Entwicklungshilfe

Bezeichnung für die Gesamtheit der finanziellen und materiellen, instruktiven und konstruktiven Hilfsleistungen an Länder und Völker, die darauf abzielen, ihre sozioökonomische Rückständigkeit zu überwinden. Sie schließt Unterstützungen im Rahmen der Entwicklungspolitik von Staaten, internationalen Behörden und öffentlichen Institutionen ebenso ein wie die Unterstützungen durch Nicht-Regierungsorganisationen (NGO), Wohlfahrtsverbände, Privatpersonen und Spender.

Die so genannte Offizielle Entwicklungshilfe (Official Development Assistance, ODA) umfasst die Zuwendungen, die dem Entwicklungshilfekomitee (Development Assistance Commitee) der Organisation für Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung (Organization for Economic Cooperation and Development, OECD) gemeldet werden. Sie zielt darauf ab, den Empfängerländern bei der Verbesserung der Lebensbedingungen zu helfen, etwa durch die Förderung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Massenarmut, zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums und zur Verringerung der Umweltzerstörung. Die ODA besteht weniger aus Hilfsgütern als aus Darlehen und Finanzhilfen.

In Deutschland liegt die Offizielle Entwicklungshilfe federführend in der Zuständigkeit des 1961 geschaffenen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und wird im Wesentlichen von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) abgewickelt. Begleitet wird sie von Technischer Entwicklungshilfe durch Berater vor Ort oder die Bereitstellung von Ausrüstung und Material. Diese wird in Deutschland in der Regel von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) koordiniert. Mit der Durchführung beauftragte Organisationen, die auch Entwicklungshelfer ausbilden und beraten, sind in Deutschland u. a. der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) und die Deutsche Stiftung für Internationale Entwicklung (DSE).

In Österreich ist die Entwicklungszusammenarbeit und die Koordination der internationalen Entwicklungspolitik Sache des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten (BMAA). In der Schweiz werden sämtliche Aufgaben der humanitären Hilfe von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) wahrgenommen, einer Agentur im Eidgenössischen Department für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

Daneben gibt es noch ereignisabhängige Soforthilfen sowie ein breites Spektrum freiwilliger Hilfen. Während finanzielle und materielle Nothilfe, wie sie etwa im Falle von Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Hungersnöten geleistet wird, sowohl von Regierungen als auch privaten Spendern organisiert wird, ist ein beträchtlicher Teil der weltweiten Entwicklungs- und Hilfsprogramme allein auf Initiativen karitativer Freiwilligenverbände und auf privates Engagement zurückzuführen.

Geschichte

Der Löwenanteil der internationalen Entwicklungshilfe fließt von jeher in die Länder der Dritten Welt. Abgesehen von den klimatischen Ursachen wird die soziopolitische Rückständigkeit und der extreme wirtschaftliche Entwicklungsbedarf dieser überwiegend auf Erlöse aus der Rohstoff-Primärproduktion angewiesenen Länder im Wesentlichen als ein Erbe von Kolonialismus und eine Folge von Dekolonisation und neokolonialer Abhängigkeiten von den reichen Industriestaaten betrachtet.

Neben den ehemaligen Kolonialmächten waren es vor allem die Geschäftsbanken, der Internationale Währungsfonds (IWF), die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBWE) sowie die ebenfalls zur Weltbankgruppe gehörige Internationale Entwicklungsorganisation (IDA), die eine Vorreiterrolle bei der Entwicklungshilfe spielten und die verarmten und rückständigen Länder nach Erlangung ihrer staatlichen Unabhängigkeit mit zinsgünstigen Krediten zur Entwicklung ihrer Wirtschaft versorgten. 1979 legte die so genannte Nord-Süd-Kommission – eine unabhängiges Gremium für internationale Entwicklungsfragen unter Vorsitz von Willy Brandt – einen umfassenden Plan vor, der sich mit dem Problemkomplex Verschuldung und Entwicklung befasste. Die Schwerpunkte lagen bei globalen Nahrungsmittel- und Energieprogrammen, einer verstärkten Beteiligung der Entwicklungsländer an der Weltbank und anderen internationalen Organisationen sowie Ausweitung der Hilfe in Form von nichtrückzahlbaren Finanzhilfen, zinsgünstigen Darlehen und Schuldenerlass. Dieser Plan wurde von den Regierungen des Nordens jedoch größtenteils ignoriert.

