Atlantikwall

Propagandistische Bezeichnung für die deutschen Verteidigungsanlagen zur Abwehr einer mutmaßlichen Invasion der Alliierten an der Atlantikküste im 2. Weltkrieg; er erstreckte sich in unterschiedlicher Befestigungsstärke über eine Länge von 6 000 Kilometern vom Golf von Biscaya bis zum Nordkap in Norwegen.

Erste Anstalten zur Sicherung der Küsten gab es bereits nach der „Operation Weserübung” (der Eroberung Dänemarks und Norwegens) im April 1940 in Skandinavien sowie im Juli 1940 bei Calais in Frankreich. Doch erst die Befürchtungen der deutschen Führung, angesichts der Rückschläge in der Sowjetunion einem Zweifrontenkrieg ausgesetzt zu werden, gaben die entscheidenden Impulse zur systematischen Befestigung der westeuropäischen Küsten durch einen „Neuen Westwall”. Der entsprechende Befehl zum Aufbau einer sturmsicheren „Festung Europa”, die mit nur 500 000 Soldaten zu halten sein sollte, erging bei einer Führerbesprechung am 13. August 1942 von Hitler persönlich, der sogar eigene Entwürfe für Bunkeranlagen beisteuerte.

Verwirklicht wurden die vorgegebenen Baupläne von der Organisation Todt (OT, siehe Fritz Todt) sowie teilweise in Eigenregie von französischen, belgischen, holländischen, dänischen und norwegischen Bauunternehmen. Die größte Baustelle Europas, auf der Zehntausende Zwangsarbeit leisten mussten, zog wegen der guten Verdienstmöglichkeiten auch Scharen freiwilliger Wanderarbeiter an sowie Menschen, die eine Zuflucht vor Verfolgung durch das NS-Regime suchten. Mit einem Kostenaufwand von rund vier Milliarden Reichsmark wurden in knapp zwei Jahren rund 17,3 Millionen Tonnen Beton und 1,2 Millionen Tonnen Stahl verbaut.

Doch bereits am ersten Tag überrannten die Alliierten bei ihrer Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 den von der Propaganda als unbezwingbar hingestellten Atlantikwall und stießen mangels einer zweiten Verteidigungslinie ungehindert ins Landesinnere vor. In der irrigen Annahme, die Angreifer würden den kürzesten Weg über den Ärmelkanal nehmen, hatte für das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) neben den wichtigsten Seehäfen und U-Boot-Basen die Befestigung des Pas-de-Calais oberste Priorität gehabt. Doch abgesehen davon, dass er noch allzu viele Lücken aufwies, ließ der Wall auch in technischer Hinsicht vielfach zu wünschen übrig. Stellungen mit „Wunderwaffen” wie V1, V2 und V3 bildeten die Ausnahme. Es dominierten ausgemusterte Kanonen aus dem 1. Weltkrieg, zweckentfremdete Schiffsgeschütze und veraltete Beutewaffen von der Ostfront, die teilweise nicht einmal in der Lage waren, bewegliche Seeziele zu bekämpfen. Zudem waren am Atlantikwall überwiegend Truppen der Reserve stationiert.

Dennoch waren bis 1944 über 13 000 Bunker, Kasematten, Unterstände, MG-Stellungen und sonstige Wehranlagen fertig gestellt, davon rund 11 000 in Frankreich und Belgien, 265 an der Deutschen Bucht, 1 400 in Dänemark und 1 600 in Norwegen. Insgesamt bestand der Atlantikwall, an dem im Rücken der Alliierten noch bis Kriegsende weitergebaut wurde, aus gut 100 000 Einzelanlagen. Seine Überreste, die teilweise noch militärisch genutzt werden, sind noch heute an der gesamten Küste zu finden.

Verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw)