Internationales Netzwerk
islamisch-fundamentalistischer Terroristen.
Al-Qaida ist 1988 aus dem bewaffneten
Widerstand gegen die sowjetische Besetzung Afghanistans
hervorgegangen, der maßgeblich von den USA und Saudi-Arabien
finanziert wurde. Gründer war der saudische Multimillionär Osama bin
Laden, ein radikaler Islamist, der den Befreiungskampf der Afghanen
zunächst hauptsächlich mit Geld und später auch aktiv durch
Rekrutierung und militärische Ausbildung arabischer Mudschaheddin
unterstützte.
Vor dem Hintergrund der dauerhaften
Stationierung von US-Truppen in Saudi-Arabien nach dem 2. Golfkrieg,
der amerikanischen Unterstützung der Nordallianz im Machtkampf gegen
die radikalislamischen Taliban in Afghanistan sowie des
eskalierenden Nahostkonflikts zwischen Israel und den Palästinensern
erging im Jahre 1998 Bin Ladens Aufruf zur Sammlung einer
„Internationalen Islamischen Front für den Heiligen Krieg gegen
Juden und Kreuzzügler” unter dem Dach von al-Qaida. Eine Reihe
islamistischer Terrororganisationen wie Al-Jiihad al-Islami und
Al-Jamaa al-Islamiyya aus Ägypten, Jamiat ul-Ulema aus Pakistan,
Harakat al-Mudschaheddin aus Kaschmir und die Jihad-Bewegung aus
Bangladesch leisteten ihm Folge. Zugleich verhängte bin Laden eine
Fatwa (islamisches Rechtsurteil), die die Ermordung von Amerikanern
und ihrer Verbündeten – Soldaten wie Zivilisten – Muslimen überall
auf der Welt zur heiligen Pflicht machte. Mit seinen panmuslimischen
Appellen zielte bin Laden bewusst auf eine Überwindung
traditioneller Feindschaften innerhalb der islamischen Welt ab.
Ging es anfangs primär um die
Befreiung der heiligen Stätten des Islam in Jerusalem und
Saudi-Arabien von den „Ungläubigen”, so weitete sich der Kampf von
al-Qaida allmählich zum Jihad im Sinne eines umfassenden „heiligen
Krieges” mit den Mitteln des Terrorismus gegen Nichtmuslime. Die
Absicht der „Jihadisten” besteht vor allem darin, den islamischen
Kulturkreis von den glaubenszersetzenden Einflüssen der als dekadent
empfundenen westlichen Lebensart zu säubern. Hauptzielscheibe und
Hassgegner Nummer eins ist dabei Amerika, dessen globaler
Machtanspruch unter den veränderten weltpolitischen Bedingungen nach
dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums von islamistischen
Fundamentalisten als existenzbedrohend empfunden wird. Aber auch
Israel, Russland, Indien, die europäischen Staaten und sogar
Bündnispartner des Westens in der arabischen Welt stehen auf der
schwarzen Liste der Jihadisten.
Markenzeichen der weltweit verstreut
lebenden und in wechselnden Allianzen operierenden Kämpfer des
Al-Qaida-Netzwerkes sind möglichst spektakuläre und todesverachtende
Terroraktionen, die von wahlloser, hemmungsloser Mordlust künden.
Zur Demonstration einer höheren Moral der Sache, für die sie
kämpfen, inszenieren die selbst ernannten Gotteskrieger dabei im
internen Wettstreit ihre Gewalttaten bevorzugt in Form des eigenen
Martyriums.
Schon die Attentäter, die im Februar
1993 vergeblich versuchten, das World Trade Center in New York in
die Luft zu sprengen, sollen mit bin Ladens Organisation in
Verbindung gestanden haben. Definitiv auf das Konto von al-Qaida
gingen die zeitlich abgestimmten Bombenanschläge am 7. August 1998
auf die US-Botschaften in Nairobi (Kenia) und Daressalam (Tansania),
die insgesamt mehr als 250 Todesopfer forderten. Desgleichen der
Selbstmordanschlag mit einem sprengstoffbeladenen Boot auf ein
US-Kriegsschiff im Hafen von Aden (Jemen) am 12. Oktober 2000, der
17 Marinesoldaten das Leben kostete. Die vorläufigen Höhepunkte des
Al-Qaida-Terrors waren jedoch zweifellos die Flugzeugattacken vom
11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und das
Pentagon in Washington, bei denen mehr als 3 000 Menschen starben,
sowie die Bombenanschläge vom 12. Oktober 2002 auf einen Nachtclub
auf Bali (Indonesien) mit 180 Todesopfern und am 11. März 2004 –
exakt zweieinhalb Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 –
auf Nahverkehrszüge in Madrid mit 191 Toten. Insgesamt kamen bisher
rund 4 000 Menschen durch Terroranschläge von al-Qaida ums Leben.
Der kurz nach den Anschlägen vom 11.
September 2001 erfolgte und von den USA geführte Angriff auf
Afghanistan zum Sturz des Taliban-Regimes, das der Al-Qaida-Führung
Unterschlupf gewährte, führte zwar zur Schwächung des Kerns der
Organisation. Doch die fortschreitende Dezentralisierung in eine
unüberschaubare Zahl kleiner regionaler Zellen macht al-Qaida eher
noch unberechenbarer und schwerer zu bekämpfen als zuvor. Wird eine
Gruppe aufgespürt, ist der Schaden für die Gesamtorganisation
gering. Obwohl im Krieg gegen den Terror etliche hochrangige
Al-Qaida-Mitglieder getötet oder verhaftet wurden, sind die
wichtigsten drei Führer, Osama bin Laden, der Ägypter Aiman
al-Sawahiri und der Jordanier Abu Musab al-Sarqawi, vermutlich noch
am Leben.
Regen Zulauf brachte der Organisation
offenbar der Irak-Krieg 2003. Der Angriff einer westlichen,
US-geführten Militärallianz auf das erdölreiche zweitheiligste Land
des Islam sowie die Demütigung und Misshandlung von Muslimen durch
die Besatzer schien die Propaganda vom „Kreuzzug gegen den Islam”,
den die Islamisten der westlichen Welt, vor allem den USA
unterstellen, zu bestätigen und brachte dem Jihadismus viele neue
Sympathisanten ein. Heute zählt al-Qaida schätzungsweise 5000
Mitglieder und verfügt über Zellen in etwa 50 Ländern rund um den
Globus. Viele der speziell ausgebildeten Kämpfer leben als so
genannte „Schläfer” in ihren Gastländern und warten auf das Kommando
zum Einsatz.
Verfasst von:
Roland Detsch
(© cpw)