Österreich-Ungarn

 

Wer schon einmal in Österreich unterwegs war, wird sich vielleicht gewundert haben, welch prächtige Städte und glanzvolle Bauwerke dieses kleine Land vorzuweisen hat. Auffällig ist auch, dass man dort viele Angehörige und Nachfahren aller möglichen Volksgruppen aus Ost- und Südosteuropa antrifft, was sich besonders gut an den Familiennamen ablesen lässt. Dies alles ist das Erbe des Kaiserreiches. Kaum zu glauben, aber es ist noch gar nicht so lange her, da war Österreich neben Russland die größte Macht auf dem europäischen Kontinent. Zu verdanken war dies den Habsburgern, einem weit verzweigten, mächtigen Herrschergeschlecht. Über Jahrhunderte machten die Habsburger durch Eroberung, Erbschaft, Tausch, Kauf und Verkauf aus dem an sich recht kleinen Österreich einen riesigen Vielvölkerstaat aus mehr als einem Dutzend Nationen. Da sich die Kernländer dieses Reiches entlang der Donau und ihrer Nebenflüsse gruppierten, ist dieses Reich auch unter dem volkstümlichen Namen „Donaumonarchie” in die Geschichte eingegangen.

Der zweitgrößte Staat Europas
Österreich-Ungarn war 1914 mit 676 615 Quadratkilometer Fläche nach Russland der zweitgrößte aller europäischen Staaten. Die Gesamtbevölkerung wuchs zwischen 1869 und 1914 von rund 34 Millionen auf rund 53 Millionen Einwohner an.

DIE ÖSTERREICHISCH-UNGARISCHE DOPPELMONARCHIE

Die amtliche Bezeichnung der Donaumonarchie lautete zuletzt „Österreichisch-Ungarische Monarchie” oder auch kurz „Doppelmonarchie” oder „Österreich-Ungarn”. Diese Konstruktion stammte aus dem Jahr 1867, als der Reichsteil Ungarn durch eine Vereinbarung, den so genannten „Ausgleich”, innenpolitisch weitgehend unabhängig wurde. Obwohl beide Teile der Doppelmonarchie nun gleichberechtigt waren und nicht einmal eine gemeinsame Verfassung hatten, sollte Ungarn Bestandteil des Habsburgerreiches bleiben. Deshalb nahm der Kaiser von Österreich zugleich den Titel eines Königs von Ungarn an.

Kaiserlich und königlich
Die Krönung Kaiser Franz Josephs I. mit der ungarischen Stephanskrone zum ungarischen König im Juni 1867 unterstrich Ungarns Stellung als eigenständiges Königreich und wies zugleich auf die Unteilbarkeit des Habsburgerreiches hin. Die gemeinsamen Angelegenheiten wurden in der Folge als „kaiserlich und königlich” (k. u. k.) bezeichnet, die rein ungarischen als „königlich” (k.) und die österreichischen als „kaiserlich-königlich” (k. k.).

ZISLEITHANIEN

Österreich-Ungarn gliederte sich in die beiden Reichsteile Zisleithanien und Transleithanien, benannt nach der Leitha, einem Nebenfluss der Donau. Zisleithanien umfasste die Gebiete, die von der Hauptstadt Wien aus gesehen diesseits der Leitha lagen, also im Westen. Das waren die deutschsprachigen österreichischen Kernländer (Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg). Außerdem die Krain, Görz-Gradisca, Istrien, Dalmatien und Triest an der Adria-Küste, die heute zu Slowenien, Kroatien und Italien gehören. Ferner gehörten dazu Böhmen und Mähren in der heutigen Tschechischen Republik sowie der österreichische Teil von Schlesien, Galizien und Bukowina, die heute Bestandteil von Polen und der Ukraine sind. Zisleithanien unterstand der Person des „Kaisers von Österreich”, der dort zusammen mit einem gewählten Reichsrat für die Gesetzgebung zuständig war.

Die Bevölkerung in Zisleithanien
In Zisleithanien lebten 1910 etwa 28 Millionen Menschen. Davon waren 33 Prozent Deutsche, 22 Prozent Tschechen, 15 Prozent Polen, 12 Prozent Ukrainer, 5 Prozent Slowenen, 3 Prozent Italiener, 3 Prozent Serbokroaten und 7 Prozent andere Nationalitäten.

TRANSLEITHANIEN

Das unter ungarischer Verwaltung stehende Transleithanien jenseits der Leitha bestand aus Ungarn mit Siebenbürgen sowie Fiume (heute Rijeka), Kroatien, Slawonien, Bosnien und Herzegowina. Transleithanien unterstand dem „König von Ungarn”, doch für die Gesetzgebung war der ungarische Reichstag zuständig, eine Art Parlament, das durch Zensuswahl gebildet wurde. Das heißt, nur vermögende Bürger waren stimmberechtigt, was allein schon zu Unzufriedenheiten bei der Bevölkerung führte. Hinzu kam noch, dass das ungarische Volk der Magyaren, das nur knapp die Mehrheit der Bevölkerung stellte, eine Vorrangsstellung in ganz Transleithanien beanspruchte. Dies führte immer wieder zu Krisen und Streitigkeiten, die der Kaiser von Österreich in seiner Eigenschaft als König von Ungarn meist mit nur wenig Erfolg zu schlichten vermochte.

Die Bevölkerung in Transleithanien
Transleithanien hatte 1910 etwa 18 Millionen Bürger. Etwa 48 Prozent davon waren Magyaren (Ungarn), 17 Prozent Rumänen, 11 Prozent Deutsche, 11 Prozent Slowaken, 8 Prozent Serbokroaten und 5 Prozent andere Nationalitäten.

FRANZL UND SISI

Die Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie fällt fast vollständig mit der Regierungszeit von Kaiser Franz Joseph I. (er regierte von 1848 bis 1916) zusammen. Insbesondere seine Ehefrau, die Kaiserin Elisabeth – besser bekannt als „Sisi” – hatte wesentlichen Anteil am Zustandekommen des erwähnten Ausgleichs mit Ungarn. Sie war diesem Land besonders zugetan und genoss wegen ihres persönlichen Einsatzes für seine Interessen große Beliebtheit beim ungarischen Volk und beim Adel.

WIRTSCHAFTSMACHT

Mit seinen reichen Bodenschätzen, fruchtbaren Böden, guten Verkehrswegen und günstigen Meereshäfen war Österreich-Ungarn ein äußerst leistungsfähiger Wirtschaftsraum, der sich bestens selbst versorgen konnte. Aus den Alpenländern kam Holz, Vieh, Eisenerz und Salz. Wien, Niederösterreich und die Steiermark hatten gut entwickelte Industriestandorte. In Ungarn, Kroatien und Slawonien wurde vornehmlich Land- und Forstwirtschaft betrieben. Ebenso in Böhmen, Mähren und Schlesien, wo es zusätzlich noch beachtliche Textil- und Eisenindustrien sowie ergiebige Kohlegruben gab.

EIN REICH DER NATIONALEN GEGENSÄTZE

Dennoch blieb der Vielvölkerstaat ein sehr instabiles Staatswesen, in dem es häufig zu Krisen kam. Für Unmut sorgte nicht zuletzt das Wahlrecht und die Politik des Monarchen; beides bevorzugte eindeutig die deutschsprachigen Österreicher und die Ungarn gegenüber den übrigen Volksgruppen. In den nichtdeutschen Nationen bildeten sich eine Reihe von Freiheitsbewegungen heraus, die immer wieder für Unruhe sorgten. So war es nur eine Frage der Zeit, bis sich dieses künstliche Gebilde in seine Bestandteile auflösen würde. Willkommener Anlass war die Schwäche des Reiches durch den verlorenen 1. Weltkrieg (1914-1918). Auslöser für diesen Krieg war die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand durch serbische Nationalisten am 28. Juni 1914 in Sarajevo gewesen. Deren Ziel war es, die Österreicher aus den slawischen Ländern auf der Balkanhalbinsel zu verdrängen.

DER RASCHE ZERFALL

Nach dem Tod von Kaiser Franz Joseph I. am 21. November 1916 – mitten im 1. Weltkrieg – hatte dessen Großneffe als Kaiser Karl I. von Österreich und als König Karl IV. von Ungarn die Regierung des Reiches übernommen. Im Oktober 1918 stand Österreich an der Seite von Deutschland kurz vor der endgültigen Niederlage im 1. Weltkrieg. Die nichtdeutschen Nationalitäten im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn nutzten nun die Gelegenheit, sich aus der Donaumonarchie zu lösen. Auch ein letzter verzweifelter Aufruf des Kaisers an die verschiedenen Nationalitäten konnte daran nichts mehr ändern. In Prag riefen die Tschechen eine unabhängige Republik aus, die Ungarn erklärten ihre Unabhängigkeit, dasselbe taten die südslawischen Gebiete und schlossen sich dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (dem späteren Jugoslawien) an. So kam es, dass das riesige Habsburgerreich innerhalb von nur wenigen Wochen auf seine deutschsprachigen Gebiete zusammenschrumpfte. Am 11. November 1918 dankte Karl I. als Kaiser ab, und Österreich wurde Republik.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)