Integrative sozial- und
geisteswissenschaftliche Disziplin, die sich normativ,
analytisch-interpretatorisch und empirisch mit der Theorie und
Praxis politischer Gemeinwesen sowie ihren grenzüberschreitenden
Interaktionen auseinandersetzt.
Gegenstand der Politikwissenschaft ist (1) die
Frage nach der Macht, ihrem Erwerb und ihrer Ausübung (machtanalytischer
Aspekt); (2) die Frage nach den Mechanismen und Funktionen der
politischen Ordnung sowie ihren immanenten Stabilitäts- und
Veränderungspotenzialen (institutioneller bzw.
politisch-soziologischer Aspekt); (3) die Frage nach dem
philosophisch bestimmten Sinn der politischen Institutionen (politisch-teleologischer
Aspekt); (4) die Frage nach der Realisierbarkeit alternativer
politischer Zielentwürfe, die ein Mehr an Freiheit und Glück
verheißen (emanzipatorisch-utopischer Aspekt).
Demokratiewissenschaft
In Deutschland ist nach langen Jahren der
propagandistischen Vereinnahmung der politischen Bildung durch die
Nationalsozialisten die Politikwissenschaft („Wissenschaft von der
Politik“, „Wissenschaftliche Politik“) in den Nachkriegsjahren von
der amerikanischen Besatzungsmacht als Teil des
Reeducation-Programms zur Heranbildung einer neuen demokratischen
Führungselite wiederbelebt worden. In Berlin erfolgte auf Initiative
der US-Militärregierung 1948 erfolgte die Wiederbegründung der
Deutschen Hochschule für Politik (DHfP) unter der Leitung des
Sozialdemokraten Otto Suhr (1959 als Otto-Suhr-Institut in die FU
Berlin integriert). Zwei Jahre später nahm in München die
Hochschule für Politik (HfP) ihren Lehrbetrieb auf, die zunächst
– in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins – der politischen
Erwachsenenbildung gewidmet war, aber schon bald auch ein
akademisches Vollstudium anbot.
Die Erhebung der Politikwissenschaft zur
universitären Disziplin war indessen von erheblichen Widerständen
begleitet. Besonders die Fakultäten der Rechtswissenschaften,
Philosophie, Geschichte, Soziologie und Volkswirtschaftslehre, mit
deren Lehrinhalten sich die Politikwissenschaft thematisch
überschneidet, sträubten sich bis zuletzt gegen ihre volle
akademische Anerkennung, die erst Anfang der Sechzigerjahre
erfolgte. Der Fokus der neuen „Demokratiewissenschaft“ lag zunächst
auf der Aufarbeitung der jüngeren deutschen Vergangenheit und auf
der freiheitlich-demokratischen Gestaltung der Zukunft. Doch
gesellten sich im Zuge der deutschen Teilung und des Kalten Krieges
als Forschungsschwerpunkte bald vergleichende soziopolitische
Ost-West-Studien, Totalitarismustheorien sowie Konzepte zur
Gestaltung der zwischenstaatlichen Beziehungen und zum
Krisenmanagement im Bereich der internationalen Politik hinzu.
Geschichte
Im Sinne einer praktischen Philosophie, die um
die ewige Frage nach der guten Ordnung und der gerechten Herrschaft
für das soziale Gemeinwesen des Menschen kreist, ist die
Politikwissenschaft so alt wie die akademische Bildung selbst. Sie
geht auf Staatsdenker der Antike wie Platon und Aristoteles zurück
und steht in der Tradition von mittelalterlichen Philosophen wie
Augustinus und Thomas von Aquin. Ihre Wendung von der Theorie zur
Praxis erfuhren die politischen Wissenschaften in der Neuzeit mit
der Herausbildung von Territorial- und Nationalstaaten. Die damit
verbundenen erhöhten Anforderungen an die Staatskunst und
Staatstätigkeit führten zur Ausformung spezifischer Lehrfächer wie
Policeywissenschaft, Kameralwissenschaft und Staatswirtschaftslehre,
die ab Mitte des 18. Jahrhunderts unter dem Begriff der
Staatswissenschaften subsumiert wurden. Mit der Positivierung der
Einzelwissenschaften zu Beginn des 19. Jahrhunderts differenzierten
sich Disziplinen wie die Nationalökonomie, Soziologie,
Historiographie und Geographie mit jeweils eigenem Gegenstand und
eigener Methode aus. Allesamt schöpften sie aus der praktischen
Philosophie, die Ethik, Ökonomie und Politik umfasste. Was davon
übrig blieb, wurde zur Allgemeinen Staatslehre zusammengefasst.
Diese wurde den Rechtswissenschaften untergeordnet, wo sie als
Hilfswissenschaft der Staatsrechtslehre zur Ausbildung von Juristen
und Verwaltungsbeamten diente.
Beflügelt von den politischen Ideen der
Aufklärung erlebte die klassische normativ orientierte
Politikwissenschaft eine Renaissance. Sie schlug sich im Gefolge der
Französischen Revolution in der bürgerlich-liberalen
Verfassungslehre nieder, deren Dozenten in deutschen Landen
wesentlichen Anteil an den demokratischen Experimenten der Jahre
1848/49 hatten. Damit fiel sie jedoch auch der Restauration zum
Opfer und konnte in den Gründungsjahren des Deutschen Reiches nach
1871 keine Rolle mehr spielen. Wiederbelebt wurde eine genuine
Politikwissenschaft als akademische Disziplin erst wieder in der
demokratisch verfassten Weimarer Republik. Inspiriert von den
politsoziologischen Schriften Max Webers wurde auf Initiative von
Friedrich Naumann, der seit einigen Jahren eine Staatsbürgerschule
betrieb, 1920 in Berlin die Deutsche Hochschule für Politik (DHfP)
aus der Taufe gehoben. Ihren eigentlichen Zweck, die Heranzucht
demokratisch gebildeter parlamentarischer Nachwuchseliten, verlor
sie jedoch spätestens durch die Gleichschaltungspolitik der
Nationalsozialisten, der sich ein Großteil ihrer Dozenten durch
Emigration entzog.
Akademischer Richtungsstreit
Die langwierige Konsolidierungsphase der
Politikwissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und nicht zuletzt
auch die weltpolitischen ideologischen Verwerfungen schlugen sich
schon bald in akademischen Richtungskämpfen zwischen angeblich
restaurativen, systemaffirmativen oder fortschrittlichen Kräften
innerhalb der neuen Disziplin nieder. Sie führten zur Herausbildung
von konkurrierenden Schulen und theoretischen Orientierungen. So
widmete sich etwa die von Arnold Bergstraesser begründete
aristotelische „Freiburger Schule“ mehr den moralphilosophischen als
den sozialwissenschaftlichen Implikationen der Politik. Damit stand
sie im Widerstreit zur szientistischen „Mannheimer Schule“, die sich
bewusst in die Tradition der angelsächsischen Political Science
stellte. Beträchtlichen Einfluss gewann Ende der Sechzigerjahre die
stark soziologisch geprägte „Frankfurter Schule“, die sich kritisch
mit den sozio-politischen Verhältnissen und ihren legitimatorischen
Idealen auseinandersetzte. Unter ihrem Einfluss stand wiederum die
„Marburger Schule“, die jedoch in stärkerem Maße marxistische
Akzente setzte.
Anfangs rangen in erster Linie die Anhänger
eines normativ-ontologischen (oder auch
ideengeschichtlich-essentialistischen) und eines
empirisch-analytischen (oder auch deduktiv-empirischen) Theorietyps
um den richtigen Weg zur Erkenntnis. Doch im Gefolge der
Studentenrebellion machten sich neomarxistische Bestrebungen breit,
die auf eine Transformation der Politikwissenschaft zu einer gegen
das „System“ der Bundesrepublik Deutschland gerichteten
Oppositionswissenschaft drängten. Ihre Protagonisten bescherten der
Disziplin einen dritten, nämlich den dialektisch-kritischen (oder
auch historisch-dialektischen) Theorietypus.
Seit den Achtzigerjahren sind die Grabenkämpfe
weitgehend beigelegt, was zu einer allgemeinen Entideologisierung
der Politikwissenschaft beigetragen hat. Parallel zur thematisch
notwendigen Umorientierung nach dem Zusammenbruch des
Sowjetimperiums und der deutschen Wiedervereinigung hat die einst so
theorielastige Disziplin eine deutliche Schwerpunktverlagerung in
Richtung „moderne Sozialwissenschaft“ und praktische Politikberatung
vollzogen.
Politikwissenschaftliche Teilgebiete
Die Politikwissenschaft gliedert sich in die
Teilgebiete Politische Theorie, Politische Systemlehre und
Internationale Politik (auch: Internationale Beziehungen).
Politische Theorie
Die Politische Ideengeschichte als zentraler
Teilbereich der Politischen Theorie (siehe auch Staatsphilosophie)
umfasst neben den Werken von Klassikern, deren Gesellschaftsentwürfe
bleibenden Einfluss auf das politische Denken und die politische
Kultur behalten haben (Platon, Aristoteles, Niccolò Machiavelli,
Thomas Hobbes, John Locke, Jean-Jacques Rousseau etc.), die
Beschäftigung mit den sozio-politischen Großtheorien (Liberalismus,
Konservatismus, Nationalismus, Sozialismus, Marxismus). Vertieft
wird das Theoriestudium durch politische Philosophien, die
normativen Charakter im aristotelischen Sinne haben, d. h.
Anleitungen geben wollen, wie das gesellschaftliche Zusammenleben
und die „gute“ politische Ordnung richtig zu gestalten sind. Im
Unterschied dazu geht es in der empirisch-deskriptiv orientierten
Modernen Politischen Theorie um eine möglichst wertneutrale
Abbildung der Realität als Grundlage der Diagnostik und zum Zwecke
der Prognostik.
Politische Systemlehre
Da die Theoriebildung in Abhängigkeit vom
jeweiligen sozialen, politischen und kulturellen Kontext einerseits
sowie vom tatsächlichen Geschehen andererseits erfolgt (Wechselverhältnis
von Empirie und Theorie), sind politische Theorien nur dann
sinnvoll und nützlich, wenn sie diese Wechselwirkungen auch
reflektieren, also an die Empirie anschließen und sich von ihr
gegebenenfalls auch belehren lassen. Die Empirie wiederum bedarf der
Anleitung durch die Theorie, wenn sie brauchbare Ergebnisse liefern
soll. Ihre sichtbarsten Manifestationen finden die politischen
Theorien in den politischen Systemen. Die vergleichende Untersuchung
ihrer Struktur und Leistungsfähigkeit ist Gegenstand der Politischen
Systemlehre („Vergleichende Analyse politischer Systeme“,
„Vergleichende Systemforschung“, Vergleichende Regierungslehre“).
Das analytische Erkenntnisinteresse richtet sich dabei nicht nur auf
die Unterschiede der Systeme verschiedener Länder, ihrer inneren
Funktionslogik und rechtlichen Verfasstheit sondern auch auf die
innerstaatlichen Varianten zu unterschiedlichen Zeiten und in
unterschiedlichen Zusammenhängen.
Lehre von den Internationalen Beziehungen
Die Verwissenschaftlichung der Internationalen
Politik kann als Lehre aus den Schrecken des Ersten Weltkriegs
betrachtet werden. Den Auftakt bildete noch im Jahr der Pariser
Friedenskonferenz (30. Mai 1919) die Einrichtung des weltweit ersten
Lehrstuhls für Internationale Beziehungen an der Universität von
Wales, gefolgt vom British und kurz darauf vom American
Institute of International Affairs. In das Jahr 1920 datiert
auch die Gründung des Instituts für Auswärtige Politik in Hamburg.
Das Forschungsinteresse der selbsterklärten „Kriseninterpretations-
und Krisenbewältigungswissenschaft“ gilt bis auf den heutigen Tag
den Voraussetzungen, Formen und Gestaltungsmöglichkeiten einer
friedlichen Weltordnung.
In den Anfangsjahren war die Wissenschaft von
der Internationalen Politik noch ganz von der „Idealistischen
Schule“ geprägt. Den außenpolitischen Maximen des amerikanischen
Präsidenten Woodrow Wilson verpflichtet – weshalb sie gelegentlich
auch als Wilsonismus bezeichnet wird –, beruht sie auf der
optimistischen Annahme universell gültiger Moralvorstellungen als
Grundlage einer neuen globalen Friedensordnung. Der Bankrott ihres
aristotelisch und kantisch inspirierten Wunschbildes einer von
Vernunft und Kooperationswillen geleiteten kosmopolitischen
„Weltgesellschaft“ gab nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges
der „Realistischen Schule“ Auftrieb, deren geistiger Vater der
deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Hans J. Morgenthau war.
Ihr Name leitet sich von „Realpolitik“ ab,
einem Begriff, der besonders mit der Außenpolitik Otto von Bismarcks
in Verbindung gebracht wird. Sie orientiert sich an den politischen
Fakten sowie den daraus resultierenden Möglichkeiten und impliziert
eine Politik der Stärke, für die gesinnungsethische Motivationen
oder ideologisch begründete Wertvorstellungen irrelevant sind. So
stellen die dezidiert verantwortungsethisch argumentierenden
Vertreter des Realismus dem illusionären Weltgemeinschaftskonstrukt
das Modell eines offenen, multipolaren und konkurrierenden
Staatensystems entgegen. Dessen Funktionslogik wird mangels
zentraler Sanktionsmöglichkeiten von politischen Kategorien wie
Staatsraison, Macht, Interesse und Bündnis bestimmt. Die Theorie des
Politischen Realismus im Fach Internationale Politik, die vor dem
Hintergrund des Kalten Krieges exemplarisch konsequent von
US-Außenminister Henry Kissinger in praktische Diplomatie umgesetzt
wurde, geht von der Annahme aus, dass nur ein (militärisches)
Gleichgewicht der Kräfte den Frieden sichern kann. Methodologisch
wurde sie in den Sechzigerjahren in Deutschland von Gottfried-Karl
Kindermann zum „Neorealismus“ weiterentwickelt.
Zur Lösung bestehender und zur Vermeidung
zukünftiger Konflikte ist für die politikwissenschaftliche Lehre der
Internationalen Beziehungen von herausragendem Interesse, wie
Kooperation zwischen Staaten oder anderen internationalen Akteuren
mit sowohl gemeinsamen als auch konfligierenden Interessen
funktioniert und auf welche Weise sie befördert werden kann.
Befruchtet wurde sie dabei auch vom Liberalismus und
Institutionalismus, die das friedfertige Nebeneinander von den
ökonomischen bzw. sozialen Kooperationsbedingungen der Staaten
abhängig machen. Noch weiter gehen Friedensforscher wie Johan
Galtung, die eine wesentliche Determinante des Verhältnisses von
Zentrum und Peripherie in der „strukturellen Gewalt“ sehen.