufelsanbetung.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)