Osmanenherrschaft
Von Arabern und Spaniern, die Teile des
Binnenlandes und die nordafrikanische Küste besetzten, gleichermaßen
in Bedrängnis gebracht, verbündeten sich die Korsaren mit den
Osmanen, die 1574 die Herrschaft der Hafsiden beendeten. Für den
Schutz der Statthalters in den osmanischen Provinzhauptstädten
sorgten Elitetruppen der Janitscharen, die im 17. Jahrhundert immer
eigenmächtiger wurden und zusammen mit den Korsaren eigene Herrscher
einsetzten, die den Titel Dey trugen. In Tunis wurden die Deys
bereits 1640 wieder von den osmanischen Muradiden-Beys abgelöst. Der
„Bey von Tunis“, Hussein ibn Ali, begründete 1705 die Dynastie der
Husseiniden (bis 1957), unter denen Tunesien weitgehend Autonomie
genoss. Es erlebte eine Blütezeit und stieg unter Hammouda Bey (1782
– 1814) zur Regionalmacht auf. Wesentlichen Anteil am Wohlstand des
Landes hatten die arabischen Morisken, die sich nach ihrer
Vertreibung aus Spanien in großer Zahl in Tunesien niederließen.
Französisches Protektorat
Parallel zur Kolonisierung Algeriens Mitte des
19. Jahrhunderts sicherten sich die Franzosen in Absprache mit
Großbritannien Tunesien als Interessengebiet. 1881 überquerten
franco-algerische Truppen die Grenze und zwangen den Bey am 12. Mai
Frankreich als „Schutzmacht“ anzuerkennen. Die Herrschaft der
Franzosen, die sich den Bey als formalen Regenten zur Marionette
machten, hatte tiefgreifende politische und sozioökonomische
Veränderungen zur Folge. Die Protektoratsverwaltung sorgte für eine
moderne Infrastruktur und lockte europäische Siedler ins Land. So
führten etwa die Aneignung und Ausbeutung des Bodens und der
natürlichen Ressourcen zum Nutzen des französischen Mutterlandes
einerseits und die Einfuhr industrieller Massenwaren andererseits zu
Landflucht und Niedergang des traditionellen Handwerks. Soziale
Probleme und Ausgrenzung von der politischen Teilhabe führten zu
wachsendem Unmut unter den Tunesiern, die sich 1911 erstmals gegen
die fremden Machthaber erhoben.
Nationale Bewegung
Der aufkeimende Nationalismus fand in der
Bewegung der „Jungtunesier“ Ausdruck. Der Wunsch nach
Selbstbestimmung manifestierte sich schließlich in der Gründung
verschiedener nationalistischer und religiöser politischer
Gruppierungen, die sich 1920 zur gemäßigten Destour
(Verfassung) vereinigten. Aktiven Widerstand in Form von teilweise
blutig niedergeschlagenen Streiks leistete zuerst die 1925
gegründete Confederation Generale des Travailleurs Tunisiens
(CGTT), die das verelendete Stadtproletariat vertrat. 1934 ging aus
einer Abspaltung der Destour die wesentlich radikalere Partei
Néo-Destour hervor. Mitbegründer war Habib Bourguiba, der für
seinen Unabhängigkeitskampf Unterstützung im Ausland suchte. Er
unterhielt gute Kontakte zu sozialistischen, kommunistischen und
ultranationalistischen Organisationen in Frankreich und anderen
Teilen des französischen Kolonialreiches und wurde mehrfach
verhaftet.
Unabhängigkeit
Tunesien war im Zweiten Weltkrieg jahrelang
Schauplatz des Wüstenkrieges zwischen Deutschen, Italienern und den
Alliierten, der Zehntausenden Einheimischen das Leben kostete und
das Land völlig ruinierte. Verschlimmert wurde die Lage durch
Hungersnöte infolge der Dürrejahre 1945 und 1947. Obwohl Frankreich
Tunesien zwischenzeitlich Teilautonomie innerhalb der Französischen
Union zuerkannt und Einheimische an der Regierung beteiligt hatte,
nahmen die Spannungen zu. Nach der Ermordung tunesischer
Oppositionspolitiker entluden sie sich 1952 in offener Gewalt.
Streiks, Sabotageakte und Anschläge der tunesischen
Untergrundbewegung wurden von den französischen Besatzern mit
militärischen Mitteln geahndet, die Hunderte Todesopfer forderten.
Erst der priorisierte Algerienkrieg brachte Frankreich zum
Einlenken. Versuchte die Regierung in Paris ihr Protektorat am 3.
Juni 1955 noch durch das Zugeständnis einer erweiterten Autonomie zu
halten, sah sie sich am 20. März 1956 doch gezwungen, es in die
Unabhängigkeit zu entlassen.
