Nelson Rolihlahla Mandela

 

Als er am 10. Mai 1994 vor dem Regierungsgebäude in Pretoria als Staatspräsident vereidigt wurde, sagte er: „Wir werden eine Gesellschaft errichten, in der alle Südafrikaner, schwarze und weiße, aufrecht gehen können, ohne Angst in ihren Herzen, in der Gewissheit ihres unveräußerlichen Rechtes der Menschenwürde, eine Regenbogennation im Frieden mit sich selbst und mit der ganzen Welt.” Kaum ein anderer Staatsmann der Gegenwart steht so sehr für die Friedenshoffnungen der Menschheit und für den Gedanken der Aussöhnung aller Menschen, egal ob schwarz oder weiß, wie Nelson Mandela. Seine Bedeutung für den afrikanischen Kontinent wurde mit der Mahatma Gandhis für Indien verglichen. Auch fast 30 Jahre Gefängnis haben seine Charakterstärke, Menschenliebe und Aussöhnungsbereitschaft nicht gebrochen – und das brachte ihm weltweite Bewunderung ein.

DER „UNRUHESTIFTER”

Mandela ist ein Xhosa vom Stamme der Thembu. Er gehört zum Madiba-Clan und heißt mit richtigem Namen Rolihlahla, was so viel bedeutet wie „Unruhestifter”. Geboren wurde er am 18. Juli 1918 in Mvezo, einem winzigen Bauerndorf am Ufer des Mbashe im Distrikt Umtata in der Transkei (im Osten der heutigen Republik Südafrika). Er war der jüngste von vier Söhnen des Häuptlings Gadla Henry Mphakanyiswa, der insgesamt 13 Kinder hatte. Seine Mutter Nosekeni Fanny war dessen dritte Ehefrau.

Als die Briten, zu deren Reich Südafrika damals noch gehörte, seinen Vater wegen Ungehorsams um Vermögen, Amt und Würden brachten, musste die Mutter mit ihren Kindern zu Verwandten in das Dorf Qunu ziehen. Dort verlebte Rolihlahla trotz strenger Erziehung eine recht unbeschwerte Kindheit als Schafhirte. Seine Mutter, die sich zum Christentum bekehrt hatte, ließ ihn in der Methodisten-Kirche taufen. Und da er ein aufgewecktes Kerlchen war, schickte ihn sein Vater als Ersten aus der Familie auf die Schule. Dort verpasste man Rolihlahla am ersten Schultag den englischen Namen Nelson.

FLUCHT NACH JOHANNESBURG

Nach dem Tod seines Vaters nahm ihn der Oberhäuptling der Thembu, Jongintaba Dalindyebo, zu sich und schickte ihn zuerst auf die Missionsschule, später aufs College und zuletzt auf die angesehene Universität von Fort Hare. Kurz vor seinem Abschluss überwarf sich Mandela aber wegen eines Wahlboykotts der Studenten mit dem Rektor und wenig später auch noch mit seinem Ziehvater. Denn der wollte ihn gegen seinen Willen verheiraten. Zusammen mit seinem älteren Stiefbruder floh Mandela nach Johannesburg. Dort hielt er sich mit einem Job als Nachtwächter in einer Mine über Wasser, bis er eine Anstellung als Anwaltsgehilfe bekam. Schließlich versöhnte er sich mit seinem Ziehvater und holte 1942 per Fernstudium seinen Universitätsabschluss in Rechtswissenschaften nach.

ANWALT DER SCHWARZEN

In Johannesburg machte Mandela schmerzliche Bekanntschaft mit der Diskriminierung (Herabsetzung, Benachteiligung) der einheimischen schwarzen Bevölkerung durch die Nachfahren der weißen europäischen Kolonisten. Diese waren bei weitem in der Minderheit, hatten aber in Südafrika alleine das Sagen, während die schwarze Mehrheit weitgehend rechtlos war. 1948 machte die weiße Regierung die Rassentrennung – „Apartheid” genannt – zur offiziellen Regierungspolitik. Im selben Jahr übernahm Mandela, der damals schon seit einiger Zeit politisch tätig war, die Führung der Jugendorganisation des Afrikanischen Nationalkongresses (African National Congress, ANC), der schwarzen Bürgerrechtsorganisation, die für die Gleichberechtigung der Schwarzafrikaner kämpfte. Gleichzeitig betrieb Mandela zusammen mit seinem Freund Oliver Tambo die erste schwarze Anwaltskanzlei in Südafrika.

Die Apartheid
Der Begriff „Apartheid” ist ein Wort aus dem Afrikaans, einer Sprache der weißen Südafrikaner, und bedeutet „Absonderung” oder „Trennung”. Der Begriff steht heute für die systematische Unterdrückung von 41 Millionen schwarzafrikanischen Ureinwohnern durch eine Minderheit von vier Millionen Weißen. Die Apartheidpolitik ist eine Erfindung der rassistischen Nationalpartei, die 1948 an die Macht kam und Südafrika endgültig in einen Unrechtsstaat verwandelte.

