Verfassung

 

„Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und Streben nach Glück gehören; dass zur Sicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingerichtet werden, die ihre rechtmäßige Macht aus der Zustimmung der Regierten herleiten; dass es das Recht des Volkes ist, eine Regierung zu ändern, abzuschaffen oder zu ersetzen, wenn sie sich für diese Zwecke als schädlich erweist …”

So lautet der Kern der Erklärung, mit der sich die 13 Kolonien in Nordamerika am 14. Juli 1776 von England und seinem König lossagten. Damit wurden zum ersten Mal die Menschenrechte und die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Volk schriftlich niedergelegt. Doch es musste erst noch ein blutiger Befreiungskrieg ausgefochten werden, der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg, bevor es so weit war: 1787 bekamen die neu gegründeten Vereinigten Staaten von Amerika die erste geschriebene, umfassende und demokratische Verfassung in der Menschheitsgeschichte. Sie baute auf den Grundsätzen der Unabhängigkeitserklärung auf und sollte allen freiheitsliebenden Völkern der Welt zum Vorbild werden. Am 14. Juli 1789 fiel der Startschuss zur Französischen Revolution. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit”, mit dieser Parole erhob sich das Volk gegen seine Unterdrückung durch den König. Das war der Anfang vom Ende der alten Ordnung in Europa. Vorbei waren die Zeiten, in denen die Regierung allein in den Händen adliger und kirchlicher Machthaber lag. In den folgenden 150 Jahren eroberte sich das Volk in den meisten Ländern Europas Stück für Stück die Herrschaftsgewalt und führte parlamentarische, demokratische Regierungsformen ein.

SPIELREGELN FÜR STAATSGEWALT UND BÜRGER

Aus Angst, dass die gewählten Volksvertreter und Regierungen ihre Machtstellung missbrauchten, führte man in den meisten demokratischen Rechtsstaaten Verfassungen ein. Dabei handelt sich um Urkunden, in denen die allgemein gültigen Grundsätze über den Aufbau des Staates, die Machtverhältnisse, die Verteilung der Gewalt und die unantastbaren Menschenrechte geschrieben stehen. Verfassungen enthalten die Regeln, nach denen sich das politische Leben abspielt, und benennen die Aufgaben und Ziele des Staates. Sowohl die Bürger als auch die Staatsorgane müssen sich an die Verfassung halten, vor allem die gesetzgebende Gewalt (Legislative) und die richterliche Gewalt (Judikative): Parlamente und Gerichte. Denn alles Recht, das im Staat in Form von Gesetzen neu geschaffen wird, und alles Recht, das vor Gericht gesprochen wird, muss sich an die Grundsätze der Verfassung halten. Ansonsten ist es von vornherein nichtig. In den meisten Staaten wacht ein eigens eingerichtetes Verfassungsgericht darüber, dass Recht und Gesetz verfassungsgemäß ist.

Das Bundesverfassungsgericht
In Deutschland kann jeder Bürger, der sich ungerecht behandelt fühlt, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde einreichen. Dieses höchste Gericht im Staat erhebt Einspruch, falls tatsächlich eine Verfassungsverletzung vorliegt. Da die obersten Richter aber keine Zwangsmittel zur Änderung von Gesetzen haben, sind sie auf Einsicht und guten Willen der verantwortlichen Politiker angewiesen. Andererseits ist dadurch sichergestellt, dass die Verfassungsrichter nicht selbst Politik machen - oder sich womöglich sogar zur Herrschaft aufschwingen.

MENSCHLICHES UND NATÜRLICHES RECHT

Verfassungsrecht ist zwar dem gesetzten Recht grundsätzlich übergeordnet. Aber es soll die Politik nicht ausschalten, sondern ihr nur einen Rahmen stecken. Da die Verfassungen ja nicht von Gott gegeben, sondern von Menschen gemacht wurden, handelt es sich letztlich ebenfalls nur um gesetztes Recht. Deshalb können sie auch geändert, ergänzt oder modernisiert werden. Um zu verhindern, dass andauernd an den Verfassungen herumgebastelt wird, sind aber hohe Hürden zur Durchsetzung von Änderungen vorgesehen. Unabänderbar bleiben allerdings die in den Verfassungen garantierten Grundrechte, allen voran die Menschenrechte. Denn sie entspringen dem Naturrecht. Und das ist mindestens genauso heilig wie göttliches Recht, weil es dem Menschen nicht von Menschen, sondern von Natur aus mitgegeben wurde.

Wegbereiter des Verfassungsgedankens war England, wo dem König schon im Mittelalter die ersten Rechte abgetrotzt wurden. Aber ausgerechnet Großbritannien besitzt bis heute noch keine richtige Verfassung. Die Rechte der Bürger, ihr Verhältnis zum Staat und die Beziehungen der Staatsorgane untereinander werden nur durch eine lose Sammlung aus geschriebenen Gesetzen und Gewohnheitsrechten geregelt.

Die Weimarer Verfassung
Die erste demokratische Verfassung von längerer Dauer in Deutschland war die Weimarer Verfassung. Sie wurde am 6. Februar 1919 verabschiedet und war im Prinzip bis zum Ende des 2. Weltkrieges 1945 gültig. Allerdings hatte sie Adolf Hitler kurz nach seiner Machtübernahme schon 1933 in entscheidenden Teilen außer Kraft gesetzt.

MARKENZEICHEN „GRUNDGESETZ”

Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland heißt Grundgesetz. Ursprünglich sollte dieser Name signalisieren, dass es sich dabei nur um eine vorläufige Verfassung handelte, die nur bis zur deutschen Wiedervereinigung gelten sollte. Denn entstanden ist das Grundgesetz, als Deutschland nach dem verlorenen 2. Weltkrieg zweigeteilt war: in einen Rechtsstaat im Westen und einen Unrechtsstaat im Osten.

Das Grundgesetz, das am 24. Mai 1949 in Kraft trat und die Bundesrepublik Deutschland begründete, war auf Wunsch und unter Aufsicht der Westalliierten entstanden. So nannten sich die ehemaligen Kriegsverbündeten USA, Großbritannien und Frankreich, die gemeinsam das westliche Deutschland besetzt hielten. Da sie allesamt Demokratien waren, wollten sie auch in Deutschland einen demokratischen und sozialen Rechtsstaat errichtet sehen. Auf besonderen Wunsch der USA sollte in Deutschland Föderalismus herrschen. Darunter versteht man die Ordnung eines Bundesstaates aus politisch einflussreichen Bundesländern mit eigenen Landesverfassungen, Landesparlamenten und Landesregierungen. All diese Vorgaben sind im Grundgesetz berücksichtigt.

Der Name Grundgesetz wurde übrigens auch nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 beibehalten. Vielleicht auch deshalb, weil er weltweit zu einer Art Markenzeichen für eine gut funktionierende rechtsstaatliche Verfassung geworden ist.

Auch das Grundgesetz verändert sich
In den ersten 50 Jahren seit seiner Verkündung sind den ursprünglich 146 Artikeln des Grundgesetzes, der Verfassung der Bundesrepublik, fast 50 Änderungsgesetze gefolgt. Und das, obwohl für eine Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig ist. 1999 hatten nur noch 85 Artikel ihre ursprüngliche Fassung. Dies beweist aber nur, dass das Grundgesetz eine sehr lebendige Verfassung ist.

MENSCHENRECHTE UND DEMOKRATIE

Nach den Menschenrechtsverletzungen während des Dritten Reiches wurden die Grundrechte (Artikel 1-19) bewusst an den Anfang des Grundgesetzes gestellt. Die wichtigsten sind: das Recht auf Menschenwürde, auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Gleichberechtigung von Männern, Frauen, Rassen und Religionen sowie die Gewissens-, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Der Artikel 1 des Grundgesetzes lautet:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die Grundrechte binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht

Artikel 20 des Grundgesetzes beschreibt den Staat:

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier und gleicher Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Der Verfassungsschutz
In Deutschland wurden eigene Behörden zum Schutz vor Angriffen auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung geschaffen. Das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz beschäftigen Agenten, die Personen und Organisationen mit staatsfeindlichen Zielen aufspüren und beobachten. Ferner sollen sie die Machenschaften ausländischer Geheimdienste unterbinden.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)