Bei Herodot, Strabo und Diodor
erwähnte altägyptische Hafenstadt an der Mündung des Nil, deren im
Meer versunkene Überreste erst 2001 entdeckt wurden. Im antiken
Griechenland war Herakleion zudem die Bezeichnung für ein dem
Herakles geweihtes Heiligtum sowie der Name einiger Städte wie etwa
des heutigen Iraklion auf Kreta und der als griechische Kolonie
gegründeten Stadt Herculaneum, die 89 v. Chr. von den Römern erobert
und 79 n. Chr. vom Vesuv zerstört wurde.
Das ägyptische Herakleion ist der
älteste bisher entdeckte Mittelmeerhafen Ägyptens. Etwa 800 v. Chr.
unter dem Namen Thons gegründet, diente er von 550 bis 331 v. Chr.
als Umschlagplatz für den gesamten Handel des Pharaonenreiches mit
Griechenland und den griechischen Städten Kleinasiens. Aufgespürt
hat ihn der Franzose Franck Goddio im Frühjahr 2001: Bei der
Untersuchung des Meeresgrundes in der Bucht von Abukir mit einem
Magnetometer stieß der semiprofessionelle Hobbyarchäologe sechs
Kilometer vor der Küste in zehn Metern Wassertiefe auf ein rund ein
Quadratkilometer großes Trümmerfeld, das unter einer 30 bis 350
Zentimeter dicken, teilweise steinharten Sedimentschicht verborgen
lag.
Seine Vermutung, dass es sich um die
seit Jahrhunderten verschollene Stadt Herakleion handeln könnte, von
der nicht viel mehr bekannt war, als dass der griechische Historiker
Herodot dort im 5. Jahrhundert v. Chr. einen Tempel des Herakles
vorgefunden hatte, bestätigte sich inzwischen. Den letzten Beweis
lieferte der Fund einer vollständig erhaltenen Stele aus schwarzem
Granit. Sie stammt aus dem Jahr 380 v. Chr. und weist eine in Stein
gemeißelte Hieroglyphen-Inschrift auf, die neben einer Auflistung
der von Pharao Nektanebos I. dekretierten Zollbestimmungen für
griechische Handelsware auch den Doppelnamen Herakleion-Thonis
zeigt. Dies ist zugleich der Beleg dafür, dass es sich bei
Herakleion und Thonis um ein und dieselbe Stadt handelte. Dieses
steinerne Hinweisschild für die Kapitäne griechischer Handelsschiffe
markierte die Zufahrt zum Hafen. Der Hafen, erkennbar an mindestens
zehn nebeneinander liegenden Schiffswracks, lag im Osten der Stadt,
und hier befand sich einst auch die Mündung des längst
verschwundenen kanopischen Nilarms ins Mittelmeer, also das antike
Eingangstor Ägyptens.
Im Süden, auf den sich die
Ausgrabungen zunächst konzentrierten, machten die
Unterwasserarchäologen einen Tempelbezirk mit den Ruinen eines
gewaltigen Bauwerkes mit rund 150 Meter langen Grundmauern aus.
Obwohl das Heiligtum dem ägyptischen Göttervater Amun und seinem
Sohn Chons geweiht war, fanden sich neben ägyptischen
Sakralgegenständen auch bemalte Keramik aus Attika und der bronzene
Helmbusch einer überlebensgroßen Statue, möglicherweise der
Kriegsgöttin Athene. Inzwischen vermuten die Wissenschaftler, dass
es sich bei diesem eindeutig ägyptischen Heiligtum zugleich um den
berühmten Herakles-Tempel handelte, der der Hafenstadt ihren Namen
gab. Eine Klärung dieser merkwürdigen ägyptisch-griechischen
Symbiose erhofft man sich von weiteren der rund 20 000 vermuteten
Relikte im Meeresgrund. Für die Erkundung von Herakleion-Thonis
wurden mindestens 20 Jahre veranschlagt.
Ungeklärt sind auch noch die Ursachen
für den Untergang der Stadt, die nach der Gründung Alexandrias im
Jahr 331 v. Chr. 30 Kilometer stromaufwärts immer mehr an Bedeutung
verlor. Die Spekulationen reichen von einer Flutwelle infolge eines
Seebebens bis zur schleichenden Unterspülung durch den Nil.
Verfasst von:
Roland Detsch
(© cpw)