Johannes von Salisbury

auch
Johannes Saresberiensis (1115-1180)

Scholastiker und politischer Theoretiker aus England; gilt als sehr früher Vorläufer der englischen Aufklärung.

Johannes war ein Schüler Pierre Abélards und Sekretär von Thomas Becket, ab 1176 Bischof von Chartres. Entgegen dem Zeitgeist stand für ihn das praktische Wissen jenseits dialektischer Spekulation und schwärmerischer Mystik im Vordergrund. Im Universalienstreit gehörte er zu den entschiedenen Gegnern des Nominalismus. Mit seiner Theorie des psychischen Entwicklungsprozesses beeinflusste Johannes entscheidend die englische Assoziationspsychologie. Die doppelte Reihe des Bewusstseins geht ihm zufolge aus dem psychischen Grundzustand der Imagination hervor: in der Theorie die Meinungen, durch ihren Abgleich schließlich das Wissen sowie die vernünftige Überzeugung (ratio), in der Praxis die Gefühle der Lust und der Unlust in allen von den wechselnden Lebensumständen abhängigen Formen.

Grundlegend für seine politische Theorie ist die Vorstellung des Gemeinwesens als natürliche Ordnung des Menschen, in dem jedem seine spezifische Aufgabe (officium) zukommt. Johannes spricht dabei von einem „Körper, der durch göttliches Gnadengeschenk belebt wird und der sich nach dem Geheiß der höchsten aequitas bewegt und vom Steuer der Vernunft geleitet wird". In seinem Offiziensystem fungiert der Priester als Seele, der dem Körper Leben gibt, der Fürst als Haupt und der „Senat" als Herz; die Richter und Provinzstatthalter sind Augen, Ohren und Zunge, die Krieger die Hände, die Bauern und Handwerker die Füße.

Den König erklärt Johannes zum Diener des öffentlichen Wohls und zum Knecht der „aequitas", dem von der Vernunft erkennbaren ontologischen Lebensgesetz. Einen Herrscher, der an die Stelle von „aequitas" und „iustitia" seinen eigenen Willen setzt, bezeichnet Johannes als Tyrannen, den zu ermorden „billig und recht" sei; somit rechtfertigt er den Tyrannenmord.

Verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw)