Heute überwiegend polemisch
verwendete Bezeichnung für die ökonomisch, politisch und ideologisch
dominante, tonangebende Schicht innerhalb des Bürgertums.
In der frühen Neuzeit war der Begriff
Bourgeoisie in Frankreich und später auch anderen europäischen
Ländern ursprünglich eine wertneutrale Bezeichnung für die
städtische, wohlhabende Bürgerschaft. Seit der Französischen
Revolution ist Bourgeois (der Angehörige dieser Schicht) im Sinne
eines Klassenbegriffes, der schon bei Diderot einen negativen
Beigeschmack hatte, die gängige Bezeichnung für den nichtadligen
Besitzbürger vor allem der Stadtgemeinde; im Gegensatz dazu steht
der Citoyen, der politisch bewusste Staatsbürger. In der
marxistischen Terminologie schließlich bezeichnet der Begriff
Bourgeoisie die herrschende, über die Produktionsmittel verfügende
Klasse der kapitalistischen Gesellschaft.
Obwohl oft fälschlicherweise synonym
gebraucht, ist die Bourgeoisie nicht identisch mit dem Bürgertum,
sondern nur ein Teil davon. Diese Konfusion rührt daher, dass im
Deutschen anders als in den romanischen Sprachen begrifflich nicht
unterschieden wird zwischen dem Bürger in seiner politischen Rolle
als konstituierendes Element des (republikanischen) Staates, dem
Citoyen, und dem Bürger hinsichtlich seiner sozialen Merkmale – ein
Umstand, der als Resultat der verspäteten Emanzipation des
Bürgertums in Deutschland gewertet wird. Während sich im
angelsächsischen Raum und in Frankreich sein Aufstieg zur
staatstragenden Klasse bereits im 17. Jahrhundert Bahn brach und im
19. Jahrhundert weitgehend abgeschlossen war, konnte sich das
Bürgertum in Deutschland nach dem Scheitern der Revolution von 1848
erst mit der Gründung der Weimarer Republik aus der
obrigkeitsstaatlichen Bevormundung befreien. Zu dieser Zeit hatte
sich anderenorts in Europa und den USA schon längst die Bourgeoisie
zur herrschenden Klasse in der bürgerlichen Gesellschaft
aufgeschwungen.
GESCHICHTE
Mit der Herausbildung des
absolutistischen Territorialstaates verlor die ständische Gliederung
der mittelalterlichen Feudalherrschaft an Bedeutung. Der absolute
Souveränitätsanspruch des Monarchen fand seinen Ausdruck in einer
generellen Degradierung der Beherrschten zu Untertanen. Diese
Subordinierung machte auch vor dem Adel nicht halt, der zwar
kompensatorisch seine sozialen Privilegien behaupten und teilweise
sogar beträchtlich ausbauen konnte, doch seine politische
Vormachtstellung zusehends einbüßte. Eine Vorreiterrolle übernahm
dabei König Ludwig XIV. von Frankreich, der zur Absicherung seiner
Suprematie dem Adel wesentliche Funktionen in Staat und Verwaltung
entzog, um sie Beamten zu übertragen, die sich überwiegend aus dem
Bürgertum rekrutierten.
Doch noch mehr als dies war es die
merkantilistische Wirtschafts- und Geldpolitik, die das Bürgertum
beförderte. Zum politischen Durchbruch verhalf ihm nicht zuletzt ein
neuer Eigentumsbegriff, wie ihn etwa der englische Staatstheoretiker
John Locke vertrat, der in seinen Two Treatises of Government
(1690) den Schutz des Eigentums – eine Domäne des städtischen
Bürgertums, das sich spätestens im ausgehenden Mittelalter auf
breiter Front als eine Art Geldadel etabliert hatte – zu einem der
Hauptzwecke der Staatenbildung erhoben hatte. Sekundiert wurde er
dabei im 18. Jahrhundert von Denkern wie dem Begründer der
Nationalökonomie, Adam Smith, der in seiner Theorie der bürgerlichen
Gesellschaft die auf den amor sui (Selbstliebe) gegründete
civitas terrena (irdischer Staat) zum Modellfall für die
bürgerliche Gesellschaft machte, die er als eine Vereinigung
eigennütziger Egoisten zum Zwecke der gemeinsamen Jagd nach Reichtum
präsentierte. Hinzu kam bereits im 17. Jahrhundert eine Abkehr der
bürgerlichen Theorie vom Gedankengut eines Thomas Hobbes, der der
Monopolisierung der Staatsgewalt einst das Wort geredet hatte.
Stattdessen propagierte sie die politische Teilhabe nichtadeliger
Stände und verhalf damit der Aufklärung auch
gesellschaftsphilosophisch zur Geltung.
