Somalia

Verwaltung und Politik

Bis zum Staatsstreich 1991, der einen Bürgerkrieg auslöste und zur Auflösung jeglicher erkennbarer Staatsgewalten führte, handelte es sich bei Somalia um eine Präsidialrepublik. Gemäß einem Zusatz der außer Kraft gesetzten Verfassung von 1979 oblagen die Regierungsgeschäfte bis dahin dem Staatspräsidenten, der seit 1969 gleichzeitig Staatsoberhaupt und Vorsitzender der einzigen zugelassenen Partei des Landes, der Somalischen Sozialistischen Revolutionspartei, war. Infolge der Friedenskonferenz von Nairobi (2002-2004) präsentiert sich Somalia seit Oktober 2004 als föderativer Staat auf der Grundlage einer zunächst auf fünf Jahre befristeten Übergangsverfassung („Charta“), der von den so genannten Transitional Federal Institutions (TFIs) gelenkt wird, die sich auf Mogadischu, Jawhar und Baydhabo verteilen. 2006 eroberten islamistische Glaubenskämpfer mit dem Ziel, einen Gottesstaat zu errichten, große Teile Somalias, ehe sie Ende des Jahres von äthiopischen Truppen gestoppt und zurückgedrängt wurden.

Exekutive

Als Staatsoberhaupt fungiert seit Oktober 2004 ein vom Übergangsparlament (Transitional Federal Assembly, TFA) gewählter Staatspräsident. Die Regierungsgeschäfte werden von einer Übergangsregierung (Transitional Federal Government, TFG) ausgeübt, die vom Präsidenten berufen und von der Nationalversammlung bestätigt worden ist. Sie besteht aus einem nach Clan-Proporz besetzten Kabinett mit einem Ministerpräsidenten an der Spitze.

Legislative

Die gesetzgebende Gewalt wird von der Transitional Federal Assembly (TFA), dem aus einer Kammer bestehenden Übergangsparlament, ausgeübt. Diese Versammlung, die am 26. Februar 2006 zum ersten Mal auf somalischem Boden in der Stadt Baydhabo tagte, setzt sich aus 275 Abgeordneten zusammen, wobei jeweils 61 Sitze für die vier größten Clans des Landes (Darod, Digil-Mirifle, Dir und Rahanweyn Hawiye) reserviert sind; die restlichen 31 Sitze verteilen sich auf die Minoritätenclans.

Judikative

Ein national einheitliches System der Rechtsprechung ist in Somalia weiterhin nicht mehr existent. Infolge des Zusammenbruchs der Zentralregierung kehrte man nach 1991 in den meisten Regionen zu lokalen Formen der Konfliktlösung zurück, die bis heute weiterbestehen. Sie reichen von säkularen, traditionellen und auf somalischem Gewohnheitsrecht (Xeer) basierenden Varianten bis hin zur Anwendung der Scharia durch islamische Gerichtshöfe.

Parteien

Politische Parteien im herkömmlichen Sinne gibt es in Somalia nicht. Das politische Leben wird vielmehr entscheidend von einem ausgeprägten Clanwesen bestimmt, in dem Familien- und Stammesloyalitäten allerersten Rang einnehmen. Dies manifestiert sich in Pressure Groups, Verbänden und auch bewaffnete Milizen, die im Dienste der rivalisierenden Clans und Sub-Clans stehen.

Staatliche Gliederung und Verwaltung

Somalia gliederte sich nach bei der Republikgründung 1961 in 18 Regionen (Gobolka), die zugleich Verwaltungseinheiten darstellten: Awdal, Bakool, Banaadir, Bari, Bay, Galguduud, Gedo, Hiiraan, Jubbada Dhexe, Jubbada Hoose, Mudug, Nugaal, Sanaag, Shabeellaha Dhexe, Shabeellaha Hoose, Sool, Togdheer, Woqooyi Galbeed. Trotz Bildung einer Übergangsregierung bestehen andere Regierungseinheiten fort, die verschiedene Städte und Regionen kontrollieren, darunter die selbsternannte Republik Somaliland im Nordwesten, der halbautonome Staat Puntland im Nordosten sowie eine Reihe weiterer traditioneller Hochburgen der Clans.

Geschichte

Die Geschichte der Region am Horn von Afrika, die heute Somalia heißt, reicht bis ins Altertum zurück. In alten ägyptischen Quellen wird die Region als Land Punt (Land des Weihrauchs) erwähnt und seine vielfältigen Handelskontakte hervorgehoben. Sie wird bereits seit vier Jahrtausenden von nomadisierenden Hirten bevölkert, die zwar ihre Existenz auf einen gemeinsamen Stammvater zurückführen, es aber niemals geschafft hatten, sich zu einem Staatengebilde zu vereinen.

Vom 2. bis zum 7. Jahrhundert n. Chr. gehörten Teile des Gebietes zum äthiopischen Königreich Aksum. Im 7. Jahrhundert besiedelten arabische Stämme die Küstenregion am Golf von Aden. Die Somali waren ursprünglich an der nördlichen Somaliküste ansässig, von wo aus sie sich ab etwa 1000 n. Chr. südwärts ausbreiteten. Bereits im 12. Jahrhundert berichten arabische Chroniken von Somali-Gruppen südlich des heutigen Mogadishu. Im 13. Jahrhundert gründeten Somalivölker und eingewanderte Jemeniten dort das Reich Yifat-Adal.

Im 16. Jahrhundert ließen sich portugiesische Siedler nieder, die später von den Sultanen von Maskat-Sansibar vertrieben wurden; das Sultanat zerfiel jedoch bald in kleine unabhängige Staaten. Ab dem 17. Jahrundert war das Land dem Sultan von Oman untertan. Mitte der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts eignete sich Ägypten unter Missachtung türkischer Ansprüche einige Städte an der somalischen Küste und einen Teil der Gebiete im Landesinneren an. Als sich die ägyptischen Truppen 1882 zurückzogen, um die Revolte des Mahdi im Sudan niederzuschlagen, besetzte Großbritannien die Region, um die Verkehrsroute nach Indien durch den Suezkanal, der im Jahr 1869 eröffnet worden war, zu sichern.

Kolonialismus und staatliche Unabhängigkeit

Ende des 19. Jahrhunderts wurden Siedlungs- und Weideland der Somali zunehmend zum Objekt imperialistischer Begehrlichkeit. Zumal nicht mit nennenswertem Widerstand zu rechnen war, denn die Somali bilden nur ethnisch, sprachlich und religiös eine Einheit, zerfallen ansonsten aber in nomadisierende Samaale und sesshafte Sab, die sich wiederum in unzählige Clan- und Stammesgemeinschaften untergliedern (Samaale: u. a. Darod, Hawiye, Dir und Isaaq; Sab: u. a. Digil und Rahanweyn). Kolonialistische und geostrategische Interessen der Europäer und Anrainer führten schließlich zur Aufteilung des Somaligebietes in fünf administrative Einheiten: Britisch-Somaliland, Italienisch-Somaliland, Französisch-Somaliland (Dschibuti), den unter britischer Herrschaft stehenden Northern Frontier District, der Kenia zugeschlagen wurde, sowie Ogaden und Haud, die bereits im 19. Jahrhundert von Äthiopien annektiert worden waren.

Im Zuge der Dekolonisierung bestellten die Vereinten Nationen die ehemalige Kolonialmacht Italien, deren einstige Besitzungen seit dem Zweiten Weltkrieg unter britischer Militärregierung stand, 1949 zum Treuhänder, um die Unabhängigkeit des Somalilandes vorzubereiten. Diese erfolgte schließlich nach der Vereinigung von Britisch- mit Italienisch-Somaliland am 1. Juli 1960 mit der Gründung der Republik Somalia. Abgesehen davon, dass die mit groß-somalischen Ambitionen verbundenen Ansprüche auf Französisch-Somaliland, den Norden Kenias und den Südosten Äthiopiens für außenpolitischen Zündstoff sorgten, litt der junge Staat zusätzlich von Anfang an einem konfliktträchtigen sozialen Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd.

Militärputsch und autoritäres Barre-Regime

Zum ersten Präsidenten Somalias wurde Aden Abdullah Osman Daar, Chef der von den Darod getragenen Somali Youth League (SYL), gewählt. Er wurde 1967 von dem früheren Ministerpräsidenten Abdirashid Ali Shermarke abgelöst, der am 15. Oktober 1969 einem Attentat zum Opfer fiel. Nur wenige Tage später putschte die Armee, und der islam-marxistisch orientierte Kommandeur Muhammad Siad Barre übernahm an der Spitze eines aus Offizieren bestehenden Revolutionsrates die Macht. Er rief die Somalische Demokratische Republik aus, suchte Rückhalt in Moskaus, installierte die Somalische Revolutionäre Sozialistische Partei als oberste politische Autorität und sorgte dafür, dass in den darauf folgenden Jahren die Wirtschaft des Landes weitestgehend verstaatlicht wurde.

