Otto von Bismarck

 

Wer aufmerksam durch deutsche Städte wandert, wird bisweilen das Denkmal eines Mannes mit gewaltigem Schnauzbart und Pickelhaube entdecken, zumeist mit einem Säbel in der rechten und einer Vertragsurkunde in der linken Hand. Es ist der „Eiserne Kanzler”, der erste deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck. Er hatte sozusagen mit dem Schwert die lang ersehnte Einigung Deutschlands vollendet. Nach dem Tod Bismarcks 1898 setzte ein beispielloser Personenkult ein. Eine wahre Andenkenflut ergoss sich über die Bevölkerung. Bereits 1906 zählte man in Deutschland 306 Standbilder, Gedenksteine, Obelisken, Säulen und Türme, die Bismarck gewidmet waren. Straßen und Plätze trugen seinen Namen. Hering in Essigmarinade ist heute noch nach ihm benannt. Dabei ist die Rolle, die Bismarck in der deutschen Geschichte spielte, nie unumstritten gewesen.

DER JUNGE LANDJUNKER

Otto Eduard Leopold von Bismarck wurde am 1. April 1815 in Schönhausen, nordwestlich von Berlin, geboren. Er entstammte einer adligen Landjunkerfamilie und trug zunächst den Titel eines Grafen. Er studierte Rechtswissenschaften und versuchte sich dann mit wenig Erfolg als Beamter. 1839 übernahm er die Verwaltung des väterlichen Landgutes Kniephof in Pommern (heute Polen). In dieser Zeit führte er ein recht unerfülltes und ausschweifendes Leben. 1847 heiratete er Johanna von Puttkamer und zog als Mitglied der Konservativen Partei in den Preußischen Landtag ein.

„EISEN UND BLUT”

Während der Revolution von 1848 tat sich Bismarck als Verteidiger von Königtum und Adel hervor, und danach kämpfte er mit vollem Einsatz für die Vormachtstellung Preußens im Deutschen Bund. Im Deutschen Bund, dem Zusammenschluss der vielen deutschen Einzelstaaten, stritten sich Preußen und Österreich um die Führung. Dank seines Einsatzes für Preußen und das Königtum machte Bismarck rasch Karriere; 1862 berief ihn der preußische König Wilhelm I. zum Ministerpräsidenten von Preußen. Ebenso wie das liberale Bürgertum strebte auch Bismarck einen vereinten deutschen Nationalstaat an, jedoch aus anderen Gründen als die Liberalen und die Revolutionäre von 1848. Bismarck ging es weniger um einen deutschen Nationalstaat an sich, sondern vor allem um eine unangefochtene Führungsrolle für Preußen in solch einem Staat. Und der Leitspruch seiner Regierung lautete: Nicht durch Reden und Mehrheitsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch „Eisen und Blut”!

KLEINDEUTSCHE LÖSUNG

Der Führungsanspruch Österreichs im Deutschen Bund war Bismarck von jeher ein Dorn im Auge. Im Krieg gegen Dänemark um die Herzogtümer Schleswig und Holstein-Lauenburg 1864 nahm er die Hilfe des österreichischen Kaisers noch gerne in Anspruch. Doch 1866 kam es zur militärischen Kraftprobe zwischen Preußen und Österreich, dem Deutschen Krieg. Der Krieg endete mit dem Sieg Preußens in der Schlacht von Königgrätz. Der Deutsche Bund wurde aufgelöst, und Bismarck schloss unter der Führung Preußens die deutschen Staaten nördlich des Mains zum Norddeutschen Bund zusammen. Das brachte ihm viel Sympathie ein, selbst im liberalen Bürgertum. Bismarck wurde zum neuen Hoffnungsträger der deutschen Einheitsbewegung.

EINHEIT DURCH DAS SCHWERT

Um die Vormachtstellung Preußens endgültig abzusichern und auch die süddeutschen Staaten für seinen deutschen Staat zu gewinnen, legte Bismarck es sogar auf einen Krieg mit dem Erzfeind Frankreich an. Der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 endete mit einem Sieg Preußens und seiner deutschen Verbündeten. Und er mündete in die Gründung des Deutschen Reiches unter preußischer Führung. Am 18. Januar 1871 wurde der preußische König Wilhelm I. in Versailles, dem französischen Königsschloss nahe Paris, zum Kaiser des Deutschen Reiches gekrönt. Und der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck wurde zu seinem Reichskanzler und außerdem in den Stand eines Fürsten von Bismarck-Schönhausen erhoben.

Endlich war Bismarck und waren die Deutschen am Ziel ihrer Träume. Sie hatten ein Reich und einen Kaiser. Deutschland war ein Bundesstaat mit einem Bundesrat, in dem die einzelnen Länder vertreten waren. Der Reichstag wurde nach dem fortschrittlichsten Wahlrecht in ganz Europa gewählt. Doch die Volksvertreter hatten nichts zu sagen. Die Regierung war nur dem Kaiser verantwortlich, und die Regierung war Bismarck. Und alle Macht lag in Preußen, das zwei Drittel des Reichsgebietes umfasste.

Nationale Begeisterung
Die nationale Begeisterung nach der Kriegserklärung Frankreichs war gewaltig. Freiwillige aus ganz Deutschland marschierten gegen den „Erzfeind” Frankreich und schlugen ihn am 2. September 1870 in der Schlacht von Sedan. Nach diesem gemeinsamen Sieg war die deutsche Einheit näher als je zuvor. Die Menschen gaben keine Ruhe mehr. In dieser nationalen Hochstimmung konnten sich die süddeutschen Länder einem deutschen Staat, wie ihn Bismarck anstrebte, nicht mehr verweigern.

FRIEDENSKURS

Zur Beruhigung der europäischen Mächte verfolgte Bismarck außenpolitisch fortan einen besonnenen und erfolgreichen Friedenskurs. Die Bündnispolitik Bismarcks zielte auf die Isolierung Frankreichs und die Verhinderung einer Koalition gegen Deutschland. Zu seinen größten außenpolitischen Erfolgen zählen der Dreikaiserbund von 1872 mit Österreich-Ungarn und Russland, der Zweibund mit Österreich-Ungarn von 1879, der mit dem Beitritt Italiens 1882 zum Dreibund erweitert wurde, sowie der Rückversicherungsvertrag von 1887 mit Russland.

KULTURKAMPF

Innenpolitisch ließ die Einheit allerdings weiter auf sich warten. Kritik des Papstes an modernen Errungenschaften wie die Trennung von Staat und Kirche wertete man im mehrheitlich protestantischen Preußen als Kampfansage. Um den Führungsanspruch im Reich zu unterstreichen, stutzte Bismarck rücksichtslos den politischen Einfluss der katholischen Kirche zurück. Dieser „Kulturkampf”, der sich nicht zuletzt gegen die starke katholische Zentrumspartei im Reichstag richtete, führte zu einer anhaltenden Entfremdung der Katholiken gegenüber dem Kaiserreich.

Das Erbe des Kulturkampfes
Während des Kulturkampfes wurden vor allem in Preußen massenweise aufsässige Bischöfe und Priester abgesetzt, zum Teil sogar strafrechtlich verfolgt. Als Überreste des Kulturkampfes haben sich bis heute die Pflicht zur standesamtlichen Trauung und die staatliche Schulaufsicht erhalten. Bis 1953 galt auch noch der so genannte Kanzelparagraph, der es Geistlichen bei Strafe untersagte, sich in Ausübung ihres Berufes über Angelegenheiten des Staates zu äußern.

DIE „GEMEINGEFÄHRLICHEN”

Ähnlich erging es der Arbeiterschaft. Die Reichsgründung hatte im wirtschaftlich rückständigen Deutschland eine verspätete industrielle Revolution in Gang gesetzt – mit den üblichen Begleiterscheinungen: Bevölkerungsexplosion in den Industriestädten und Verelendung der ausgebeuteten Arbeiter. Um eine revolutionäre Arbeiterbewegung bereits im Keim zu ersticken, ging Bismarck mit dem Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (kurz: Sozialistengesetz) von 1878 gegen sozialistische und kommunistische Vereinigungen vor. Gleichzeitig versuchte er, deren Anhängerschaft durch eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung auf seine Seite zu ziehen. So führte er z. B. Kranken-, Unfall-, Renten- und Invaliditätsversicherungen ein. Doch der Schuss ging nach hinten los. Nachdem das Sozialistengesetz 1890 ausgelaufen und sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische Vereinigungen und Parteien wieder zugelassen waren, stiegen die Sozialdemokraten zur stärksten Kraft im Reichstag auf.

VON EINEM HITZKOPF KALTGESTELLT

Die Ära des „Eisernen Kanzlers” neigte sich dem Ende zu, als Wilhelm I. 1888 starb. Während der alte Kaiser seinem Reichskanzler weitgehend freie Hand gelassen hatte, gab der hitzköpfige junge Kaiser Wilhelm II. nichts auf dessen gute Ratschläge. Am 20. März 1890 schickte er Bismarck wegen „unüberbrückbarer persönlicher und politischer Gegensätze” in den Ruhestand und speiste ihn mit dem Titel eines Herzogs von Lauenburg ab. Bismarck zog sich auf sein Landgut Friedrichsruh im Sachsenwald zurück, wo er am 30. Juli 1898 starb.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

© cpw, 2007)