Steinzeit
Ihre muskulösen Körper sind mit zottigen Fellen notdürftig bedeckt, die Haut ist von der Sonne und vom Schmutz dunkel gegerbt. Lange filzige Haare hängen ihnen um die niedere Stirn. Bei den Männern verdeckt ein dichtes Bartgestrüpp die breit vorgewölbten Kiefer mit den kräftigen Zähnen. Während die Kinder der Sippe draußen vor dem Höhleneingang spielen und in den Felsen herumklettern, lagern die Erwachsenen um ein kleines Feuer und plaudern. Ihre Worte bestehen aus einfachen Lauten, die sie bellend hervorstoßen und mit großen Gesten unterstreichen. In einem Winkel der Höhle liegen die Reste eines Tierkadavers. Die Männer hatten Jagdglück. Nach wochenlanger Wanderschaft, auf der es meist nicht viel mehr zu essen gab als Beeren, Nüsse, Pilze, Wurzeln, Maden oder Würmer, können sie nun endlich einmal wieder ausrasten. Seit Tagen schlagen sie sich schon die Bäuche bis zum Platzen voll. Rohes Fleisch verdirbt um diese Jahreszeit sehr rasch, und wer weiß, wann es wieder welches gibt. So ungefähr könnte das Leben unserer Vorfahren in der Steinzeit ausgesehen haben.
SEINE STÄRKE WAR KLUGHEIT Das Leben der Steinzeitmenschen war alles andere als leicht. Die Zeiten waren hart und gefährlich. Wilde Tiere, feindliche Horden, Eis und Schnee, Krankheiten und Erschöpfung machten ihnen schwer zu schaffen. Vor allem aber war der Hunger ein ständiger Begleiter auf ihren langen Wanderschaften. Besonders im Winter, wenn die Pflanzenwelt wenig Nahrhaftes hergab. Dann mussten sie sich nicht selten mit den abgenagten Knochen begnügen, die die Raubtiere von ihrer Beute hinterließen. Doch obwohl sie weder über die Klauen und die Stärke der Bären noch über die Reißzähne und die Schnelligkeit der Wölfe verfügten, waren die Urmenschen diesen Tieren dennoch voraus. Denn sie wussten, dass diese kläglichen abgenagten Knochen noch eine kräftige Mahlzeit enthielten. Man brauchte nur ein geeignetes Werkzeug aus Stein und die eigenen Hände, um aus den Knochen köstliches, nahrhaftes Mark herausschlagen zu können. Um dazu in der Lage zu sein, brauchte man Verstand, und darüber verfügte der Urmensch im Gegensatz zu den Tieren. Dieser Fähigkeit zur Anfertigung und zum Gebrauch von Steinwerkzeugen verdankt die älteste und längste Epoche der Menschheitsgeschichte auch ihren Namen. Die Steinzeit begann in Mitteleuropa vor rund 1,2 Millionen Jahren und endete um das Jahr 2200 v. Chr., als sich die Menschen hier erstmals Metall zunutze machten. Da die Urmenschen im Lauf dieses ungeheuer langen Zeitraums natürlich nicht immer gleich gelebt und sich weiterentwickelt haben, gliedert man die Steinzeit in drei Abschnitte. EUROPÄISCHE ALTSTEINZEIT Die Altsteinzeit – der Fachbegriff lautet Paläolithikum – ist am längsten her, und sie hat auch am längsten gedauert. Von ihren Anfängen wissen wir so gut wie nichts – außer dass die Menschen in dieser Zeit erstmals einfache Werkzeuge aus Stein herstellten. Erste einfachste Steinwerkzeuge, die so genannten Geröllgeräte (sie wurden aus Geröll hergestellt), tauchten vor etwa 2,5 Millionen Jahren in Ostafrika auf, also dort, wo sich der Mensch entwickelte. Das bedeutendste Gerät der Altsteinzeit aber war der Faustkeil. Er tauchte vor 1,5 Millionen Jahren auf, ebenfalls zuerst in Ostafrika, und für die nächsten 1,4 Millionen Jahre war er das bevorzugte Hilfsmittel im Überlebenskampf. Ein Faustkeil ist ein spitz zulaufender Stein mit scharfen Kanten, der hervorragend in der Hand liegt. Mit dem Faustkeil lässt sich Jagdbeute ebenso gut zerlegen wie Brennholz. LERNFÄHIG UND LERNWILLIG Die Menschen, die zu den lernfähigen und vor allem auch lernwilligen Primaten (Affen und Halbaffen) zählen, konnten dank ihrer Sprachbegabung alles, was sie sich an Wissen und Erfahrung aneigneten, besser an ihre Nachkommen weitergeben als ihre nächsten Verwandten, die Menschenaffen. In der Altsteinzeit gab es noch mehrere unterschiedliche Arten von Menschen. Bei uns in Mitteleuropa lebte vor etwa 120 000 bis 30 000 Jahren der Neandertaler. Obwohl er im Lauf der Zeit neben den althergebrachten Steinwerkzeugen auch Geräte aus Hirschgeweih, Knochen und Holz herzustellen lernte, verlief sein Leben dennoch jahrtausendelang mehr oder minder im selben Trott.