Ogaden-Krieg 1977/78

1977/78 unterstützte das Barre-Regime somalische Rebellen, die für die Ablösung der Region Ogaden von Äthiopien kämpften, was nicht zuletzt durch Waffenhilfe aus der UdSSR und Kuba verhindert werden konnte, die die Seiten gewechselt hatten. Die USA, die in dieser Situation Somalia sowohl mit humanitärer und militärischer Hilfe beisprangen, sicherten sich die Nutzung der ehemaligen sowjetischen Militärbasis in der Hafenstadt Berbera.

Durch die sich abzeichnende Niederlage im verlustreichen Ogaden-Krieg, der Millionen von Menschen zur Flucht zwang und bis zur Unterzeichung eines Friedensabkommens 1988 weiterschwelte, regte sich ab 1978 vor allem im unterdrückten Norden Widerstand gegen das Barre-Regime, der vom oppositionellen Somali National Movement (SNM) getragen wurde. Er weitete sich bis Ende der achtziger Jahre allmählich zu einem Bürgerkrieg aus, der das ganze Land erfasste.

Bürgerkrieg 1991-2000

Im Januar 1991 nahmen bewaffnete Rebellen eines Oppositionsbündnisses aus SNM, dem United Somali Congress (USC), der sich auf den zentralsomalischen Abgal-Stamm stützte, und dem aus dem ogadenischen Süden stammenden Somalia Patriotic Movement (SPM) die Hauptstadt Mogadishu ein und zwangen Siad Barre zur Flucht. Auf Beschluss eines Ältestenrates wurde der Geschäftsmann und Finanzier des USC, Ali Mahdi Muhammad, mit der Bildung einer Übergangsregierung betraut, womit er sich die Feindschaft des USC-Führers und Hawije-Clanchefs Mohammed Farah Aidid zuzog, der zur Durchsetzung seiner Machtansprüche eine Somali Liberation Army (SLA) aufstellte. Bei den bewaffneten Machtkämpfen, an denen sich immer mehr Clans beteiligten, kamen in den folgenden zwei Jahren rund 50 000 Menschen ums Leben; weitere 300 000 fielen einer Hungersnot zum Opfer.

Als Reaktion auf ein Massaker von Aidids SLA-Kämpfern an pakistanischen Sicherheitsberatern, die sich Mitte 1992 im Rahmen der Operation UNOSOM in Somalia aufhielten, entsandten die Vereinten Nationen im Dezember 1992 zur Wiederherstellung der Ordnung eine multinationale Friedenstruppe (United Task Force, UNITAF) unter Führung amerikanischer Elitetruppen in das Kriegsgebiet, während sich internationale Hilfsorganisationen um die Wiederaufnahme der Hilfslieferungen bemühten. Als die Kämpfe wieder aufflammten und die Friedenstruppen zwischen die Fronten gerieten musste der UN-Einsatz aufgrund anhaltender internationaler Kritik 1995 beendet werden.

Das Land versank im Chaos. Mehr als ein Dutzend Warlords, lokale Kriegsherren, bekämpften sich und terrorisierten die Bevölkerung. Nicht zuletzt drohte Somalia sich zu einer Brutstätte des internationalen Terrorismus zu entwickeln. Der inzwischen selbst ernannte Präsident Mohammed Farah Aidid erlag am 1. August 1996 den Folgen einer Schussverletzung, die er sich eine Woche zuvor bei Kämpfen mit einem rivalisierenden Clan in der Hauptstadt Mogadishu zugezogen hatte. Seine Nachfolge trat sein Sohn Hussein Mohammed Aidid an.

Friedensprozess 2000-2006

Nach mehreren vergeblichen Anläufen zur Befriedung des Landes fand im Mai 2000 im Nachbarland Dschibuti die so genannte Arta-Konferenz zur Versöhnung Somalias statt, an der rund 800 Vertreter der größten somalischen Clans sowie anderer Gruppen teilnahmen. Sie mündete in eine kurzlebige Übergangsregierung, die von vielen Clanchefs und Warlords nicht anerkannt wurde. Im Oktober 2002 organisierte Kenia im Auftrag der ostafrikanischen Regionalorganisation IGAD (Intergovernmental Authority on Development bestehend aus Äthiopien, Dschibuti, Eritrea, Kenia, Somalia, Sudan und Uganda) eine Friedens- und Versöhnungskonferenz unter Beteiligung der Anrainerstaaten. Doch erst am Ende eines zweijährigen, von zahlreichen Rückschlägen begleiteten Friedensprozesses gelang es, die Clanchefs und Warlords 2004 zur Formierung eines gemeinsamen Übergangsparlamentes (Transitional Federal Assembly, TFA) und einer Übergangsverfassung zu bewegen. Zum Übergangspräsidenten Somalias wurde der Warlord und Präsident des teilautonomen Puntlands, Abdullahi Yussuf Ahmed, gewählt, der Ali Mohammed Ghedi mit der Bildung einer Übergangsregierung (Transitional Federal Government, TFG) beauftragte. Um wenigstens die wichtigsten Parteien zufriedenzustellen, mussten im Kabinett 47 Minister- und 42 Stellvertreterposten geschaffen werden.

Somalias Wirtschaft leidet unterdessen weiterhin schwer an den Folgen des Bürgerkrieges und der Machtlosigkeit der staatlichen Autoritäten. Die international anerkannte Übergangsregierung, die letztlich ein Zweckbündnis der rivalisierenden Warlords geblieben und vom Wohlwollen der verschiedenen mächtigen Gruppen im Land abhängig ist, konnte ihren Einfluss bislang nicht auf das ganze Land ausdehnen..

Islamistischer Vormarsch und äthiopische Intervention 2006

Dementsprechend hilflos zeigte sie sich, als im März 2006 radikalislamische Glaubenskämpfer um den Scheich Hassan Dahir Aweys, die sich nach dem Vorbild der Taliban in Afghanistan zu einer „Union islamischer Gerichte“ zusammengeschlossen hatten, gewaltsam in das Geschehen eingriffen und drei Monate später die jahrelange Schreckensherrschaft der Warlords beendeten, die sich die somalische Hauptstadt Mogadishu untereinander aufgeteilt hatten, um Schutzgelder zu erpressen und ihren kriminellen Geschäften nachgehen zu können. Um die Errichtung eines islamischen Gottesstaates an seiner Grenze zu verhindern, startete das Äthiopien, das sich seit Jahrhunderten als christliches Bollwerk gegen den Islam versteht, mit Rückendeckung aus den USA im Dezember 2006 eine militärische Intervention zur Stützung der somalischen Übergangsregierung. Diese hatte sich nach Baydhabo, 250 Kilometer nordwestlich von Mogadishu zurückgezogen, von wo aus sie relativ machtlos zusehen musste, wie die islamistischen Milizen einen Großteil Südsomalias unter ihre Kontrolle brachten.

Äthiopien kam damit einer Initiative des UN-Sicherheitsrates zuvor, der am 7. Dezember 2006 grünes Licht für eine Friedensmission gegeben und die Afrikanische Union (AU) sowie die IGAD gebeten hatte, Soldaten zur Unterstützung der Übergangsregierung nach Somalia zu entsenden. Verhandlungen zwischen beiden Parteien waren Ende Oktober vor allem wegen der Präsenz äthiopischer Truppen in Somalia gescheitert, die die Übergangsregierung vor den islamistischen Kräften schützen sollten; letztere werden unter anderem vom äthiopischen Erzfeind Eritrea unterstützt und von den USA verdächtigt, im Dienste des Terrornetzwerks Al-Qaida zu stehen.

Somaliland und Puntland

Vier Monate nach dem Sturz des Diktators Siad Barres hatten die Clans auf dem Gebiet der ehemaligen britischen Kolonie das Machtvakuum ausgenutzt und im Mai 1991 in den nordwestlichen Provinzen Awdal, Woqoovyi Galbeed, Togdheer, Sanaag und Sool eine unabhängige Republik Somaliland ausgerufen. 1998 folgten Separatisten unter dem Kommando von Abdullahi Yussuf Ahmed im Nordwesten diesem Beispiel und erklärten die Nachbarprovinzen Bari, Nugaal und das nördliche Mudug zum souveränen Staat Puntland, das sich jedoch im Gegensatz zu Somaliland im Zuge des Friedensprozesses seit 2004 mit einem teilautonomen Status mit einer eigenen Regierung innerhalb einer Föderation mit Somalia begnügte.

International zwar immer noch nicht anerkannt, ist es den Regierungen dieser beiden Staaten gelungen, ein für die Region bemerkenswertes Maß an Stabilität und Ordnung herzustellen. Vor allem Somaliland profitierte in ökonomischer und sozialer Hinsicht von den infrastrukturellen Hinterlassenschaften aus britischen, sowjetischen und amerikanischen Hilfsprogrammen. Im September 2005 fanden in Somaliland vergleichsweise vorbildliche und faire Parlamentswahlen statt. Das beiderseitige Verhältnis ist angespannt, da Puntland Ansprüche auf Grenzgebiete in der Republik Somaliland erhebt.

Verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw)