Hartz-Reformen

Populäre Bezeichnung für ein 2002/03 in Deutschland eingeleitetes arbeitsmarkt- und sozialpolitisches Gesetzespaket im Rahmen des Reformprogramms „Agenda 2010” der rotgrünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder in Deutschland; es ist benannt nach dem Vorsitzenden der im Jahr 2002 von der Regierung eingesetzten Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt”, Peter Hartz, Vorstandsmitglied der Volkswagen AG.

Angesichts anhaltender Massenarbeitslosigkeit und des drohenden Bankrotts des deutschen Sozialstaates hatte Bundeskanzler Schröder noch vor der Bundestagswahl 2002 und seiner zweiten Amtszeit ein 15-köpfiges Expertengremium berufen, die Hartz-Kommission. Sie hatte den Auftrag, Vorschläge zur Belebung des Arbeitsmarktes und zur Effizienzsteigerung der Arbeitsvermittlung zu unterbreiten. Das aus der Arbeit der Kommission hervorgegangene Hartz-Konzept bildete die Grundlage für vier „Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt”, kurz: Hartz I bis IV.

PRINZIP „FÖRDERN UND FORDERN"

Die Hartz-Reformen betreffen vor allem das Arbeitsförderungs- und Sozialhilferecht und sollen Arbeitslosigkeit verhindern oder zumindest nicht zum Dauerzustand werden lassen. Geleitet werden diese Reformen vom Prinzip „Fördern und Fordern”: Eigeninitiative wird belohnt, Passivität bestraft. Vorgesehen ist eine intensivere Betreuung und Vermittlungstätigkeit einschließlich Jobtraining, Mobilitätshilfen, Bewerbungskosten- und Eingliederungszuschüsse. Verknüpft sind sozialstaatliche Leistungen wie diese jedoch mit der Erwartung konkreter Gegenleistungen seitens der Empfänger, zumindest der Annahme angebotener Beschäftigungen bzw. der Bereitschaft zur Teilnahme an Weiterqualifizierungen. Dabei gehen die Hartz-Gesetze mit einer deutlichen Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln einher: Wer eine Ausbildung oder Arbeit ohne triftige Gründe ausschlägt, hat mit empfindlichen Einschnitten bei den Bezügen zu rechnen bis hin zur völligen Streichung. Berufsfremde Tätigkeiten und Niedriglöhne werden als Hinderungsgründe nicht mehr anerkannt. Dasselbe gilt für Entfernungen: Familiär ungebundene Arbeitnehmer sind zu bundesweiter Mobilität geradezu aufgefordert.

HARTZ I

Das „Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt” trat am 1. Januar 2003 in Kraft und zielt auf eine Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch die Ausweitung der Zeitarbeit ab. Dazu dient zum einen das Programm Kapital für Arbeit, das Unternehmen mit finanziellen Anreizen in Form von zinsverbilligten Krediten lockt, wenn sie arbeitslosen Menschen eine Stelle oder einen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen. Zum anderen sollen neuartige, in der Regel privat organisierte Leiharbeitsfirmen, so genannte Personal-Service-Agenturen (PSA), Erwerbslosen auf dem Weg der Zeitarbeit den Wiedereinstieg in das Berufsleben erleichtern. Ziel ist die Übernahme der in den Firmen im praktischen Einsatz bewährten Leiharbeiter in reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Nicht dauerhaft vermittelbare Leiharbeiter erhalten die Chance zur Weiterqualifizierung. In der Arbeitslosenstatistik werden die PSA-Beschäftigten gesondert aufgeführt.

HARTZ II

Das „Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt”, das zusammen mit Hartz I am 1. Januar 2003 in Kraft trat, animiert Arbeitslose, aber auch Beschäftigte in staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) durch die Gewährung von Existenzgründungszuschüssen zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit (Ich-AG). Von diesem Angebot verspricht sich der Gesetzgeber nebenbei eine Eindämmung der illegalen Schwarzarbeit, die besonders häufig von beschäftigungslos gemeldeten Handwerkern zur Aufbesserung ihres Lebensunterhalts verrichtet wird. Hartz II sieht ferner die Anhebung der monatlichen Verdienstgrenzen bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, den so genannten Mini-Jobs, vor und verpflichtet die Arbeitgeber zur Abgabe von Sozialversicherungspauschalen für Angestellte in diesem Bereich.

