Studentenbewegung

Allgemeine Bezeichnung für den organisierten Protest oder Kampf gegen Missstände bzw. für Veränderungen sozialer, politischer oder ökonomischer Art, der von der akademischen Jugend in der Rolle einer Avantgarde getragen wird; in der Bundesrepublik Deutschland häufig als Synonym für die Studentenrevolte verwendet, die zur Formierung der Außerparlamentarischen Opposition (APO) führte (siehe auch: Achtundsechziger).

National-liberale Studentenbewegung des Vormärz

Die geschichtlich bedeutendste deutsche Studentenbewegung datiert in die Zeit des Vormärz. Ihre Protagonisten waren Burschenschaftler, die mit ihrer Rebellion gegen die restaurative Politik der deutschen Fürsten nach dem Ende der napoleonischen Fremdherrschaft zu Vorreitern der liberalen deutschen Einheitsbewegung wurden und der bürgerlichen Märzrevolution von 1848 den Weg ebneten. Den Anfang machten Studierende an der Universität Jena, darunter eine Reihe von Kämpfern, die sich in Freikorps wie den Lützowschen Jägern am Befreiungskrieg gegen die französischen Besatzer beteiligt hatten. Inspiriert von den patriotischen Schriften von Friedrich Ludwig Jahn, Ernst Moritz Arndt, Johann Gottlieb Fichte u. a. hatten sie zwei Tage nach dem Wiener Kongress und der Gründung des Deutschen Bundes am 14. Juni 1815 die erste Studentenvereinigung (Burschenschaft) gegründet. Sie traten für die Abschaffung der ständischen und absolutistischen Ordnung ein, reklamierten die liberalen und demokratischen Freiheitsrechte der Französischen Revolution auch für sich und strebten die Herstellung der nationalen Einheit der in Dutzende von Fürstentümern und Stadtstaaten zersplitterten deutschen Lande an.

Wartburgfest

Zum Fanal für den Widerstand gegen die Obrigkeit wurde das Wartburgfest. Unter der Parole „Ehre – Freiheit – Vaterland“ und den Farben Schwarzrotgold (in Erinnerung an den Waffenrock der Lützower) luden die Jenaer Burschenschaftler anlässlich des dritten Jahrestages der Völkerschlacht von Leipzig am 18. Oktober 1815 zu einer als Turnfest getarnten zweitägigen Kundgebung auf die Festung bei Eisenach. Dort riefen die Wortführer der Bewegung, allen voran der Theologiestudent Arminius Riemann nebst den Professoren Lorenz Oken und Jakob Friedrich Fries vor hunderten Gleichgesinnten aus allen Teilen Deutschlands zum Widerstand gegen die Obrigkeit auf und übergaben demonstrativ Schriften zur Verteidigung der Restauration und Symbole des Ancien Régime den Flammen.

Von dieser Provokation herausgefordert, reagierten die Herrscher der Heiligen Allianz zunächst mit polizeistaatlichen Mitteln gegen die Studenten, ehe sie die Ermordung des Dramatikers und Spions August von Kotzebue durch den Theologiestudenten Karl Sand am 23. März 1819 zum Anlass nahmen, die Burschenschaften zu zerschlagen und die führenden Köpfe der national-liberalen Studentenbewegung zu verfolgen. Grundlage waren die vom Bundestag am 20. September 1819 verabschiedeten Karlsbader Beschlüsse, die darüber hinaus die Einsetzung außerordentlicher Beamter an den Universitäten vorsahen, die als Spitzel die Staatstreue der Dozenten und Studenten zu überwachen hatten.

Hambacher Fest und Göttinger Sieben

Erst die Julirevolution 1830 in Frankreich verhalf der studentisch geführten national-demokratischen Einheitsbewegung zu einer Neubelebung. Zum Zentrum des politischen Radikalismus innerhalb der Intelligenz entwickelte sich in der Folgezeit wegen der Ferne der in München ansässigen Zentralgewalt und der Nähe zu Frankreich, das politischen Flüchtlingen Unterschlupf gewährte, die damals zu Bayern gehörige Rheinpfalz. Sie wurde auch vom 27. bis 30. Mai 1832 zum Schauplatz des Hambacher Festes, auf dem rund 30 000 Menschen aus allen sozialen Schichten unter den Farben der Burschenschaftsbewegung die „deutsche Einheit“, die „vereinigten Freistaaten Deutschlands“ und ein „konföderiertes republikanisches Europa“ beschworen. Eine weitere spektakuläre Aktion der Studentenbewegung war ein Putschversuch im Jahr darauf. Um eine gesamtdeutsche Revolution anzuzetteln, plante eine Gruppe von Studenten, Dozenten und Handwerksgesellen, den Bundestag zu stürmen, die Delegierten als Geiseln zu nehmen, die Republik ausrufen und das Volk zu bewaffnen. Doch ihr Vorhaben scheiterte mangels Unterstützung bereits beim Sturm auf die Frankfurter Hauptwache am 3. April 1833 und zog eine neue Welle staatlicher Repression nach sich.