In ihrem Abschlussbericht mit dem Titel Unsere gemeinsame Zukunft gab die Internationale Kommission für Umwelt und Entwicklung 1987 den Anstoß zum Konzept des sustainable development (nachhaltigen Entwicklung). Ihre Empfehlungen zur Bevölkerungspolitik, Energieversorgung, Erhaltung der Artenvielfalt sowie der Industrie- und Siedlungsentwicklung dient seitdem als offizielle Richtschnur der internationalen Entwicklungspolitik. Nachhaltigkeit oder auch tragfähige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden. Die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (United Nations Conference on Environment and Development, UNCED) 1992 in Rio de Janeiro erhob die Nachhaltigkeit zur Grundlage aller politischen Entscheidungen über den Umgang mit natürlichen, gesellschaftlichen und technischen Ressourcen. Die internationale Staatengemeinschaft ließ das Postulat einer nachhaltigen Entwicklung als globales Leitprinzip in die Deklaration von Rio einfließen und verknüpfte es mit einem ambitionierten Aktionsprogramm mit dem Titel Agenda 21. Doch von den geschätzten 125 Milliarden US-Dollar, die zu seiner Umsetzung notwendig wäre, brachten die Geberländer bislang nur 2,5 Milliarden auf, hauptsächlich mit der Begründung mangelnder öffentlicher Akzeptanz in Zeiten der Rezession und Kürzung öffentlicher Leistungen.

Internationaler Vergleich

Obwohl die Vereinten Nationen den entwickelten Industrieländern des Nordens 1970 ohnehin nur den bescheidenen Beitrag von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zur Zielvorgabe für die ab 1980 zu leistende Entwicklungshilfe machten, bewegte sich diese realiter nach offiziellen Angaben durchschnittlich nicht einmal bei der Hälfte. Spitzenreiter waren dabei Norwegen, Dänemark, Luxemburg, die Niederlande und Schweden, die als einzige regelmäßig ihr Plansoll übererfüllen. Während Deutschland und die Schweiz für Gewöhnlich im unteren Mittelfeld liegen, rangieren die USA mit gut 0,1 Prozent stets auf dem letzten Platz.

1. Norwegen 0,89
2. Dänemark 0,87
3. Luxemburg 0,90
4. Niederlande 0,74
5. Schweden 0,80
6. Belgien 0,42
7. Frankreich 0,43
8. Irland 0,40
9. Schweiz 0,38
10. Finnland 0,37
11. Großbritannien 0,36
12. Deutschland 0,28
13. Australien 0,26
14. Kanada 0,27
15. Neuseeland 0,25
16. Spanien 0,26
17. Portugal 0,63
18. Griechenland 0,24
19. Japan 0,19
20. Österreich 0,24
21. Italien 0,15
22. USA 0,16
DAC Insgesamt 0,25

(Quelle: Germanwatch - Stand: 2004)

Realhilfe und Phantomhilfe

Noch ernüchternder sieht die Bilanz aus, wenn man der regierungsunabhängigen britischen Organisation ActionAid folgt, die das Entwicklungshilfevolumen, das von den G7-Staaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Italien, Japan, USA) geleistet wird, auf gerade einmal ein Viertelprozent der addierten Bruttoinlandsprodukte beziffert. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass nach ihren Erkenntnissen weniger als 40 Prozent der Mittel, die von den im Entwicklungshilfekomitee der OECD vertretenen Geberländern bereit gestellt werden, überhaupt als „real aid“ (echte Hilfe) bei den Bedürftigen ankommt. Dies bedeutet in absoluten Zahlen, dass ganze 42 der rund 69 Milliarden US-Dollar, die im Untersuchungszeitraum als Mittel für die Entwicklungshilfe ausgewiesen wurden, als „phantom aid“ (Phantomhilfe) eingestuft werden musste, wobei es sich bei 14 Prozent dieses Betrages um reines Phantomgeld in Form verrechneter Schuldenerlasse ohne jeglichen Zusatznutzen handelte. Neutralisiert wurde der größte Teil der Entwicklungshilfe angeblich durch die Zweckbindung der Mittel an Investitionen in ineffiziente technische Hilfsprojekte und die Nötigung zum Kauf überteuertee Güter, von denen obendrein noch in erster Linie Berater bzw. Firmen aus den Industrieländern profitierten. Der Rest fiel anderweitiger Verschwendung zum Opfer, wurde von den Verwaltungs- und Transaktionskosten aufgefressen oder versickerte nicht zuletzt in den dunklen Kanälen der Korruption.

Abzüglich der Phantomhilfe schrumpft die Entwicklungshilfe der G-7 gerade einmal auf 0,07 Prozent zusammen. Während in Deutschland der geschätzte Realhilfeanteil wenigstens noch bei einem Drittel liegt, bilden Frankreich und die USA mit weniger als zehn Prozent die Schlusslichter. Wesentlich großzügiger als die G-7 sind eine Reihe von kleineren Staaten, allen voran Norwegen, das gemessen am eigenen Reichtum 40 Mal mehr ODA zur Verfügung stellt als die USA. Luxemburgs Hilfe ist zu 81 Prozent „real“, die irische sogar zu 87 Prozent. Spitzenreiter der G-7-Länder ist mit 71 Prozent realer Hilfe Großbritannien.

Perspektiven der Entwicklungshilfe

Im September 2000 verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs von 150 Ländern zum Abschluss eines Gipfeltreffens in New York die so genannte Millenniumserklärung, die als Beginn einer neuen globalen Partnerschaft für Entwicklung gepriesen wurde. Auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg erneuerte die internationale Gemeinschaft zehn Jahre nach der UN-Konferenz in Rio de Janeiro, 2002, ihr Bekenntnis zur Nachhaltigkeit. Vereinbart wurde, die „sich gegenseitig stützenden Säulen der nachhaltigen Entwicklung – wirtschaftliche Entwicklung, soziale Entwicklung und Umweltschutz – auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene auszubauen und zu festigen“. Die Gipfelteilnehmer verabschiedeten einen Aktionsplan, der im Wesentlichen die Ziele der Millenniumserklärung bestätigt.

Auf der UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung im mexikanischen Monterrey diskutierte die internationale Gemeinschaft aus Entwicklungs- und Industrieländern 2002 die Möglichkeiten zur Finanzierung der auf der Millenniumskonferenz verabredeten Ziele mit folgenden Ergebnissen: Zur Erschließung zusätzlicher Finanzierungsquellen der Entwicklungszusammenarbeit sollen mehr Haushaltsmittel in den Entwicklungsländern mobilisiert werden; ausländische Direktinvestitionen sollen die Wirtschaft in den Entwicklungsländern stärken; der internationale Handel soll als ein Motor für Entwicklung gefördert werden, wobei die Industrieländer aufgefordert sind, ihre Märkte für Produkte aus den Entwicklungsländern zu öffnen. Auch dieser Gipfel endete mit einer Erklärung, in der die Einsicht der internationalen Gemeinschaft in die Notwendigkeit einer Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zum Ausdruck gebracht wird.

Was die Europäische Union anbelangt, so erneuerte der Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen bei einer Tagung in Barcelona am 15./16. März 2002 das Bekenntnis zum 0,7-Prozent-Kriterium und stellte seine stufenweise Erfüllung bis zum Jahr 2015 in Aussicht. Angesichts der Lehren aus den gebrochenen Versprechungen der Vergangenheit nahmen Kritiker diese Selbstverpflichtung ebenso mit Skepsis zur Kenntnis wie die anvisierte mittelfristige Steigerung der gemeinsamen ODA-Quote auf 0,39 Prozent bis 2006 und 0,56 Prozent bis 2010, was bereits zu diesem Zeitpunkt eine Verdoppelung der EU-Entwicklungshilfe auf 80 Milliarden US-Dollar bedeuten würde, zumal Länder wie Deutschland, Italien und Portugal bereits ihre Umsetzung dieses Stufenplanes von der Einhaltung des Eurostabilitätspaktes abhängig machten.

Deutsche Entwicklungsziele

Unabhängig davon hat sich die Bundesrepublik das Ziel gesteckt, bis 2006 einen Anteil von 0,33 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens in die Entwicklungszusammenarbeit zu investieren. Hochverschuldeten Entwicklungsländern soll im Rahmen HIPC-Initiative (heavily indebted poor countries = hochverschuldete arme Länder) der Weltbank und des IWF von 1996 unter bestimmten Bedingungen ein Teil der Schulden erlassen und eine entwicklungsverträgliche Schuldenfinanzierung angeboten werden. An der Verwirklichung der Millenniumsziele will Deutschland mit seinem ressortübergreifenden Aktionsprogramm 2015 arbeiten.

Kritik

Viele der groß angelegten Entwicklungsprojekte der Vergangenheit mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, allenfalls zur Hebung des städtischen Lebensstandards und zur Elitenbildung beigetragen zu haben. Abgesehen davon, dass die Geberländer seit jeher im Verdacht stehen, die Entwicklungshilfe als Instrument zur Durchsetzung ihrer eigenen wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen zu missbrauchen, werfen ihnen Kritiker ein viel zu einseitiges Verständnis von Entwicklung vor. Geleitet von den Maximen der kapitalistischen Marktwirtschaft und gebunden an entsprechende politische Maßgaben würden eigenständige wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen in den Empfängerländern auf diese Weise eher verhindert als gefördert. Zur Diskussion stehen deshalb auch alternative Modelle wie das der Self-Reliance (Konzept des Vertrauens auf eigene Kräfte), das statt einer vorschnellen Anpassung an die Industrienationen eine kulturelle Rückbesinnung propagiert.

Ferner wird die Anklage erhoben, dass die entwicklungspolitischen Finanzdarlehen die Dritte Welt erst in die Schuldenkrise gestürzt hat. De facto mussten die Entwicklungsländer 1985 erstmals mehr Mittel für Zins und Tilgung aufbringen als sie vom Norden erhielten. Als es in den Achtzigerjahren zunehmend schwieriger wurde, die Verbindlichkeiten gegenüber den Geschäftsbanken zu bedienen, waren sie gezwungen, sich hilfesuchend an die Weltbank zu wenden. Diese gewährte in der Folge zwar weiterhin Kredite aber nur, wenn die Empfängerländer Strukturanpassungsprogrammen und Reformen zur Verringerung der Importe und Förderung der Marktwirtschaft zustimmen. Inzwischen hat es zahlreiche Versuche gegeben, den Schuldenberg, den die Entwicklungsländer angehäuft haben, zu verkleinern, sei es durch Refinanzierungen, Umschuldungen oder Schuldenerlasse.

Verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw)