Gorkha-Dynastie
Als Umschlagplatz auf der Handelsroute von
Indien nach Tibet gelangte Katmandu zu Wohlstand und Reichtum. Im
Laufe der Jahrhunderte kam es durch innerdynastische Streitigkeiten
zu einer zunehmenden Zersplitterung des Malla-Reiches. Die damit
einhergehende Schwächung nutzten die Shah von Gorkha, um 1768 die
Macht in Nepal an sich zu reißen. Sie waren Nachfahren der Fürsten
von Udaipur und gehörten dem im indischen Rajasthan beheimateten
Volk der Gurkha an, das von den Muslimen nach Nepal vertrieben
worden war. Usurpator der Macht war Prithvi Narayan Shah, der in
Nepal eine Schreckensherrschaft errichtete und eine Dynastie
begründete, die trotz mancher innerfamiliärer Intrigen und
Meuchelmorde bis heute besteht. Durch ihre Eroberungsfeldzüge
forderten die Gorkha die britische Kolonialmacht in Indien heraus,
die nepalesischen Herrscher in einem Krieg (1814-1816) in die bis
heute gültigen Grenzen zu verwiesen. Zwar musste Nepal nach der
Niederlage einen britischen Stützpunkt in Katmandu akzeptieren und
als Verbündeter des Empires im Bedarfsfall „Gurkha-Söldner“ zur
Verfügung stellen, entging aber auf diese Weise einer direkten
Kolonisierung.
Unterbrochen wurde die Herrschaft der Shah
durch einen Militärputsch des Generals Jung Bahadur Kunwar am 15.
September 1846. Dieser nahm zwar den altindischen Herrschernamen
Rana an, machte dem nepalesischen König seine Würde als Inkarnation
des göttlichen Vishnu aber nicht streitig. Statt dessen degradierte
er ihn zur rein repräsentativen Marionette und regierte selbst als
Premierminister. 1856 nahm Jung Bahadur Rana den Titel eines
Maharadschas an, wodurch das Amt als Premierminister innerhalb der
Rana-Familie erblich wurde. Er knüpfte durch Einheiratung seiner
Kinder zwar verwandtschaftliche Bande mit der Königsfamilie und
pflegte einen fürstlichen Lebensstil. Er leitete jedoch auch eine
tiefgreifende laizistische Reformpolitik ein, sorgte für den Einzug
von Technik und Bildung in Nepal und unterhielt freundschaftliche
Beziehungen zu Großbritannien.
Sturz des Rana-Regimes
Der erlahmende Reformeifer seiner Nachfolger,
die Nepal immer mehr als Privatbesitz betrachteten und zulasten des
einfachen Volkes einem gesellschaftlichen Elitarismus huldigten,
führte zu wachsender Unzufriedenheit. Unter dem Eindruck von Mahatma
Gandhis erfolgreichem Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft
machten sich in Nepal Befreiungsideen und aufklärerisches
Gedankengut breit, die das Volk politisierten und sich 1947 in der
Bildung oppositioneller Gruppierungen wie dem Nepali National
Congress manifestierten. Dieser vereinigte sich 1950 mit dem
Nepali Democratic Congress und rief unterstützt von der
indischen Regierung und vom nepalesischen König Tribhuvan Bir Bikram
Shah erfolgreich zum Sturz des Rana-Regimes auf. Im Frühjahr 1951
wurde in Nepal eine konstitutionelle Monarchie nach britischem
Vorbild eingeführt und 1959 in einer Verfassung ausgestaltet. Im
selben Jahr fanden die ersten landesweiten Wahlen statt, aus denen
der Nepali National Congress als Sieger hervorging.
Premierminister wurde Bishweshwar Prasad Koirala, der bereits an der
Seite von Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru für die indische
Unabhängigkeit gekämpft hatte.
Panchayat-System
Doch bereits 1960 machte König Mahendra Bir
Bikram Shah (1955-1972) der Demokratie gewaltsam ein Ende und ließ
die führenden Politiker ins Gefängnis werfen. 1961 führte der König
das so genannte Panchayat-System (indische Bezeichnung für gewählte
dörfliche Selbstverwaltungsgremien) ein, das eine politische
Teilhabe des Volkes nur auf lokaler Ebene zuließ, und sicherte sich
durch eine neue Verfassung 1962 die absolute Macht im Staat. Trotz
einer politischen Liberalisierung unter der Regentschaft von
Birendra Bir Bikram Shah (1972-2001), hatte das Panchayat-System bis
1990 Bestand. Zu Fall gebracht wurde es durch eine Reihe blutiger
Volksaufstände, die die verbotene Nepali Congress Party (NCP)
– vormals Nepali National Congress – aus dem Untergrund
tatkräftig mitinitiierte. Im November 1990 verkündete König Birendra
eine neue Verfassung, durch die Nepal nach dreißigjähriger
autokratischer Herrschaft zur konstitutionellen Monarchie
zurückkehrte. Bei den ersten freien Wahlen seit 32 Jahren setzte
sich die NCP durch.