Doch dies beförderte nur die Sympathie für die Ziele und den Widerstand der Studentenbewegung. Beleg dafür sind beispielsweise die Göttinger Sieben, eine Gruppe von Universitätsprofessoren, die am 18. November 1837 gegen die Aufhebung verbriefter Freiheitsrechte im Staatsgrundgesetz des Königreichs Hannover protestierten und für ihre Überzeugungen Amtsenthebung und Exil in Kauf nahmen. Die Februarrevolution 1848 in Frankreich gab endlich den Anstoß für die lange ersehnten Revolution in Deutschland. Millionen erhoben sich in allen Teilen des Deutschen Bundes gegen die alte Ordnung. Abermals kam dabei der akademischen Jugend eine führende Rolle zu, wobei sich besonders der Progress hervortat, eine junge, fortschrittliche Studentenvereinigung, die in betonter Abgrenzung zu den korporierten Burschenschaftlern nur locker organisiert war. Es waren auch Studenten, die zusammen mit Arbeitern im März 1848 in Wien den Staatskanzler Fürst von Metternich, die Symbolfigur der Reaktion, stürzten.

Antirepublikanische Studentenbewegung

Spätestens mit der Gründung des deutschen Kaiserreichs endete das progressive Engagement der Studentenbewegungen, und die Korporationen mutierten in der Folgezeit zu Horten des staatstragenden und vaterländischen Traditionalismus. Dies zeigte sich in der Weimarer Zeit, in der die organisierten Studenten als monarchistische Feinde der Republik in Erscheinung traten, ehe sie sich im Dritten Reich nur allzu bereitwillig im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) gleichschalten ließen. Zum Sinnbild für die an den Universitäten vorherrschende Geisteshaltung wurde 1933 die von der Deutschen Studentenschaft (DSt) unter dem Motto „Deutsche Studenten marschieren wider den undeutschen Geist” initiierte Verbrennung von Büchern marxistischer, pazifistischer, jüdischer und als dekadent verunglimpfter Autoren. Bei der DSt handelte es sich um die Dachorganisation der ASTAs, der Allgemeinen Deutschen Studentenausschüsse, die am 17. Juli 1919 als Institutionen der studentischen Selbstverwaltung aus den Zusammenschlüssen der nicht-korporierten Studenten der Kaiserzeit hervorgegangen waren. Die Studentenbewegung Weiße Rose, die sich im Frühjahr 1942 im Umfeld der Münchner Universität als Widerstandsgruppe gegen das NS-Regime formierte, bildete eine absolute Ausnahme.

Studentenbewegung der Sechzigerjahre

Am Konformismus der überwiegenden Mehrheit der Studenten änderte sich auch in der Nachkriegszeit wenig. Dies änderte sich erst nach dem Bruch des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) mit der Mutterpartei SPD, nachdem diese mit dem Godesberger Programm 1959 einen deutlichen Rechtsruck vollzogen hatte. Der SDS wurde in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts zum Sprachrohr einer neuen Studentenbewegung, die zunächst gegen die Studienbedingungen an den deutschen Universitäten aufbegehrten, ehe sie unter dem Eindruck der studentischen Proteste in Dutzenden von Universitätsstädten in West und sogar Ost als eine selbst ernannte Außerparlamentarische Opposition die gesellschaftlichen Verhältnisse schlechthin in Frage stellte.

Weltweite Studentenbewegungen

Auch in anderen Teilen der Welt setzten in der Vergangenheit immer wieder Studentenbewegungen mehr oder minder erfolgreich gesellschaftliche Umwälzungsprozesse und politische Reformen in Gang. Zu nennen wären u. a. die Vierte-Mai-Bewegung, die 1919 den Anstoß zur kulturellen Modernisierung Chinas gab; die gegen die britische Kolonialherrschaft kämpfende Sudentenbewegung Thakin unter Führung von U Aung San in den Dreißigerjahren in Birma; das Free Speech Movement und die Students for a Democratic Society als Teil der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung (Civil Rights Movement) in den Sechzigerjahren; die Zengakuren als Träger der japanischen Studentenrevolte der Sechzigerjahre; die studentische Reformbewegung im Vorfeld des Prager Frühlings 1968; die 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking blutig niedergeschlagene chinesische Demokratiebewegung; die Ende der Neunzigerjahre gegen die Milosević-Diktatur gerichtete serbische Oppositionsbewegung Optor, die 2004 zum Vorbild der „Orangen Revolution“ in der Ukraine wurde; die Georgische Studentenbewegung (Kmara), die entscheidenden Anteil an der Rosenrevolution 2003 hatte.

Verfasst von:
Roland Detsch

(© cpw)