LEBENSLÄNGLICH

Da seine politische Arbeit den weißen Behörden ein Dorn im Auge war, musste sich Mandela andauernde Schikanen und mehrere Verhaftungen gefallen lassen. 1956 wurde er mit mehreren Mitstreitern sogar völlig unbegründet des „Hochverrats” angeklagt; aber 1961 – so lange hatte der Prozess gedauert – musste man ihn und seine Mitangeklagten freisprechen.

Unterdessen war 1960 auch der ANC verboten worden. Um sich in Sicherheit zu bringen, tauchte Mandela 1961 unter, beteiligte sich am Aufbau einer Befreiungsarmee und ließ sich in Algerien zum bewaffneten Kämpfer ausbilden. Bei seiner Rückkehr nach Südafrika im Juli 1962 wurde er geschnappt und zunächst wegen unerlaubten Verlassens des Landes zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. In einer weiteren Anklage 1964 warf man ihm Terrorismus, Umsturzversuch und kommunistische Aktivitäten vor. Das Urteil lautete: lebenslänglich Gefängnis. 18 Jahre seiner Haftstrafe verbüßte Nelson Mandela auf der berüchtigten Gefängnisinsel Robben Island vor Kapstadt – in einer fünf Quadratmeter großen Zelle.

FREIHEIT FÜR MANDELA!

Wegen ihrer Apartheidpolitik und weil sie Bürgerrechtler wie Mandela in Gefängnisse steckte, war die südafrikanische Regierung weltweit geächtet; Südafrika wurde aus internationalen Organisationen und von internationalen Veranstaltungen ausgeschlossen, und es gab weltweit immer wieder heftige Proteste gegen die menschenverachtende Apartheid. Um die Weltöffentlichkeit seiner Regierung gegenüber etwas milder zu stimmen, bot Staatspräsident Pieter Willem Botha 1985 Mandela an, ihn freizulassen – unter bestimmten Bedingungen. Aber Mandela lehnte ab; er wollte in Sachen Apartheid keine Zugeständnisse machen.

Erst die Regierung unter Staatspräsident Frederik de Klerk beugte sich 1990 dem weltweiten Druck. Sie hob das Verbot des ANC auf und setzte Nelson Mandela nach 28 Jahren Haft auf freien Fuß. Bei seiner Entlassung rief er seinen Anhängern zu: „Meine Freunde, Kameraden und südafrikanischen Mitbürger! Ich grüße euch alle im Namen dieser Forderungen: Demokratie und Freiheit für alle!”

DAS WUNDER VON SÜDAFRIKA

1991 wählte der ANC Mandela zu seinem Vorsitzenden. In Zusammenarbeit mit Staatspräsident Frederik de Klerk setzte er die völlige Abschaffung der Apartheid durch und leitete tief greifende politische Reformen zum demokratischen Umbau des Landes ein. Für ihren Einsatz für die Demokratie und die Abschaffung der Apartheid in Südafrika wurden Mandela und de Klerk 1993 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Bei den ersten allgemeinen und freien Wahlen in der Geschichte Südafrikas im April 1994 gewann der ANC unter der Führung Mandelas die absolute Mehrheit der Stimmen und der Parlamentssitze; zwei Monate später, im Mai 1994, wurde Nelson Mandela zum ersten schwarzen Staatspräsidenten der Republik Südafrika gewählt. Seit diesem Tag ist Südafrika wie verwandelt. Die Jahrzehnte lange Gewalt ging erstaunlich rasch und erstaunlich deutlich zurück, und selbst die eingefleischtesten Rassisten geben seither wider Erwarten Ruhe. Im Dezember 1996 unterzeichnete Mandela die neue südafrikanische Verfassung, die als eine der freiheitlichsten der Welt gilt und die Gleichstellung aller Volksgruppen im Land festschreibt.

1998 gab der inzwischen achtzigjährige Mandela sein Regierungsamt an seinen Stellvertreter Thabo Mbeki ab; als ANC-Vorsitzender hatte er sich schon im Jahr zuvor verabschiedet. Aber er zog sich keineswegs in den Ruhestand zurück, sondern ist weltweit als Botschafter des Friedens und als Vermittler bei verschiedenen Konflikten unterwegs.

Die Wahrheitskommission
Zu den größten innenpolitischen Leistungen Mandelas gehört der Verzicht auf Vergeltung für das erlittene Unrecht an den Schwarzen. Unter dem Motto „vergeben, aber nicht vergessen” ließ er die düstere Zeit der Apartheid mit Hilfe einer „Wahrheitskommission” gründlich aufarbeiten. Die Kommission unter dem Vorsitz von Erzbischof Desmond Tutu - auch er ein Friedensnobelpreisträger - brachte dabei nicht nur die Menschenrechtsverletzungen der weißen Unterdrücker ans Licht. Sie deckte auch die Verbrechen aus den Reihen der Befreiungsbewegungen auf, allen voran die Verbrechen, die Mitglieder des ANC begangen hatten.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)