Wilhelm II.

 

Er gilt als Hansdampf der deutschen Geschichte. Schon sein äußeres Erscheinungsbild sagt alles: stählerner Blick, messerscharfer Schnauzbart, Helm mit flügelschwingendem Reichsadler, Phantasieuniform und mit Orden und Schärpen behängt wie ein Christbaum. Die Meinungen über den Einfluss Kaiser Wilhelms II. auf das weitere Schicksal Deutschlands gehen auseinander. Hunde, die bellen, sollen ja bekanntlich nicht beißen. Deshalb halten ihn viele Experten gerade wegen seines kampflustigen Auftretens und seiner markigen Sprüche nur für einen harmlosen Spinner und Maulhelden, den niemand ernst nahm. Andere jedoch sehen in ihm die Schlüsselfigur auf dem unheilvollen Weg von Bismarck zu Hitler.

EIN BEHINDERTES KIND

Wilhelm II. wurde am 27. Januar 1859 in Berlin geboren und auf den Namen Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Hohenzollern getauft. Die Hohenzollern waren das Herrschergeschlecht der Könige von Preußen, die gleichzeitig auch Kaiser des Deutschen Reiches waren. Wilhelm war der Enkel von Kaiser Wilhelm I., sein Vater war Kronprinz Friedrich Wilhelm und seine Mutter Viktoria, genannt „Vicky”, eine Tochter der berühmten englischen Königin Viktoria.

Vicky freute sich anfangs sehr über ihren Sohn. Es war jedoch eine schwierige Geburt gewesen. Wilhelm trug bei der Geburt eine Nervenverletzung davon, durch die sein linker Arm verkrüppelte. Seine Behinderung machte ihn unbeholfen: Er konnte nicht mit beiden Händen essen, tat sich beim Laufen und beim Reiten hart und konnte nur schwer die Balance halten. Bis zur Pubertät war ihm Vicky eine liebevolle Mutter. Doch dies änderte sich, als der Sohn sich immer mehr als gefühlloser Rüpel entpuppte und der Hauslehrer sich über seine Faulheit und Flatterhaftigkeit beklagte. Wilhelm fühlte sich von seiner Mutter nicht anerkannt und entfremdete sich ihr immer mehr.

Schwere Jugend
Die Ärzte glaubten zuerst, dass sich die Behinderung allmählich von alleine geben würde. Später versuchten sie es mit immer neuen Behandlungsmethoden, die für das Kind und den Heranwachsenden zu einer andauernden Tortur wurden. Das Armleiden aber besserten sie kaum. Zusätzlich unterwarf ihn seine ehrgeizige Mutter einem Dauererziehungs- und Beschäftigungsprogramm, das ihm nahezu keine Freizeit mehr ließ.

ZERWÜRFNIS MIT DER MUTTER

Das Verhältnis der beiden schlug in offenen Hass um, als Wilhelm 1888 mit 29 Jahren völlig überraschend den Thron besteigen musste. Nach dem Tod seines Großvaters hatte sein Vater als Kaiser Friedrich III. den Thron bestiegen. Aber ihm war nur eine Regierungszeit von drei Monaten vergönnt gewesen, ehe er an Kehlkopfkrebs verstarb. Wilhelm gab seiner Mutter die Schuld am Tod des Vaters, weil sie einen englischen Arzt und nicht einen deutschen zu Hilfe geholt hatte, und verleumdete sie auch sonst nach Strich und Faden.

HERRSCHER VON GOTTES GNADEN

In seiner Rolle als König von Preußen und deutscher Kaiser fühlte sich Wilhelm als Herrscher von Gottes Gnaden. Innenpolitisch machte sich dies in der Verherrlichung von Militär, protestantischer Kirche und Adel bemerkbar und – auf der anderen Seite – in offener Verachtung für Parlament, Liberale, Sozialdemokraten, Katholiken und Juden. Außenpolitisch äußerte sich Wilhelms Herrschaftsauffassung in einem verhängnisvollen Streben nach einem „Platz an der Sonne” für sein Reich.

ELEFANT IM PORZELLANLADEN

Durch seine Machtphantasien und seine Großspurigkeit fiel er im Ausland von Anfang an unangenehm auf. Als er sich deswegen den Unmut seines vom Großvater „ererbten” Reichskanzlers Otto von Bismarck zuzog, schickte er diesen 1890 kurzerhand aufs Altenteil. Und er zerstörte innerhalb von kürzester Zeit dessen Lebenswerk, ein ausgeklügeltes Bündnissystem zur Sicherung des Friedens in Europa. „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen”, lautete ein Leitspruch von Kaiser Wilhelm.

„VOLLDAMPF VORAUS!”

„Mit Volldampf voraus!” war ein weiterer Leitspruch Wilhelms II. Immer dreister machte er den Großmachtanspruch des Deutschen Reiches zu Lande und zu Wasser deutlich. Wilhelm litt unter einem Minderwertigkeitskomplex gegenüber der Verwandtschaft mütterlicherseits im englischen Königshaus. Um ernst genommen zu werden, lieferte er sich mit England einen Rüstungswettlauf im Kriegsflottenbau und forderte es mit aggressiver Kolonial- und Wirtschaftspolitik heraus.

Die deutsche Kolonialpolitik
Lange Zeit hatten sich die Deutschen nicht für den Erwerb von Kolonien interessiert. Nun aber wollte Wilhelm II. das Deutsche Reich auch endlich am imperialistischen Wettlauf der anderen Mächte um Kolonien, Rohstoffe und Absatzmärkte beteiligen. Der Herrschaftsanspruch in den eroberten „Schutzgebieten” wurde mit brutaler Macht durchgesetzt. Die Niederschlagung des Herero-Aufstandes in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) 1904 kam einem Völkermord gleich.

DEUTSCHLAND WIRD ISOLIERT

Dies alles führte schließlich zu einer Annäherung der ehemaligen Erzrivalen Russland, Frankreich und England. Sie verbündeten sich nun in der so genannten Entente Cordiale („herzliches Einverständnis”). Deutschland blieb nur noch der alte Dreibund mit Italien und Österreich-Ungarn. Bis an die Zähne bewaffnet, standen sich am Vorabend des 1. Weltkrieges (1914-1918) in Europa zwei Machtblöcke gegenüber.

DER ÄNGSTLICHE „SOLDATENKÖNIG”

Aber im Krieg zeigte der im Volk bejubelte „Soldatenkönig” wenig Führungskraft. Obwohl er laut Verfassung eigentlich der Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte war, wurde er allmählich von der Obersten Heeresleitung (OHL) aus der militärischen Führung und der Regierung verdrängt. Seine Generäle Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff errichteten eine Art Militärdiktatur. Als an Sieg nicht mehr zu denken war, ließ sich Wilhelm kaum mehr blicken. Der Verantwortung entzog er sich noch vor Kriegsende durch Flucht ins Exil. Am 28. November 1919 erklärte er seinen Thronverzicht (nachdem schon am 9. November 1918 sein Reichskanzler eigenmächtig den Rücktritt des Kaisers erklärt hatte). Seinen Lebensabend verbrachte er auf Schloss Doorn in den Niederlanden. Wilhelm starb am 4. Juni 1941 und wurde auf Anordnung von Adolf Hitler mit militärischen Ehren beigesetzt.

Wilhelm II. war seit 1881 in erster Ehe mit Auguste Viktoria, Prinzessin zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg verheiratet, die ihm sieben Kinder schenkte. Nach ihrem Tod nahm er 1922 Hermine, verwitwete Prinzessin von Schönaich-Carolath, geborene Prinzessin Reuss, zur Frau.

Wilhelm II. und die Kunst
Das „Wilhelminische Zeitalter” zeichnete sich durch starke Gegensätze in Kunst und Kultur aus. Auf der einen Seite gab es sozialkritische Schriftsteller wie Gerhart Hauptmann, dessen Drama Die Weber 1892 nicht aufgeführt werden durfte; er und seinesgleichen wurden als „Vaterlandsfeinde” verfemt. Es war auch die Zeit des Jugendstils. Und Maler wie Wassily Kandinsky, Franz Marc und Paul Klee suchten in ihren Werken nach neuen Ausdrucksformen und stießen damit bei Hofe auf Ablehnung. Für Kaiser, Hof und große Teile des Bürgertums hatte die Kunst die deutsche Größe widerzuspiegeln - am liebsten in Form monumentaler Bauten, kolossaler Denkmäler und riesiger Gemälde.

Für Kinder und Jugendliche
verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw, 2007)