Weimarer Republik

 

Fern vom Unruheherd Berlin trat am 19. Januar 1919 im Neuen Theater der Dichterstadt Weimar die Deutsche Nationalversammlung zusammen. Ein denkwürdiges Ereignis, denn es handelte sich um die erste echte demokratische Volksvertretung in der deutschen Geschichte. Ihre Aufgabe war es, eine Verfassung für die noch junge erste Republik auf deutschem Boden auszuarbeiten. Gut zwei Monate zuvor war Deutschland noch ein Kaiserreich. Doch Seine Majestät, Kaiser Wilhelm II., hatte angesichts der Niederlage im 1. Weltkrieg sein Land im Stich gelassen und war geflohen. „Ihnen lege ich das Deutsche Reich ans Herz” – mit diesen Worten hatte der letzte Reichskanzler des Kaisers daraufhin am 9. November 1918 dem Sozialdemokraten Friedrich Ebert die Regierungsgewalt übergeben. Zuvor hatte er noch eigenmächtig die Abdankung des Monarchen verkündet.

Der Versailler Vertrag
Laut Versailler Vertrag waren das Deutsche Reich und seine Verbündeten allein schuld am 1. Weltkrieg und hatten deshalb für alle Schäden aufzukommen. Deutschland musste über ein Zehntel seines Staatsgebietes abtreten, darunter wichtige Landwirtschafts- und Industriegebiete sowie drei Viertel seiner Erz- und ein Drittel seiner Steinkohlevorkommen. Es verlor sämtliche Kolonien, musste seine Armee drastisch verkleinern und durfte keine schweren Waffen mehr haben. Es wurde dazu verurteilt, viele Millionen Tonnen Kohle und Koks abzuliefern, und musste den Siegern Handelsschiffe, Eisenbahnen, Lastwagen und sogar Milchkühe aushändigen

ZUVERSICHTLICHER AUFTAKT

„Meine Damen und Herren! Die Reichsregierung begrüßt durch mich die verfassunggebende Versammlung der deutschen Nation”, sagte Ebert zur Eröffnung der ersten Sitzung der Nationalversammlung in Weimar. „Besonders herzlich begrüße ich die Frauen, die zum ersten Male gleichberechtigt im Reichsparlament erscheinen. Mit den alten Königen und Fürsten von Gottes Gnaden ist es für immer vorbei. Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert in alle Zukunft sich selbst.” Dies sollte leider nur ein frommer Wunsch bleiben.

DIE SCHWÄCHEN DER WEIMARER VERFASSUNG

Die Verfassung, die die Nationalversammlung ausarbeitete, konnte sich zwar durchaus sehen lassen: Erstmals gab es ein allgemeines, gleiches, unmittelbares und geheimes Wahlrecht für alle Männer und Frauen. Erstmals war auch die Regierung dem gesetzgebenden Parlament (Reichstag) verantwortlich. Und über die Einhaltung der Verfassung und Gesetze hatten erstmals unabhängige Gerichte zu wachen. Als problematisch sollte sich jedoch die starke Stellung des Reichspräsidenten erweisen, der vom Volk direkt gewählt wurde. Er diente als eine Art Ersatzkaiser und hatte große Vollmachten, z. B. konnte er in Krisenzeiten das Parlament auflösen und in die Regierungsbildung eingreifen. Als verhängnisvoll erwies sich ferner, dass es keinerlei Hürden gab (wie etwa die Fünfprozenthürde im Deutschen Bundestag), die den ganz kleinen Parteien den Einzug in den Reichstag verwehrten. Denn dort machten sie den wenigen wirklich demokratischen Parteien die Sitze streitig, erschwerten die Bildung von Mehrheiten und kamen zumeist den radikalen Kräften zugute.

Selbstbewusste Frauen
Die neue politisch-rechtliche Gleichstellung förderte das Selbstbewusstsein der Frauen enorm. Vor allem in den Städten machte sich schon bald ein gewandeltes Rollenbild bemerkbar: weg von Heim und Herd, hin zu Beruf und Eigenständigkeit ohne festen Partner. Leistungssportlerinnen oder Filmstars wie Marlene Dietrich wurden zu Idolen der modernen Frau.

DEMOKRATIE OHNE DEMOKRATEN

Womit die Weimarer Republik am meisten zu kämpfen hatte, war der Umstand, dass sie eine Demokratie ohne viele wirklich überzeugte Demokraten war. Es wimmelte nur so von antidemokratischen und antirepublikanischen Kräften, deren einziges Bestreben darin bestand, die neue Ordnung alsbald wieder zu beseitigen. Überall im Staate saßen noch die alten Gefolgsleute des Kaisers. Und viele konnten mit ihrer neuen politischen Freiheit nur wenig anfangen. Aufrichtig demokratisch waren im Grunde nur die Parteien der so genannten Weimarer Koalition: die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), die katholische Zentrumspartei und die liberale Deutsche Demokratische Partei (DDP). In immer neuen Bündnissen und mit immer neuen Regierungen versuchten diese und andere, zumeist bürgerlich-konservative Parteien, die erdrückenden Probleme des Landes zu meistern. In den 14 Jahren ihres Bestehens hat die Weimarer Republik ganze 20 Regierungen verschlissen.

Putschversuche
Wolfgang Kapp von der rechtsradikalen Vaterlandspartei unternahm 1920 den Versuch, mit Hilfe von Freikorps (Freiwilligenverbände ehemaliger Offiziere und Soldaten der Reichswehr) die Regierung in Berlin zu stürzen. Der „Kapp-Putsch” scheiterte nicht zuletzt am Widerstand der Gewerkschaften. Drei Jahre später sorgte erstmals ein Mann namens Adolf Hitler mit einer ähnlichen Aktion für Aufsehen. Unterstützt vom ehemaligen Reichsfeldmarschall Erich Ludendorff und einigen tausend Anhängern wollte er von München aus einen Marsch auf Berlin organisieren. Doch auch der „Hitler-Putsch” schlug fehl.

ERBLASTEN DES KAISERREICHS

Die Folgen des 1. Weltkrieges erwiesen sich für die junge Republik als eine nicht zu bewältigende Erblast. Die harten Friedensbedingungen, auf die sich die Siegermächte im Versailler Vertrag verständigt hatten, lösten allgemeine Empörung aus. Reichskanzler Philipp Scheidemann (SPD) rief angesichts des Vertrages aus: „Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns in solche Fesseln legt!” Er weigerte sich, den Versailler Vertrag anzuerkennen, und trat von seinem Amt zurück.

Doch da sich der Kaiser und seine Generäle ihrer Verantwortung entzogen hatten, blieb den unschuldigen Politikern der Weimarer Koalition gar nichts anderes übrig, als am 28. Juni 1919 den Vertrag zu unterzeichnen. Mit ihrer Unterschrift unter den „Schandfrieden” wurden sie in den Augen vieler Deutscher zu „Vaterlandsverrätern”. Durch die „Dolchstoßlegende” galten sie ohnehin schon als „Novemberverbrecher”.

Dolchstoßlegende
Es war die militärische Führung, die gegen Ende des 1. Weltkrieges wegen militärischer Erschöpfung einen Waffenstillstand gewünscht hatte. Trotzdem erklärte der Oberkommandierende Paul von Hindenburg vor einem Untersuchungsausschuss des Reichstages: Die Armee sei „im Felde unbesiegt” gewesen und nur durch Verrat und Revolution in der Heimat von „hinten erdolcht” worden. Alle, die an der Entstehung der Republik am 9. November 1918 beteiligt waren, wurden damit in der öffentlichen Meinung zu „Novemberverbrechern”.

HETZE

Bereits bei der Reichstagswahl vom 6. Juli 1920 zeigten sich die Auswirkungen der Hetze gegen die „Novemberverbrecher” und „Vaterlandsverräter”. Die Parteien der regierenden Weimarer Koalition stürzten von 76 auf 43 Prozent ab. Sie hatten nicht mehr die Mehrheit und waren künftig auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen. Im Durchschnitt gab es von nun an alle neun Monate einen Regierungswechsel. Nationalisten und Kommunisten versuchten die Schwäche der Regierungen und der Republik insgesamt auszunutzen, um an die Macht zu kommen. Immer wieder kam es zu Aufständen, Umsturzversuchen und Mordanschlägen auf Politiker.

Attentate
Matthias Erzberger und Walther Rathenau, die sich als Minister für die Annahme des Versailler Friedensvertrages eingesetzt hatten, waren 1921 und 1922 nur die bekanntesten Opfer einer ganzen Serie politischer Morde. Insgesamt gab es zwischen 1918 und 1922 in Deutschland 376 Attentate. Von den 354 Morden, die auf das Konto von Rechtsradikalen gingen, blieben 326 ungesühnt, und nur in einem einzigen Fall wurde eine Strafe verhängt, und zwar vier Monate Gefängnis. Von den 22 Taten, die von Linksradikalen verübt wurden, gingen 17 vor Gericht und endeten in zehn Fällen mit 15-jährigen Gefängnisstrafen.

REPARATIONEN UND INFLATION

Neben der politischen Lage spitzte sich 1923 auch die wirtschaftliche Krise zu. Zwei Jahre zuvor hatten die Siegermächte als Reparationen (Entschädigung für Kriegsschäden) die unbezahlbare Summe von 121 Milliarden Goldmark festgesetzt. Um den Forderungen nachzukommen, hatte die Regierung immer mehr Geld drucken lassen, das damit immer schneller an Wert verlor. Die Inflation (Geldwertverfall) nahm innerhalb von kürzester Zeit nie gekannte Ausmaße an und stürzte Leute mit Geldersparnissen in die Armut.

Neben den Reparationen in Form von Geld hatte Deutschland laut dem Versailler Vertrag auch Sachlieferungen zu erbringen. Als Deutschland damit in Rückstand geriet, besetzten französische und belgische Truppen am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet. Die deutsche Regierung rief daraufhin zum friedlichen Widerstand durch Arbeitsniederlegung auf. Die Besatzer versuchten, den Widerstand mit Gewalt zu brechen. 180 000 Deutsche wurden während dieses so genannten Ruhrkampfes ausgewiesen, 180 getötet.

Brotpreis 1923
Der Preis für ein Pfund Roggenbrot, das 1919 noch 0,25 Reichsmark (RM) kostete, kletterte im Frühjahr 1923 auf 240 RM, bis zum Sommer weiter auf 5 000 RM, und im Herbst 1923 zahlte man dafür die astronomische Summe von 260 000 000 000 000 RM (260 Billionen).

RÜCKKEHR IN DIE VÖLKERGEMEINSCHAFT

Erst durch die Einführung der Rentenmark als neuer Währung und durch drastische Sparmaßnahmen gelang im Jahr 1924 die Wende. Gleichzeitig kam es zu einer Neuordnung der Zahlungsverpflichtungen durch den „Dawes-Plan”. Benannt ist der Plan nach seinem „Erfinder”, dem späteren US-Vizepräsidenten Charles G. Dawes, und er beinhaltete u. a. hohe Anleihen vor allem seitens der USA an Deutschland. Die Wirtschaft erholte sich, und es ging wieder bergauf. Gleichzeitig bemühte sich Außenminister Gustav Stresemann, Deutschland wieder als vollwertiges Mitglied in die Völkergemeinschaft zurückzuführen Dass dies gelang, belegte die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund am 10. September 1926. Die nun folgenden guten Jahre sind als die „Goldenen Zwanziger” in die Geschichte der Weimarer Republik eingegangen.

Die „Goldenen Zwanziger”
Die „Goldenen Zwanziger” gingen nicht nur mit einem kräftigen Wirtschaftsaufschwung einher. Auch in kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht waren diese Jahre eine Glanzzeit. Film, Theater, Kabarett und prachtvolle Revuen machten Berlin zu einer pulsierenden Metropole. Viele bekannte Künstler und Literaten feierten in dieser Zeit ihre größten Erfolge.

WELTWIRTSCHAFTSKRISE

Ein jähes Ende fanden die „fetten Jahre” am „Schwarzen Freitag”: dem 25. Oktober 1929. An diesem Tag stürzten die Aktienkurse an der New Yorker Börse ab und lösten in den USA eine Wirtschaftskrise aus, die rasch die ganze Welt erfasste. Die amerikanischen Banken waren gezwungen, ihr verliehenes Geld im Ausland einzutreiben. Deutschland mit seinen gewaltigen Schulden war davon mit Abstand am härtesten betroffen. Geld wurde knapp, die Produktion stockte, und die Arbeitslosigkeit nahm rasant zu. Und mit ihr der Zulauf zu den radikalen linken oder rechten Parteien, die stets den passenden Sündenbock und einfache Rezepte für die Probleme parat hatten.

Arbeitslosigkeit
Seit Anfang Januar 1930 stieg die Arbeitslosigkeit von Woche zu Woche und erreichte zuletzt die gewaltige Zahl von über sechs Millionen. Viele Menschen stürzten in Elend und Verzweiflung.

DAS ENDE

Nachdem 1930 die letzte Weimarer Koalition zerbrochen war, stieg Adolf Hitlers Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) zur zweitstärksten politischen Kraft auf, gefolgt von der KPD. Bei den Wahlen am 31. Juli 1932 wurde die NSDAP mit über 37 Prozent der Stimmen sogar stärkste Partei im Reichstag. Inzwischen wurde der Machtkampf zwischen den Parteien nicht mehr nur im Parlament ausgetragen, sondern auch mehr und mehr in blutigen Saal- und Straßenschlachten.

Als die staatstragenden Parteien im Reichstag nicht mehr in der Lage waren, eine Regierung zu bilden, griff der Reichspräsident ins Geschehen ein. Das war seit dem Tod des ersten Präsidenten Friedrich Ebert 1925 der ehemalige General Paul von Hindenburg. Inzwischen ein Greis, war er mit seinem Amt völlig überfordert und überließ die Entscheidungen seinem Sohn und seinen alten Kameraden. Nach drei vergeblichen Versuchen, die Nationalsozialisten von der Macht fern zu halten, blieb Hindenburg 1933 schließlich keine andere Wahl mehr, als Adolf Hitler mit der Bildung einer Regierung zu beauftragen. Immerhin war Hitlers NSDAP seit dem Sommer 1932 die mit Abstand stärkste Partei im Reichstag. Hindenburgs engste Vertraute hatten ihm lange zugeredet. Allen voran der ehemalige Reichskanzler Franz von Papen, der überzeugt war: „In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht.” Doch als Hitler am 30. Januar 1933 die Reichskanzlei betrat, sagte er: „Keine Macht der Welt wird mich jemals lebend hier wieder herausbringen.” Und so war es dann auch.

Kampfverbände der Parteien
Viele Parteien hielten sich Kampfverbände, die sich untereinander bekriegten. Da gab es beispielsweise den „Stahlhelm” der rechten Parteien, die „Sturmabteilung” (SA) der NSDAP, den „Rotfrontkämpferbund” der Kommunisten oder das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold” der Sozialdemokraten. Im Wahlkampf des Sommers 1932 wurden 300 Menschen getötet und über 1 000 verletzt.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)