BOURGEOISIE IN DER BÜRGERLICHEN
THEORIE
Ausgerechnet unter den geistigen
Vätern der bürgerlichen Revolutionen fanden sich einflussreiche
Vertreter wie die französischen Enzyklopädisten, die in ihrem
Argwohn gegen die Bewohner der Stadt den Bourgeois indirekt zum
Antitypen der an den allgemeinen Angelegenheiten des Staates
partizipierenden Masse der Citoyens stilisierten. Jean Jacques
Rousseau machte keinen Hehl aus seiner Verachtung gegen den
Bourgeois und stellt ihn als einen ausschließlich seinen
Privatinteressen verpflichteten Egoisten hin, der einer
Versittlichung zum Staatsbürger und einer Bindung an den allgemeinen
Willen und das Gemeinwohl ganz besonders bedürfe – eine Einschätzung
von geradezu prophetischem Weitblick, wie sich zeigen sollte.
Hatte es nach der Französischen
Revolution zunächst den Anschein, als habe sich der sozial äußerst
inhomogene „dritte Stand” zur Nation der freien und gleichen
Citoyens (im Sinne von Staatsbürger) aufgeworfen und der
Standesbegriff endgültig seinen politischen Charakter eingebüßt,
traten in der neuen bürgerlichen Gesellschaft bald die Schichten an
die Stelle der Stände. Als Verlierer erwies sich dabei die
Unterschicht, die kein Eigentum besaß. Die von den Fesseln der
Ständeordnung befreite Bourgeoisie (im Sinne von Besitzbürgertum)
hingegen konnte sich nun die technischen Neuerungen der
Industriellen Revolution zunutze machen, baute Fabriken und trieb
die Industrialisierung in der Warenproduktion voran. Indem sie die
Besitzlosen zwang, ihren Lebensunterhalt durch Lohnarbeit in der
Fabrikation zu bestreiten, schuf die bürgerliche Wirtschaftselite
neue Abhängigkeitsverhältnisse und trat damit in gewisser Weise die
Nachfolge des Adels an. Da familiäre Herkunft oder Vererbung
rechtlich nicht mehr relevant waren, wandelte sich die
Standesgesellschaft in eine Klassengesellschaft, in der sich –
vereinfacht betrachtet – nun die Bourgeoisie und das Proletariat
gegenüberstanden.
BOURGEOISIE UND MARXISTISCHE
THEORIE
Breiten Raum nimmt der Antagonismus
zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat in der Lehre von Karl
Marx und Friedrich Engels ein. Sie interpretieren die Geschichte als
Abfolge von Klassenkämpfen, die die Gesellschaft auf einem Weg
vorantreibt, der zwangsläufig in den Kommunismus mündet. Letzte
Station ist ihrer Theorie nach die bürgerliche Gesellschaft, die
gekennzeichnet ist von der Unterdrückung der Arbeiterklasse durch
die über die Produktionsmittel verfügende kapitalistische
Ausbeuterklasse, die Bourgeoisie; diese Unterdrückung kann aus
marxistischer Sicht einzig und allein durch eine Revolution
überwunden werden.
In ihrem Kommunistischen Manifest von
1848 wähnen Marx und Engels die Gesellschaft in eben dieser letzten
Phase, die sie als „Epoche der Bourgeoisie” apostrophieren, welche
sich vor allen anderen durch die fortwährende Umwälzung der
Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller
gesellschaftlichen Zustände sowie ewige Unsicherheit und Bewegung
auszeichne. Denn wo die Bourgeoisie zur Herrschaft gelange, würden
alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört.
Sie habe die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen
Vorgesetzten knüpften, zerrissen und kein anderes Band zwischen
Mensch und Mensch übrig gelassen als das nackte Interesse, als die
gefühllose bare Zahlung. „Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der
mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die
offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt.” Getrieben
vom Bedürfnis nach stetiger Ausweitung des Absatzes jage die
Bourgeoisie um die Erdkugel und sorge dafür, dass an die Stelle der
alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und
Abgeschlossenheit ein Zustand allseitigen Verkehrs gegenseitiger
Abhängigkeit der Nationen trete.
Die Bourgeoisie habe das Land der
Herrschaft der Stadt unterworfen, die Bevölkerung agglomeriert, die
Produktionsmittel zentralisiert und das Eigentum in wenigen Händen
konzentriert. Die notwendige Folge hiervon sei die politische
Zentralisation gewesen. Aber auch innerhalb der Bourgeoisie bestehe
ein Konkurrenzverhältnis: Unternehmen verdrängten einander, kauften
einander auf oder trieben sich gegenseitig in den Ruin. Andererseits
habe die Bourgeoisie als Klasse ein gemeinsames Interesse, das sich
insbesondere in dem Antagonismus gegenüber den Lohnabhängigen
äußere. Die Bourgeoisie, so die Ansicht von Marx, sei existentiell
auf den Staat angewiesen: als Garant des Eigentums, als Schutzmacht
gegen revolutionäre Übergriffe und als Instanz, die günstige
Rahmenbedingungen für das Unternehmertum gewährleiste. Umgekehrt
schätze der Staat die Bourgeoisie, weil sie für wirtschaftliches
Wachstum sorge, an dem er partizipieren könne.
Verfasst von:
Roland Detsch
(© cpw)