Da die arabischen Machthaber den islamisierten
Einheimischen eine Machtbeteiligung verweigerten, kam es 739 zum
Aufstand der Berber. Ihr Führer Maysara al-Matghari vereinigte die
Stämme der Miknasa, Bargawata und Magrawa und errichtete ein
schiitisches Gegenkalifat, das nach seiner Ermordung in eine Reihe
von Fürstentümern zerfiel.
Idrisiden-Reich
Als Begründer der Eigenstaatlichkeit Marokkos
gilt der schiitische Imam Idris, ein Abkömmling von Ali ibn Abi
Talib, dem Vetter und Schwiegersohn des Propheten Mohammed. Wegen
Beteiligung an einer fehlgeschlagenen Revolte gegen die Abbasiden
auf der Flucht, scharte er missionierte Berber um sich, die ihn als
Herrscher anerkannten. Damit begründete er die Dynastie der
Idrisiden, die von Fès aus das Umland eroberten und 788 das erste
eigenständige Reich im Maghreb errichteten, das bis 985 Bestand
hatte.
Es folgten andere arabische und berberische
Dynastien, von denen vor allem die Almoraviden (1062 – 1147) und die
Almohaden (1147 – 1258) erwähnenswert sind. Unter den Almohaden
entwickelte sich Marokko zum Zentrum eines Großreiches, zu dem
Algerien, Tunesien, das heutige Libyen sowie große Teile von Spanien
und Portugal zählten. Ihre Macht verhinderte, dass Marokko anders
als viele seiner Anrainer niemals unmittelbar Teil des Osmanischen
Reiches wurde. Unter Fremdherrschaft gerieten dagegen weite Teile
der marokkanischen Küste und des angrenzenden Binnenlandes, wo die
Portugiesen nach der Eroberung von Ceuta 1415 und Tanger 1471 der
Reihe nach die Häfen Asilah, Anfa (heute Casablanca), Azzemour, Asfi
(heute Safi), Mazagan (heute El Jadida) besetzten oder Städte wie
Santa Cruz (heute Agadir) gründeten.
Scherifen-Dynastien
Sie zurückzudrängen gelang erst den Saaditen
(1554 –1660), der ersten Scherifen-Dynastie (arabisch sharif:
edel, vornehm), die arabischer Abstammung waren und ihre Herkunft
auf die Familie des Propheten Mohammed zurückführten. Sie fügten
Portugal 1578 eine vernichtende Niederlage zu und holten sich bis
zum Ende des 17. Jahrhunderts die meisten Küstenstädte zurück. Die
Regierungszeit von Ahmad I. al-Man-sur (1579 – 1603) gilt als das
goldene Zeitalter Marokkos.
Thronstreitigkeiten nach seinem Tod führten
zum Niedergang der Saaditen, zur Auflösung der Zentralmacht und zum
Zerfall Marokkos in eine Reihe von Fürstentümern. Die über die Oasen
des Tafilalt im Südwesten regierenden Hassani-Scherifen nutzten die
Schwäche, um ihren Machtbereich ab 1659 zu erweitern und errichteten
ein Reich, das annähernd das heutige Marokko umfasste. 1666 erklärte
sich der Hassani-Scherif Mulai al-Raschid in Fès zum Sultan und
begründete die Dynastie der Alawiten. Sein Nachfolger Mulai Ismail
(1672 – 1727) stellte eine stehende Armee auf, mit deren Hilfe er
die rebellischen Berber zwangsbefriedete und die spanischen Eroberer
aus Asilah, Larache und Tanger zurückschlug. Sein Nachkomme Mulai
Mohammed (1757 – 1792) vertrieb die Portugiesen aus ihrer letzten
Bastion Mazagan (heute El Jadida). Er unterhielt Handelsbeziehungen
in viele Teile Europas, ehe Mulai Silman (1794 – 1822), der ihm
nachfolgte, eine Politik der Abschottung nach außen einleitete.
Europäische Okkupation
Die Unterjochung Algeriens durch die
französische Kolonialmacht rief Mitte des 19. Jahrhunderts
europäische Rivalen auf den Plan, und Marokko wurde zum Spielball
imperialistischer Mächte. Marokkanische Angriffe auf die letzte
spanische Exklave Ceuta führten 1859/60 zum Krieg, in dem sich
Spanien Tétouan sichern konnte. Im April 1904 erkannte
Großbritannien – als Gegenleistung für die Achtung Ägyptens als
britisches Interessengebiet – Marokko als Domäne Frankreichs an. In
das Ringen um die Vormachtstellung schaltete sich auch das deutsche
Kaiserreich ein und löste damit zwei so genannte Marokko-Krisen
(1905 bzw. 1911) aus, die jedoch auf dem Verhandlungsweg beigelegt
werden konnten. Dabei hatte der so genannten Panthersprung nach
Agadir – benannt nach dem deutschen Kanonenboot „Panther“, das zur
Unterstützung des Widerstandes gegen die französischen
„Schutzherren“ entsandt wurde – Frankreich und Deutschland bereits
1911 an den Rand eines Krieges gebracht.
Im Zuge der Aufteilung entstanden fünf Zonen:
1. die internationale Zone von Tanger, 2. das spanische Protektorat
in Nord-Marokko (Spanisch-Marokko) mit der Hauptstadt Tétouan, 3.
die spanische Besitzung Ifni und 4. das spanische Protektorat in
Süd-Marokko – die letzten beiden wurden verwaltungsmäßig der Kolonie
Spanisch-Sahara angegliedert – sowie 5. das mit Abstand größte,
französische Protektorat (Französisch-Marokko) mit der Hauptstadt
Rabat.
Nationalismus
Der bewaffnete Kampf der Einheimischen gegen
die Fremdherrschaft begann in Spanisch-Marokko, als 1920 die
berberischen Rif-Kabylen revoltierten. Ihr Anführer Abd el-Krim
al-Khattabi rief zum Heiligen Krieg auf und errichtete 1921 eine
„Republik Er Rif“, der er als Präsident mit dem Titel eines Emirs
vorstand. Es war ihm bereits gelungen, einen Großteil der Besatzer
zu vertreiben, ehe die Kolonialmächte Frankreich und Spanien in
einem gemeinsamen Feldzug mit 200 000 Soldaten unter dem Kommando
von Marschall Philippe Pétain und José Sanjurjo den Aufstand 1926
gewaltsam niederschlugen.
Erkennbare Versuche der Franzosen, Araber und
Berber gegeneinander auszuspielen und auseinander zu dividieren
trugen in den dreißiger Jahren wesentlich zur Herausbildung eines
Nationalbewusstseins unter den Marokkanern bei. Dieses manifestierte
sich in Organisationen wie dem Parti de la Réforme (PR) in
der spanischen und dem Koutla de l’Action Nationale
(„Nationaler Aktionsblock“) in der französischen Zone. Dem Koutla-Generalsekretär
Allal el-Fassi gelang es, eine Volksbewegung zu mobilisieren, die
1944 die ultranationalistische „Unabhängigkeitspartei“ Parti de
l’Istiqlal (PI) hervorbrachte.
Befördert wurde diese Entwicklung zum einen
durch die Landung von US-Truppen im November 1942 und die Hoffnung
auf ein baldiges Ende der restriktiven Kollaborationsregierung
Pétain (Vichy-Regime) in Frankreich, der Marokko den Deutschen als
Aufmarschgebiet überantwortet hatte; zum anderen durch den
antiimperialistischen Grundtenor der Atlantikcharta. Nachdem sich
entsprechende Äußerungen der französischen Exilregierung unter
General Charles de Gaulle nach dem Krieg nur als Lippenbekenntnisse
erwiesen, machte sich der lediglich noch formal herrschende
Alawiten-Sultan Sidi Mohammed ibn Jussuf, der in jungen Jahren als
Marionette der europäischen „Schutzmächte“ galt, die Forderungen der
Nationalisten nach Selbstständigkeit, Reformen und Demokratisierung
zu eigen. Damit förderte er auch die Akzeptanz der arabisch
dominierten Istiqlal bei der berberischen Landbevölkerung.
Unabhängigkeit
Repressionen gegen nationalistische Wortführer
sorgten dafür, dass die bislang überwiegend friedlichen
Unabhängigkeitsbestrebungen im August 1953 in Aufruhr und offene
Gewalt umschlugen. Nach der Absetzung des unbotmäßigen Sultans
Mohammed 1953 begehrten auch die in der nationalen Frage
nachgiebigen Berber auf, deren geistiges Oberhaupt er war. Nicht
zuletzt wegen der zugespitzten Lage in Algerien lenkte Frankreich
Ende 1955 ein, und der Sultan kehrte im Triumph aus dem Exil heim.
Am 2. März 1956 wurde das französische und am 8. April 1956 auch das
spanische Protektorat offiziell aufgehoben. Nur die Mittelmeerhäfen
Ceuta und Melilla sowie der Atlantikhafen Sidi Ifni (bis 1969)
blieben in spanischem Besitz. Tanger, seit 1912 mit fünfjähriger
Unterbrechung (1940 – 1945) internationaler Freihafen, verlor diesen
Status und wurde Marokko im Oktober 1956 angegliedert.
Am 16. August 1956 hatte unterdessen der
Sultan als König Mohammed V. den Thron eines unabhängigen Al Mamlaka
al Maghribijja (arab. Maghrebinisches Königreich) bestiegen und
regierte Marokko nach Art eines absoluten Herrschers. Innenpolitisch
wirkte er integrativ. Außenpolitisch unterstützte er die
panarabischen Bestrebungen und erhob Anspruch auf Mauretanien und
die von Spanien kolonisierte Westsahara.
Grenzkrieg mit Algerien
Nach dem Tod Mohammeds V. am 29. Februar 1961
führte sein ältester Sohn als Hassan II. den groß-marokkanischen
Kurs seines Vaters fort. 1962 provozierte er einen Konflikt mit
Algerien, als er die bodenschatzreiche Region Tindouf im Südosten
für sich reklamierte. Eine Invasion marokkanischer Truppen konnte
von den Algeriern zurückgeschlagen werden. Aber die beiderseitigen
Ansprüche blieben bis zur Unterzeichung eines Grenz- und
Zusammenarbeitsabkommens auf der Gipfelkonferenz der Organization
für African Unity (OAU) im Juni 1971 bestehen.
Westsahara-Konflikt
Als nächstes suchte Hassan die Konfrontation
mit Spanien. In der Auseinadersetzung um die Zukunft der Kolonie
Spanisch-Sahara meldete er ebenso wie Mauretanien Ansprüche auf das
Gebiet an. Zur Destabilisierung der Kolonialmacht bediente sich
Hassan aber zunächst der einheimischen Nationalisten, die sich für
den Kampf um die Loslösung der Westsahara 1973 in der militanten
Frente Popular para la Liberación de Sanguia El Hamra y Río de Oro
(Volksfront für die Befreiung von Saqiya al-Hamra und Río de Oro,
POLISARIO) organisiert hatten. Zur Klärung der Westsahara-Frage rief
der König 1974 den Internationalen Gerichtshof an, der in einem
Gutachten im Oktober 1975 weder die Ansprüche Marokkos noch
Mauretaniens bestätigen konnte, sondern für ein Referendum über die
Selbstständigkeit plädierte, wie es bereits die Vereinten Nationen
vorgeschlagen hatten. Am 6. November 1975 inszenierte Hassan den so
genannten „grünen Marsch“, eine gewaltlose Massendemonstration von
350 000 Marokkanern in die Westsahara.
Nach dem Tod Francisco Francos gab Spanien im
Februar 1976 die Westsahara preis und verständigte sich mit Marokko
und der Republik Mauretanien auf eine Aufteilung im Verhältnis zwei
zu eins. Dies durchkreuzte die Pläne der POLISARIO, die einen Tag
nach dem Abzug der spanischen Kolonialtruppen am 27. Februar 1976 in
Algier eine Exilregierung bildete und die Demokratische Arabische
Republik Sahara ausrief. In der Folgezeit nahm sie zeitweise
unterstützt von Algerien und Libyen den bewaffneten Befreiungskampf
gegen die beiden neokolonialistischen Besatzer Marokko und
Mauretanien auf. Als sich das durch die militärische Überlegenheit
der POLISARIO in Bedrängnis geratene Mauretanien zurückzog
(Friedensvertrag am 5.8.1979) besetzte Marokko den mauretanischen
Teil der Westsahara und zog damit den Guerillakrieg auf sich.