Aus den ersten Wahlen zur Nationalversammlung
am 25. März 1956 ging die Néo-Destour-Partei mit großer
Mehrheit als Sieger hervor. Am 25. Juli 1957 wurde der Bey, der
inzwischen den Königstitel angenommen hatte, abgesetzt und der
Übergang von der Monarchie zur Republik durch die Ernennung von
Präsident Habib Bourguiba zum Staats- und Regierungschef vollendet.
Die Entlassung der Franzosen aus dem
Staatsdienst löste einen Massenexodus europäischer Fachkräfte aus,
der die Wirtschaft stark belastete. Die neue Regierung trennte Staat
und Religion, ersetzte die Scharia durch ein bürgerliches Recht und
leitete politische und wirtschaftliche Reformen nach westlichem
Vorbild ein, womit sie sowohl bei den traditionsverhafteten Muslimen
als auch bei linken Gewerkschaftern Unmut hervorrief. Der
Popularität des autoritär regierenden Präsidenten tat dies jedoch
nur wenig Abbruch. Nachdem am 1. Juni 1959 die erste Verfassung der
tunesischen Republik in Kraft getreten war, wurde Bourguiba am
8. November ohne Gegenkandidat im Amt bestätigt, und seine
Néo-Destour-Partei eroberte sämtliche Sitze in der
Nationalversammlung.
Konflikte mit Frankreich
Mehrmalige Grenzverletzungen durch die
Franzosen bei der Verfolgung algerischer Rebellen belasteten
unterdessen seit 1957 die Beziehungen Tunesiens mit seiner
ehemaligen Schutzmacht. Sie weiteten sich zu einer ernsthaften Krise
aus, als französische Kampfflugzeuge 1958 das tunesische Dorf Sakiet
Sidi Youssef (heute Saqiyat Sidi Yusuf) angriffen und 68 Zivilisten
töteten. Nach einer Phase der Entspannung, in der sogar ein Abkommen
über Technologietransfers aus Frankreich unterzeichnet wurde, kam es
1961 zu einer erneuten Konfrontation. Ausgelöst wurde sich durch die
Weigerung der Franzosen, ihren Marinestützpunktes in Bizerte zu
räumen. Am 19. Juli 1961 sprengten französische Truppen einen
Belagerungsring, den tunesische Streitkräfte um den Stützpunkt
gezogen hatten, und töteten bei Kämpfen 1300 Tunesier. Beide Seiten
akzeptierten zwar einen Waffenstillstand, den der UN-Sicherheitsrat
per Resolution am 22. Juli gefordert hatte, doch die Franzosen
ließen sich mit ihrem endgültigen Truppenrückzug aus Bizerte noch
mehr als zwei Jahre Zeit.
Wirtschaftswunder und innenpolitische Krise
Wirtschaftspolitisch experimentierte die
Regierung Bourguiba in den sechziger Jahren mit Reformen, die
deutliche sozialistische Züge trugen. Im Mai 1964 beschloss die
Nationalversammlung die Enteignung ausländischer – das hieß
überwiegend französischer – Grundbesitzer, die in Tunesien insgesamt
300 000 Hektar Land besaßen. Als Frankreich Tunesien 1964 die
finanzielle Unterstützung entzog, stürzte das Land in eine schwere
Wirtschaftskrise.
Bei den Wahlen vom November 1964 trat die
Néo-Destour-Partei unter neuem Namen als Parti Socialiste
Destourien an. Abermals sicherte sie sich sämtliche Sitze in der
Nationalversammlung, und Präsident Bourguiba erhielt ohne
Gegenkandidat 96 Prozent der Stimmen. Ein ähnliches Ergebnis
brachten die Wahlen im November 1969, in deren Vorfeld sich
Bourguiba durch Verfassungsänderung eine dritte Amtszeit gesichert
hatte. Unterdessen verabschiedete sich die Regierung vom Sozialismus
und steuerte von nun an einen wirtschaftsliberalen Kurs nach
westlichem Vorbild. Ihr 1972 aufgestellter Zehnjahresplan sah unter
anderem eine Dezentralisierung der Industrie und die Förderung des
Tourismus vor. Nicht zuletzt die Ausbeutung von Erdölvorkommen
bescherte Tunesien einen wirtschaftlichen Aufschwung – und Bourgiba
in Anerkennung seiner Leistungen im März 1975 die Ernennung zum
Präsidenten auf Lebenszeit.
Doch Mitte der siebziger Jahre beendete eine
Rezession das tunesische Wirtschaftswunder. Steigende
Arbeitslosenraten führten zu Streikwellen. Unruhen unter den
Studenten und Bauern verschärften die Lage, und ab 1978 kam es immer
wieder zu blutigen Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften. Die
Regierung reagierte mit zunehmender Härte gegen oppositionelle
Kräfte. Eine Verdoppelung der bis dahin stark subventionierten
Grundnahrungsmittel führte 1984 zu landesweiten Protesten, die mit
Hilfe des Militärs blutig unterdrückt wurden.
Verhältnis zu den arabischen Staaten
Im Verhältnis zu den arabischen Staaten fuhr
die tunesische Regierung von Anfang an einen Schlingerkurs.
Am 1. Oktober 1958 trat sie der Arabischen Liga bei, die sie
aufgrund von Differenzen mit dem nasseristischen Ägypten im November
aber schon wieder verließ. In den sechziger Jahren suchte Tunesien
die Annäherung an die anderen Maghrebstaaten Algerien und Marokko
und wirkte an der Bildung des Maghreb Permanent Consultative
Committee mit, das sich für eine bessere regionale Kooperation
in Nordafrika einsetzte.
Nachdem Tunesien zwischenzeitlich auch engere
Kontakte mit dem arabischen Osten und insbesondere Ägypten pflegte,
verschlechterten sich die Beziehungen zum arabischen Lager, als
Bourguiba 1965 für ein Übereinkommen mit Israel auf der Grundlage
der UN-Resolution von 1947 eintrat. Die Differenzen nahmen weiter
zu, als Tunesien seine Beziehungen zu Ägypten wieder abbrach und die
Arabische Liga boykottierte.
Als Bourguiba im jemenitischen Bürgerkrieg
1966 Partei für die Royalisten ergriff, machte er sich Saudi-Arabien
zum Freund, zog sich aber die Feindschaft Ägyptens zu. Dies änderte
sich wieder, als er im sich verschärfenden Nahost-Konflikt 1967 eine
anti-israelische und proarabische Haltung einnahm.
1982 gewährte Bourguiba dem PLO-Führer Jasir
Arafat und einigen Hundert seiner Anhänger, die den Libanon
verlassen mussten, sogar Asyl. Die Beziehungen zu Libyen
verschlechterten sich 1985, nachdem das Nachbarland aufgrund
wirtschaftlicher Schwierigkeiten 30 000 tunesische Gastarbeiter
entlassen hatte, die in der Heimat den darniederliegenden
Arbeitsmarkt zusätzlich belasteten.
Jasmin-Revolte
Die anhaltenden wirtschaftlichen
Schwierigkeiten und die sozialen Spannungen führten 1987 zur so
genannten „Jasmin-Revolte“. Einen Monat nach seiner Ernennung zum
Ministerpräsidenten nutzte der ehemalige General und Sicherheitschef
des Präsidenten, Zine el-Abidine Ben Ali, die allgemeine
Unzufriedenheit zum Staatsstreich und erklärte den seit 30 Jahren
regierenden greisen Bourguiba wegen Amtsunfähigkeit am 7. November
1987 für abgesetzt.
Mit populären Maßnahmen wie der Amnestierung
politischer Gefangener, der Legalisierung der meisten
Oppositionsparteien und der Wiederherstellung der Pressefreiheit
bescherte Ben Ali seiner Partei, dem Rassemblement
Constitutionnel Démocratique (RCD), bei den ersten freien Wahlen
seit der Unabhängigkeit im April 1989 trotz Konkurrenz sämtliche
Sitze im Parlament. Er selbst wurde ohne Gegenkandidat im Amt des
Präsidenten bestätigt.
Trotz der rigorosen Unterdrückung des
islamischen Fundamentalismus, dem durch gezielte politische und
soziale Reformen zudem der Nährboden entzogen wurde, behauptete sich
Ben Ali mit seiner Partei auch bei den Wahlen 1994 und 1999
deutlich. Mit großer Mehrheit stimmte die Bevölkerung im Mai 2002 in
einem Referendum einer Verfassungsänderung zu, die es Ben Ali
erlaubte, bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2004 ein viertes
Mal anzutreten. Mit 94,5 Prozent der Stimmen erreichte er sein bis
dahin schlechtestes Ergebnis. Von den drei Mitbewerbern galten zwei
als regimetreu; der dritte und einzige oppositionelle Kandidat kam
auf nicht einmal 1 Prozent der Stimmen. Aus den gleichzeitig
abgehaltenen Parlamentswahlen ging Ben Alis RCD mit 152 der
insgesamt 189 Mandate als absolut stärkste Partei hervor. Der
Opposition wurde von vornherein ungeachtet des tatsächlichen
Wahlergebnisses ein Fünftel der Sitze garantiert, was – wie das
vergleichsweise „schlechte” Wahlergebnis Ben Alis – als Zeichen für
eine gewisse Demokratisierung gewertet wurde.