Finanzkapital
Von
dem Austromarxisten Rudolf Hilferding eingeführte Bezeichnung für
die Verquickung von Industrie- und Bankkapital infolge der
Konzentrations- und Zentralisationserscheinungen in entwickelten
kapitalistischen Systemen; heute Fachausdruck für das vorwiegend
bei Banken angelegte Sparvermögen privater Haushalte, das als
Ergänzung des Eigenkapitals in Form von Krediten zur Bildung von
Realkapital zur Verfügung gestellt wird.
Hilferding
charakterisierte den Spätkapitalismus als „organisierten
Kapitalismus", in dem die freie Konkurrenz zunehmend dem eher
sozialistischen Prinzip planmäßiger Produktion weiche. Die
Hauptursache dafür sieht er in der Ausdehnung des Aktienwesens, der
Schaffung von Kartellen und Trusts und vor allem in der damit
zusammenhängenden Konzentration im Bankensektor. Indem die Banken
einen zunehmenden Anteil am so genannten Gründergewinn – der
Differenz aus industriellem Gewinn und den auf den Zinssatz
reduzierten Dividendenzahlungen der Aktiengesellschaften –
abschöpfen, zeigt Hilferding, dass ein immer größerer Teil des
Industriekapitals nicht mehr der Industrie, sondern den Banken
gehört, und bezeichnete das zum Industriekapital mutierte
Bankkapital als Finanzkapital. Da Kartelle zu
Produktionseinschränkungen und Kapitalexport neigten, fordert das
Finanzkapital zur weltweiten Vertretung seiner Interessen einen
starken Staat. Da es dadurch zwangsläufig zu internationalen
Interessengegensätzen kommen müsse, sah Hilferding im
Finanzkapital eine nützliche Entwicklung zur Überwindung des
Kapitalismus.
In
der heute gebräuchlichen Terminologie stellt das Finanzkapital
neben dem Realkapital und der Arbeit eine von drei
Vermögenskategorien (stocks) dar. Zum Verständnis der
wirtschaftlichen Entwicklungsdynamik ist zwischen den ökonomischen
Fundamentalinteressen dieser drei Vermögenskategorien zu
unterscheiden, die sich in den drei Einkommenskategorien (flows)
Zinszahlungen, Unternehmergewinne und Löhne ausdrücken. Während
sich Rentiers hohe Zinssätze und einen hohen Wechselkurs der
eigenen Währung erwarten, sind die Unternehmer zur Erzielung
höchster Profite auf den Gütermärkten an möglichst günstigen
Finanzierungsbedingungen (niedrige Realzinsen, stabile Wechselkurse,
keine Überbewertung der eigenen Währung) interessiert. Die
Arbeitnehmer schließlich treten für eine Anpassung der Reallöhne
an das Wachstum der von ihnen geleisteten Produktivität ein. Dies
kann je nach den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu
unterschiedlichen Koalitionen zwischen Finanz- und Realkapital sowie
Arbeit führen.
Verfasst von:
Roland Detsch
(© cpw)
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