Parlament

 

Es gibt Zeiten, da ist das Land plötzlich an allen Ecken und Enden mit Plakaten voll gepflastert. An jeder Straßenkreuzung und von jeder zweiten Laterne lächeln sympathische Gesichter. Darunter die Kürzel irgendwelcher Parteien und Losungen, die vor Tatkraft nur so strotzen oder von rosigen Zeiten künden: „Mehr Tempo für unser Land” – „Zeit für Taten” – „Anpacken statt Schlechtreden” – „Arbeit und Wohlstand für alle” – „Mehr Megaherz für unsere Kinder” – „Wir wollen, dass Sie gesund werden und nicht arm” – „In Zukunft bekommen die Familien Zuwachs: beim Kindergeld”. Was ist passiert? Ganz einfach: Es ist wieder einmal Wahlkampf. Und all diese Leute, die uns von den Plakaten herab so freundlich anlächeln, bewerben sich bei den Bürgern um einen der begehrten Abgeordnetensitze im Parlament.

DIE GROSSE UNTERREDUNG

Echte Parlamente gibt es nur in einer Demokratie. In den einzelnen Ländern können die Parlamente zwar unterschiedliche Bezeichnungen haben: Bundestag, Landtag, Nationalrat, Nationalversammlung, Repräsentantenhaus usw. Doch stets handelt es sich um Versammlungen, in denen gewählte Vertreter des Volkes (Abgeordnete) sitzen und die Probleme besprechen, die für das Staatswesen und die Allgemeinheit wichtig sind, und nach Lösungen suchen. Das Wort Parlament heißt wörtlich übersetzt „Unterredung” und kommt vom französischen parler, „sprechen”.

Parlament und Gewaltenteilung
Um Machtmissbrauch auszuschließen und zur gegenseitigen Kontrolle gibt es in demokratischen Staaten die Gewaltenteilung. Die wichtigste Rolle nehmen dabei die Parlamente ein. Denn dort werden die Gesetze gemacht, an die sich jeder Bürger halten muss. Deshalb nennt man Parlamente auch Legislative (von lateinisch leges: Gesetze).

IM AUFTRAG DES BÜRGERS

Bei der Fülle von Problemen, die es in großen Staaten mit Millionen von Menschen tagtäglich zu bewältigen gibt, ist es unmöglich geworden, dass die Bürger selbst über jede Maßnahme entscheiden. Da kämen sie wahrscheinlich zu nichts anderem mehr. Deshalb wählen sie in allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahlen Politiker, die dies hauptberuflich sozusagen in ihrem Auftrag (mit ihrem „Mandat”) tun sollen. In den meisten demokratischen Staaten sind die Politiker, die sich zur Wahl stellen, Mitglieder von Parteien. Deshalb wird jeder Staatsbürger die Politiker derjenigen Partei wählen, mit deren Programm er am ehesten übereinstimmt. Dann kann er davon ausgehen, dass seine „Mandatsträger” hinterher im Parlament in seinem Sinn handeln und abstimmen werden. Die Parlamentarier sind zwar während ihrer Amtszeit an Weisungen nicht gebunden. Doch da sie sich alle paar Jahre Neuwahlen stellen müssen, können sie natürlich nicht machen, was sie wollen. Sind die Wähler nämlich mit ihrer Arbeit unzufrieden, besteht die Gefahr, dass sie das nächste Mal nicht mehr wiedergewählt werden.

Repräsentant des Volkes
Man nennt die Parlamentarier auch Repräsentanten des Volkes. Das kommt vom lateinischen Wort repraesentare und bedeutet, dass sie sich bei ihren Entscheidungen stets den Willen des Volkes „vergegenwärtigen” sollen. Deshalb spricht man bei einer parlamentarischen Demokratie auch von einer repräsentativen Demokratie.

DER GROSSE RAT

Heutzutage gehören Parlamentarismus und Demokratie eng zusammen. Das war aber nicht immer so. Das erste Parlament entwickelte sich ab dem 13. Jahrhundert in England. Dort hatten zunächst die Adligen und kirchlichen Würdenträger den König dazu gezwungen, dass auch er sich dem für alle seine Untertanen geltenden Recht unterwarf. Außerdem musste er ihnen ein Mitspracherecht bei den Regierungsgeschäften einräumen. Zu diesem Zweck richteten sie einen „Großen Rat” ein, um den König besser kontrollieren zu können.

1215 besetzten die Barone, unterstützt von der Kirche, die englische Hauptstadt London, um den unbeliebten König Johann zur Annahme der „Magna Charta” zu zwingen. Diese Urkunde beschränkte die Herrschaftsgewalt des Königs, der bis dahin tun konnte, was er wollte. Außerdem garantierte sie dem Hochadel mehr Freiheiten und Mitspracherechte.

Anders als auf dem europäischen Festland entstand in England neben den Adligen und den einfachen Leuten eine dritte Bevölkerungsschicht, die man Gentry nannte. Sie war eine Mischung aus niedrigen Geburtsadligen und geadelten reichen Bürgern. Weil sie durch Steuergelder am meisten zum Wohlstand des Landes beitrug, erstritt sich die Gentry ebenfalls eine Teilhabe an der Regierung.

Als sich König Heinrich III. weigerte, in einer Ergänzung der Magna Charta auch den Kleinadligen mehr Rechte einzuräumen, griffen diese zu den Waffen. 1264 nahmen die Rebellen den König gefangen. Ihr Anführer Graf Simon de Montfort richtete an der Seite des „Großen Rates” eine Versammlung aus Gentry und Vertretern der Städte ein, die als einer der Vorläufer des englischen Parlaments gilt.

Heinrichs Sohn Eduard besiegte 1265 die Aufständischen und löste die Versammlung wieder auf. Als er selbst König wurde, musste er auf der Suche nach Verbündeten im Krieg gegen Schottland aber klein beigeben. 1295 berief Eduard I. einen Rat aus Vertretern des Hochadels, Landadels, der Kirche und Städte, der als „Modellparlament” (Model Parliament) in die Geschichte eingegangen ist.

OBERHAUS UND UNTERHAUS

So entstand ein Parlament, das sich in das Oberhaus der adligen Herren (House of Lords) und das Unterhaus der Bürger (House of Commons) gliederte. Diese beiden „Kammern” existieren in England, das ja Monarchie (also ein Königtum) geblieben ist, bis heute. Während aber das Oberhaus nach wie vor ausschließlich den Adligen vorbehalten ist, sitzen im Unterhaus heute nicht mehr nur die Reichen, sondern wie anderswo auch die gewählten Vertreter des gesamten Volkes. Und auch wenn der Name anderes vermuten lässt, so ist doch inzwischen das Unterhaus das oberste Parlament in England. Diejenige Partei, die in den Wahlen zum Unterhaus die Mehrheit der Sitze gewonnen hat, stellt den Regierungschef.

Aber es war ein langer Kampf, bis in England endlich alle Schichten der Gesellschaft im Parlament vertreten waren. Ab 1832 durften Angehörige der städtischen Mittelschicht mitwählen, 1867 erstmals auch städtische Arbeiter, sofern sie Geld hatten. 1884 wurden auch ländliche Arbeiter und Handwerker einbezogen, und ab 1919 schließlich durften alle erwachsenen Männer wählen. Die Frauen dagegen mussten fast weitere zehn Jahre ringen, bis auch sie 1928 das volle Wahlrecht bekamen.

BUNDESTAG

Das oberste Parlament in Deutschland heißt Bundestag. Warum dieser Name? Zum einen, weil dort die Abgeordneten „tagen” (Sitzungen abhalten). Und zum anderen, weil es sich bei Deutschland um eine Bundesrepublik handelt. Darunter versteht man einen Verbund aus mehreren Gliedstaaten („Bundesländern”), in dem – das sagt der Begriff „Republik” – die Macht vom Volk ausgeht. Der Regierungschef in Deutschland wird von den Abgeordneten des Bundestages gewählt. Er heißt Bundeskanzler.

LANDTAG

Obendrein hat jedes deutsche Bundesland (Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen usw.) noch ein eigenes Parlament, den so genannten Landtag. Jeder dieser Landtage soll sich ausschließlich um die Probleme kümmern, die das jeweilige Bundesland betreffen. Auch in den Bundesländern gibt es Regierungschefs, die von den Abgeordneten der Landtage gewählt werden. Sie heißen Ministerpräsidenten.

Die Bundesrepublik Deutschland hat 16 Bundesländer. Drei davon umfassen lediglich jeweils eine Großstadt. Deshalb heißt das Parlament der Stadt Berlin auch nicht Landtag, sondern Abgeordnetenhaus, und die Parlamente von Hamburg und Bremen werden als Bürgerschaften bezeichnet. Den Ministerpräsidenten der Länder entsprechen in diesen drei Städten die Ersten Bürgermeister.

Wie wird der Bundeskanzler gewählt?
Auch wenn es anders scheint, werden in Deutschland weder der Bundeskanzler noch die Ministerpräsidenten vom Volk gewählt. Die Kandidaten der Parteien für diese Ämter sind zwar die großen Stars in den Wahlkämpfen. Gewählt werden sie letztendlich jedoch erst nach den allgemeinen Wahlen von den Abgeordneten der Parlamente.

BUNDESRAT

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es darüber hinaus noch eine weitere parlamentarische Einrichtung. Sie heißt Bundesrat. Dort sitzen Abgesandte der Regierungen der 16 Bundesländer. Ihre wichtigste Aufgabe ist, Gesetzen, die im Bundestag beschlossen wurden und Auswirkungen auf die Länder haben, zuzustimmen oder dafür zu sorgen, dass sie geändert und verbessert werden.

KOMMUNALPARLAMENTE

Außerdem gibt es in Deutschland noch Stadträte, Gemeinderäte und Kreisräte. Dabei handelt es sich um eine Art Miniparlamente, die sich um die regionalen Angelegenheiten kümmern.

DEUTSCHLANDS LANGER WEG ZUR PARLAMENTARISCHEN DEMOKRATIE

Der Weg zu Demokratie und Parlamentarismus in Deutschland war sehr mühsam. Dies hing auch damit zusammen, dass das Land lange Zeit in viele Kleinstaaten zersplittert war und erst 1871 zum Deutschen Kaiserreich vereinigt wurde. Ein erstes wirklich demokratisches Parlament gaben sich die Deutschen erst nach dem verlorenen 1. Weltkrieg. Doch es funktionierte nicht richtig, wurde von vielen abgelehnt und verhalf sogar einem Diktator wie Adolf Hitler zur Macht. Der verlorene 2. Weltkrieg brachte endlich die Wende: Nun konnten sich die demokratischen Kräfte durchsetzen. Unter der Kontrolle der westlichen Siegermächte USA, Großbritannien und Frankreich kam es zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland und zur Herausbildung der ersten stabilen parlamentarischen Demokratie auf deutschem Boden.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)