Friedensprozess
Unterdessen bemühten sich die Vereinten
Nationen in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren um eine
Beendigung des Konflikts. 1988 stimmten Marokko und die POLISARIO
einem UN-Friedensplan zu, der ein Referendum über die Zukunft
Marokkos vorsah, und unterzeichneten am 6. September 1991 ein
Waffenstillstandsabkommen. Gleichzeitig nahmen Beobachter der
Mission des Nations Unies pour l'organisation d'un référendum au
Sahara occidental (Mission der Vereinten Nationen für das
Referendum in Westsahara) ihre Tätigkeit auf.
Doch erst in einem vom früheren
US-Außenminister James Baker vermittelten Kompromiss einigten sich
Marokko und die POLISARIO im September 1997 auf die Modalitäten für
ein Referendum über die Zukunft der ehemaligen spanischen Kolonie.
In einem für Ende des Jahres 1998 angestrebten Plebiszit sollte die
Bevölkerung der Westsahara zwischen der Unabhängigkeit und einem
Anschluss an Marokko entscheiden können. Das Referendum scheiterte
lange Zeit an der Streitfrage über die Stimmberechtigung. Während
die Regierung in Rabat verlangte, auch 125 000 inzwischen aus
Marokko zugewanderten Siedlern das Stimmrecht zu gewähren, pochte
die Befreiungsfront auf die 75 000 stimmberechtigten Sahraoui, die
beim letzten Zensus unter spanischer Herrschaft 1974 ermittelt
worden waren. Obwohl sich beide Parteien zuletzt auf
80 000 Stimmberechtigte einigten, ließ das Plebiszit und damit eine
Lösung der Westsahara-Problems weiter auf sich warten.
Innenpolitische Situation
Mit den Grenzkonflikten gelang es Hassan II.
zunächst, von seinen innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken.
1962 hatte er die konstitutionelle Monarchie eingeführt mit einer
starken Stellung des Königs. Doch schon bald verabschiedete er sich
von den Idealen der Istiqlal, schloss sie nach den
Parlamentswahlen 1963 von der Regierungsverantwortung aus und ließ
führende Oppositionelle vor allem linksorientierter Parteien wie der
Union Nationale des Forces Populaires (UNFP) verfolgen. Als
es zu Unruhen kam löste er bereits 1965 das Parlament wieder auf,
verhängte den Ausnahmezustand und regierte bis 1972 gestützt auf das
Militär und die privilegierten Eliten autokratisch.
Anfang der Achtzigerjahre sorgten
separatistische Berber und Anfang der Neunzigerjahre wachsende
soziale Spannungen für Unruhen, die zum Teil blutig beendet wurden.
Mit einer neuen Verfassung bewies Hassan 1992 seine
Reformbereitschaft. Aus den ersten freien Parlamentswahlen in
Marokko im November 1997, bei denen alle Abgeordnete direkt gewählt
wurden, ging der oppositionelle Koutla-Block mit knapper
Mehrheit als stärkste Kraft hervor, und König Hassan II. beauftragte
mit Abderrahman Youssoufi von der Union Socialiste des Forces
Populaires (USFP) zum ersten Mal einen Politiker der Linken mit
der Regierung.
König Hassan II., der auch wegen seiner
moderaten Haltung im Nahostkonflikt und der Unterdrückung
islamistischer Bestrebungen vor allem im Westen zuletzt einen guten
Ruf genoss, starb am 23. Juli 1999. Am selben Tag wurde sein
ältester Sohn als Mohammed VI. zum Nachfolger proklamiert. Gleich zu
Beginn erließ der Thronfolger umfangreiche Amnestien und berief eine
Kommission, die sich mit der Entschädigung willkürlich Inhaftierter
sowie der Familien von Verschleppten befassen sollte. Im Juli 2000
kündigte der König weitere demokratische Reformen an und versprach
erhöhte Anstrengungen bei der Bekämpfung der Armut und Korruption im
Land.