Maoistischer Volkskrieg
Doch mangels Demokratiefähigkeit krankte Nepal
schon bald an Vetternwirtschaft, Korruption und Diskriminierung. Die
Schere zwischen einer kleinen reichen Oberschicht und der Masse der
Armen öffnete sich immer weiter. Dies gab kommunistisch-maoistischen
Gruppierungen Auftrieb, die sich zur Communist Party of
Nepal-Unity Centre (CPN-UC) zusammenschlossen. Das Bündnis wurde
bei den Wahlen 1991 drittstärkste politische Kraft, löste sich aber
nach zweijährigen Bestehen wieder auf. Der Führer des ultraradikalen
Flügels Pushpa Kamal Dahal, besser bekannt unter dem Namen Prachanda,
formierte 1993 die Communist Party of Nepal-Maoist (CPN‑M),
die sich die Errichtung einer kommunistischen Volksrepublik nach
chinesischem Vorbild auf die Fahnen schrieb. Im Februar 1996
forderte Prachanda in einem 40-Punkte-Papier die Regierung ultimativ
auf, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen, Diskriminierungen
aufgrund von Kastenzugehörigkeit oder Geschlecht abzustellen und die
Monarchie durch ein säkulares Staatswesen zu ersetzen.
Noch vor Ablauf der zweiwöchigen Bedenkfrist
verliehen militante Anhänger der Maoistenpartei ihren Forderungen
mit Anschlägen, Entführungen und Sabotageakten Nachdruck. Sodann
riefen diese so genannten Maobadi, die viel Sympathien in der
landlosen Bauernschaft genossen, zum bewaffneten „Volkskrieg“ gegen
die Regierung auf, die den Ernst der Lage bis 1999 völlig
unterschätzte. Als Vorbild ihres Guerillakrieges, in dessen Verlauf
sie weite Teile Landes unter Kontrolle brachten, diente den Rebellen
die Strategie von Maos Bauernrevolution einschließlich Terror,
Exekutionen, Schutzgelderpressungen, Vertreibungen sowie die
Liquidation von Großgrundbesitzern und anderen „konterrevolutionären
Elementen“.
Am 1. Juni 2001 fielen König Birendra und neun
Mitglieder seiner Familie einem Amoklauf des vermutlich unter Drogen
stehenden Kronprinzen Dipendra zum Opfer, der wenige Tage nach dem
Blutbad seinen eigenen Verletzungen erlag. Die Ermordung des
populären Königs und die Inthronisation seines unbeliebten Bruders
Gyanendra Bir Bikram Shah lösten schwere Unruhen aus.
Korruptionsvorwürfe, Kritik an seiner Unfähigkeit, den maoistischen
Terror zu beenden und das schlechte Krisenmanagement nach dem
Massaker im Königshaus brachten am 19. Juli den amtierenden
Ministerpräsidenten Girija Prasad Koirala zu Fall.
Machtergreifung des Königs
Nachfolger wurde Sher Bahadur Deuba, der eine
deutlich härtere Gangart gegen die Maobadi ankündigte. Vor dem
Hintergrund des eskalierenden Bürgerkriegs – die „Revolutionäre
Volksregierung“ der Rebellen kontrollierte inzwischen weit über die
Hälfte des Landes – enthob König Gyanendra im Oktober 2002 Deuba
wegen Unfähigkeit seines Amtes und übernahm vorübergehend selbst die
Macht. Nach mehreren ebenso erfolglosen kurzlebigen Regierungen rief
Gyanendra 2005 den Ausnahmezustand aus, löste das Parlament auf und
setzte die Verfassung und Bürgerrechte teilweise außer Kraft. Er
scharte ein Kabinett aus Königstreuen um sich und schwang sich trotz
lautstarker internationaler Proteste selbst zum Staats- und
Regierungschef auf. Im März 2005 folgten die USA und Großbritannien
dem Vorbild Indiens und setzten die finanzielle und militärische
Hilfe für Nepal aus – wobei Indien seine Waffenlieferungen wieder
aufnahm, als China und Pakistan in die Bresche sprangen. Dies nicht
zuletzt auch deshalb, weil die Maobadi mit den in der Assam-Region
aktiven indischen Untergrundbewegungen People's War Group (PWG)
und Maoist Coordination Center (MCC) kooperieren.
Sturz der Diktatur und Friedensprozess
Um mit den sieben wichtigsten
Oppositionsparteien ins Gespräch zu kommen, die sich nach Gyanendras
Machtergreifung zu einer Allianz zusammengeschlossen hatten,
verkündeten die Rebellen im September 2005 eine einseitige
Waffenruhe. Beide Seiten schlossen ein Bündnis und organisierten
Massenproteste. Nach vergeblichen Bemühungen, den Widerstand durch
Massenverhaftungen und Repression zu brechen, gab der König dem
Druck von der Straße nach. Die siegreiche Parteienallianz kürte
Girija Prasad Koirala zum Ministerpräsidenten. Um eine zentrale
Forderung der Volksbewegung einzulösen, stellte die Regierung eine
neue Verfassung in Aussicht, die die Macht des Königs beschränken
soll. Ferner erwiderte sie offiziell die Waffenruhe und nahm mit den
Maobadi Verhandlungen auf, die am 21. November 2006 in ein
Friedensabkommen mündete, das den seit zehn Jahren andauernden
Bürgerkrieg beendete, der mittlerweile mehr als 13 000 Todesopfer
gefordert hatte. Das Abkommen sieht u. a. die Entwaffnung der
Rebellen sowie die Einsetzung eines Übergangsparlaments zur Wahl
einer verfassunggebenden Versammlung vor.