KÜNSTLER DER STEINZEIT Dies änderte sich urplötzlich vor etwa 40 000 Jahren. Funde belegen, dass die Urmenschen in Europa jetzt innerhalb von „nur” wenigen Jahrtausenden einige bemerkenswerte kulturelle und technische Entwicklungssprünge vollführten. Auf einmal begannen sie Figuren zu modellieren, Höhlen zu bemalen, sich schönere Kleider anzufertigen und ihre Toten aufwendiger zu bestatten. Sie erfanden neuartige Geräte aus Stein und Holz wie Speerschleudern oder Pfeil und Bogen, und sie fertigten sich Gebrauchsgegenstände aus Knochen, Horn und Elfenbein an. Manche Sippen zogen auch aus den feuchtkalten Höhlenwohnungen in zeltartige Behausungen um und bauten sich herdförmige Feuerstellen. UNSER VORFAHRE BETRITT DIE BÜHNE All diese plötzlichen Neuerungen brachte wahrscheinlich der moderne Homo sapiens mit, der um diese Zeit in Mitteleuropa einwanderte. Um sich eine Vorstellung zu machen, wie er aussah, musst du nur in den Spiegel gucken: Denn er war der Vorfahre des modernen Menschen. Der moderne Homo sapiens verdrängte allmählich den Neandertaler, mit dem er 10 000 Jahre lang friedlich nebeneinander lebte, der Neandertaler begann auszusterben. Sein besonderes Talent zeigte unser Vorfahre in den Zeiten extremer Klimaschwankungen am Ende der Altsteinzeit, die vielen Arten den Garaus machten. Hier bewies er eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit an veränderte Lebensbedingungen. Der Neandertaler stellte bereits tolle Werkzeuge aus Hirschgeweih, Knochen, Holz und Stein her. Der moderne Homo sapiens war noch perfekter: Er machte sich scharfe Steinklingen und schuf daraus Werkzeuge, mit denen man sogar sägen und bohren konnte.
EUROPÄISCHE MITTLERE STEINZEIT Mit dem Ende der Eiszeit in Mitteleuropa vor rund 10 000 Jahren begann die Mittlere Steinzeit, das Mesolithikum. Flüsse, Seen und dichte Wälder entstanden. Die Herden der Steppentiere wie Wildpferd und Rentier wanderten ebenso nach Norden ab wie das Mammut, dem es hier zu warm wurde. Die Menschen mussten sich nun auf neue Beutetiere wie Hirsche, Rehe, Auerochsen, Wildschweine, Vögel und Fische verlegen. Doch die Umstellung war nicht leicht. Weil sich diese Tiere nicht so leicht jagen ließen, musste man raffiniertere Waffen bauen. Für die Ernährung der mittelsteinzeitlichen Jäger gewannen aber auch Pflanzen wie Wildgemüse, Kräuter, Früchte und Nüsse an Bedeutung. Weil der Speiseplan abwechslungsreicher wurde und genügend Beutetiere da waren, konnten die Jäger und Sammler der Mittleren Steinzeit nun ihre Lagerplätze über längere Zeit nutzen. Vielleicht hat das manche von ihnen auf den Geschmack gebracht, es einmal mit einer sesshafteren Lebensweise zu versuchen. Die veränderte Nahrungsgrundlage spiegelte sich in den Werkzeugen wider. Mahlsteine, Beile und Äxte kamen auf. Es entstanden neue Waffen, die mit einer Vielzahl so genannter Mikrolithen bewehrt waren: kleinen Feuersteinsplittern, die in die Schäfte von Harpunen, Speeren oder Pfeilen eingesetzt wurden. Merkwürdigerweise scheinen nach der Eiszeit die großartigen Kunstfertigkeiten der Altsteinzeit wie die Höhlenmalerei oder die Herstellung von Skulpturen aufgegeben worden zu sein. Kunstobjekte und Schmuckstücke aus der Mittleren Steinzeit sind ausgesprochen selten. Vielleicht hatte man für die schönen Dinge des Lebens in den harten Zeiten der Klimaumstellung keine Muße mehr. Oder man schuf nun Kunstgegenstände aus Holz, die sich über so lange Zeit nicht erhalten haben.
EUROPÄISCHE JUNGSTEINZEIT Während in der über eine Million Jahre langen Phase der Alt- und Mittelsteinzeit das Leben der Urmenschen im Grunde stets seinen gewohnten Gang ging, kam es in der Jungsteinzeit, dem Neolithikum, zu einer entscheidenden Veränderung: Fast überall auf der Welt gaben die Menschen ihr Nomadenleben als Jäger und Sammler auf und ließen sich als Bauern und Viehzüchter nieder. Dieser Wandel der Lebensweise war derart umwälzend, dass man von der „Neolithischen Revolution” spricht. Im Vorderen Orient, ungefähr in der Gegend des heutigen Irak, wurden die Menschen allerdings schon viel früher sesshaft als in Mitteleuropa. Hier ließen sie sich schon um 8000 v. Chr. in festen Siedlungen nieder, weshalb man den Beginn der Jungsteinzeit für diese Region auf 8000 v. Chr. festgelegt hat. Mit der Entdeckung eines völlig neuen Materials endete um 2200 v. Chr. in Mitteleuropa (in anderen Gegenden schon früher) die Steinzeit. Zwar verwendete man auch weiterhin noch Steinwerkzeuge, aber Waffen und viele andere Geräte sowie Schmuck wurden nun aus Metall, genauer gesagt: aus Bronze hergestellt. Die Bronzezeit hatte begonnen.
Für Kinder und
Jugendliche (© cpw, 2007) |