HARTZ III

Das „Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt”, das größtenteils seit 1. Januar 2004 in Kraft ist, enthält zwar auch eine Reihe von Vereinfachungen im Leistungsrecht der Arbeitslosenversicherung und der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, widmet sich aber in erster Linie dem Umbau der Bundesanstalt für Arbeit (BfA) in Nürnberg. In der Absicht, die schwerfällige Mammutbehörde mit zuletzt 90 000 Mitarbeitern, 600 Außenstellen und 180 Arbeitsämtern in einen leistungsfähigen und kundenorientierten Dienstleister zu verwandeln, wurde die Bundesanstalt für Arbeit in die Bundesagentur für Arbeit umgewandelt, die nach Art eines Unternehmens mit einem Vorstand an der Spitze geführt wird. Die bisherigen Landesarbeitsämter wurden durch Regionaldirektionen abgelöst. Die ehemaligen Arbeits- und Sozialämter präsentieren sich nun als so genannte Agenturen für Arbeit und als Job Center, die als Anlaufstellen für Arbeitslose und Sozialfälle gleichermaßen fungieren. Ergänzt wird das Ganze durch ein Kontrollsystem zur vergleichenden Dokumentation von Effizienz und Vermittlungserfolgen der Agenturen.

HARTZ IV

Die gravierendsten Änderungen und Einschnitte brachte das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt” mit sich, das erst nach Modifizierungen und Ergänzungen den mehrheitlich von der Opposition dominierten Bundesrat passieren konnte und größtenteils am 1. Januar 2005 in Kraft trat. Während in Hartz I bis III der Akzent auf dem „Fördern” der von der Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen liegt, steht Hartz IV ganz im Zeichen des „Forderns”. Am härtesten traf es dabei die mehr als zwei Millionen Erwerbslosen, die, nachdem ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld abgelaufen war, bis dahin Arbeitslosenhilfe bezogen. Sie erhielten nun den Status so genannter erwerbsfähiger Hilfebedürftiger und bekommen nun ebenso wie die ehemaligen Sozialhilfeempfänger das neue Arbeitslosengeld II (ALG II).

Im Gegensatz zum Arbeitslosengeld I ist das Arbeitslosengeld II eine aus Steuern finanzierte Grundsicherung in Höhe der Sozialhilfe, auf die alle erwerbsfähigen Hilfebedürftigen im Alter von 15 bis 65 Jahren samt ihrer Angehörigen ein Anrecht haben. Als erwerbsfähige Hilfebedürftige gelten Menschen, die ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihrer Familie nicht selbst oder aus dem Einkommen ihres (Ehe-)Partners bestreiten können, sehr wohl jedoch in der Lage wären, mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten. Dies schließt auch minder schwer Kranke und Behinderte ein. Ebenfalls anders als das Arbeitslosengeld I orientiert sich das Arbeitslosengeld II nicht am zuletzt verdienten Nettolohn, sondern am Niveau der Sozialhilfe.

Hartz IV sieht vor, Antragsstellern unter 25 Jahren sofort eine Beschäftigung, einen Ausbildungsplatz oder zumindest eine gemeinnützige Tätigkeit im Rahmen der so genannten Ein-Euro-Jobs zukommen zu lassen. Hilfebedürftige aller Altersstufen werden an die so genannten Fallmanager der Arbeitsagenturen verwiesen, die mit ihnen Eingliederungsvereinbarungen schließen, die gleichermaßen Leistungsansprüche und Eigeninitiativpflichten beinhalten. Die Ablehnung einer zumutbaren Erwerbstätigkeit oder Eingliederungsmaßnahme zieht ebenso wie fehlendes Eigenengagement Sanktionen in Form schrittweise durchgeführter Leistungskürzungen nach sich; Jugendliche und Erwachsene unter 25 Jahren können sogar mit dem Totalentzug bestraft werden. Als zumutbar gelten im Rahmen von Hartz IV so gut wie alle Tätigkeiten, sofern die Arbeitsbedingungen nicht sittenwidrig sind. Ein-Euro-Jobs dürfen ebenso wenig abgelehnt werden wie untertariflich vergütete Arbeiten, Mini-Jobs und Umschulungsangebote.

Verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw)