Katyn

Dorf in Russland westlich von Smolensk, bekannt durch die Massengräber von über 4 000 Opfern eines Massakers an polnischen Kriegsgefangenen, das 1940, während des 2. Weltkrieges, von Jossif Stalin angeordnet und von der Sowjetunion 50 Jahre lang geleugnet wurde.

Der Massenmord erfolgte vor dem Hintergrund der Aufteilung Polens zwischen Deutschland und der Sowjetunion infolge des Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August 1939. Dieser Aufteilung stemmte sich das polnische Volk durch Mobilisierung sämtlicher militärischer Reserven vergeblich entgegen. Um das Land unter Kontrolle zu behalten, hielt es die sowjetische Regierung für angebracht, sich der führenden Köpfe des potentiellen Widerstandes in den großbürgerlichen Kreisen der polnischen Eliten zu entledigen. Dies fiel umso leichter, als die meisten der möglichen Widerständler als Reserveoffiziere in den russischen Kriegsgefangenenlagern Kozielsk, Starobielsk und Ostashkovo bei Smolensk einsaßen. So wurden von Anfang April bis Mitte Mai 1940 rund 25 000 Polen liquidiert, mehr als die Hälfte von ihnen in den drei Lagern, die übrigen in den Zentralen des sowjetischen Geheimdienstes NKWD (siehe Tscheka) in Smolensk, Charkiw, Kalinin, Kiew und Minsk.

Die Leichen verschwanden in Massengräbern in der Umgebung, mehr als 4 000 von ihnen in den Wäldern von Katyn. Dort wurden sie im Februar 1943 von der deutschen Wehrmacht entdeckt. Die Bemühungen der NS-Führung, den Fund propagandistisch auszuschlachten, um die Anti-Hitler-Koalition zwischen den Westmächten und der Sowjetunion zu sprengen, schlugen fehl. Trotz eindeutiger Beweise für die sowjetische Täterschaft, die durch eine internationale Kommission aus prominenten Gerichtsmedizinern bestätigt wurde, gelang es Stalin, den Spieß umzudrehen und der deutschen Armee die Schuld für den Tod der seit 1940 vermissten polnischen Offiziere zuzuweisen.

Als die sowjetische Rote Armee Ende 1943 das Gebiet um Smolensk zurückeroberte, ließ die sowjetische Führung die Toten von eigenen Fachleuten untersuchen; und die kamen zu dem Ergebnis, dass das Massaker zu einer Zeit stattgefunden habe, als das Gebiet um Smolensk von den Deutschen besetzt war, das Massaker folglich von den Deutschen begangen wurde. In der Sowjetunion folgte nun eine Serie von Prozessen, bei denen zahlreiche deutsche Offiziere aufgrund gefälschter Beweise als Mörder von Katyn zum Tode verurteilt wurden. 1945 setzte die Sowjetunion das Massaker von Katyn sogar auf die Tagesordnung der Nürnberger Prozesse; mangels eindeutiger Belege wurde dieser Anklagepunkt jedoch wieder gestrichen. In der Folge beteiligten sich die Westmächte wider besseres Wissen jahrzehntelang an der Vertuschung der Wahrheit, sei es, um einen unentbehrlichen Kriegsverbündeten nicht in Verlegenheit zu bringen, sei es, um die Entspannungspolitik nicht zu gefährden.

Erst im Zuge von Glasnost und Perestroika rang sich der letzte sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow nach langem Zögern am 13. April 1990 zu einem Schuldeingeständnis durch. Zur Verantwortung gezogen wurde niemand. Nach 14 Jahren Ermittlungstätigkeit stellte die russische Militär-Staatsanwaltschaft am 21. September 2004 ihre Nachforschungen wegen Verjährung ein.

Verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw)