Der Beitrag wurde im Auftrag des
Goethe-Instituts verfasst, das jedoch dem Druck einflussreicher
evangelikaler Kreise nicht standhielt und ihn kurz nach
Veröffentlichung wieder von ihrer Website nahm...*
Zeugen der
göttlichen Wahrheit
Christlicher Fundamentalismus in Deutschland
Von
Roland
Detsch
Christlicher Fundamentalismus,
zumal wenn er politisch motiviert sein soll, wird gerne
unterschätzt. Vor allem die Präsidentschaft des „wiedergeborenen
Christen“ George W.
Bush
hat in Deutschland das Phänomen als solches überhaupt erst ins
öffentliche Bewusstsein gerückt. Dabei trägt der missionarische
Eifer der Evangelikalen aus den USA auch hierzulande längst Früchte.
Wer bei „Fundamentalismus“
allein an eifernde Mullahs oder islamistische Gotteskrieger denkt,
befindet sich im Irrtum. Desgleichen wer angesichts von
Piusbruderschaft, Opus Dei oder Opus Angelorum einzig die
katholische Kirche des christlichen Konservativismus verdächtigt.
Auch wenn die Geistlichen zivil erscheinen, heiraten dürfen, Frauen
in Amt und Würden kommen, Gotteshäuser und Ritus profan wirken, ist
der uneinheitliche Protestantismus die wahre Heimat christlicher
Fundamentalisten. Allen voran der Evangelikalen, die sich als seine
Speerspitze verstehen. Ihre Tummelplätze sind die Freikirchen aber
auch die evangelischen Landeskirchen, denen sich fast jeder zweite
der geschätzten 1,4 Millionen zugehörig fühlt.
Kritiker unter Beschuss
Wirkten die Evangelikalen
bislang auffällig unauffällig, so machten sie zuletzt gleich
mehrmals ungewöhnlich deutlich auf sich aufmerksam. Einmal im
Zusammenhang mit einem kritischen Beitrag über evangelikale
Jugendmissionare in der Zeitschrift gegen Rechtsextremismus und
Rassismus Q‑rage, von der eine Million Exemplare an 20 000 Schulen
verteilt wurden. Die Nennung der Evangelikalen in einem Atemzug mit
Islamisten im Editorial brachte den Leiter der Bundeszentrale für
politische Bildung, Thomas Krüger, derart in die Bredouille, dass er
sich zuletzt öffentlich von seinem Schreiben distanzieren musste, um
sein Amt zu behalten.
Das andere Mal im Zusammenhang
mit zwei Undercoverreportagen über die evangelikale „Jugend mit
einer Mission“ (JMEM), zuerst im ZDF-Magazin Frontal 21 („Sterben
für Jesus – Missionieren als Abenteuer“), zuletzt am 8. Oktober 2009
im ARD-Magazin Panorama („Sterben für Gott?“). Sie riefen den
Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Jochen
Bohl, auf den Plan, der erst ungerechtfertigte Meinungsmache am Werk
sah, um später dann bedauernd zurückzurudern.
Organisatorisches Netzwerk
Als Urheber beider Kampagnen
gilt die Deutsche Evangelische Allianz (DEA), Dachverband von 342
überregionalen Werken und 1 105 lokalen Gruppen in der gesamten
Republik. Diese Unterorganisation der in Seattle ansässigen World
Evangelical Alliance steht nach eigner Darstellung „unverkürzt zu
den Heilstatsachen der Bibel und bekennt sich zur ganzen Bibel als
Gottes Wort, ohne sich an eine bestimmte Inspirationslehre zu
binden“.
Zu den 19 namentlich genannten
Werken und Einrichtungen der DEA gehören die Koalition für
Evangelisation („Lausanner Bewegung“ Deutschland), die
Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen, der Arbeitskreis für
evangelikale Missiologie, die Christliche
InterNet-Arbeitsgemeinschaft, der Christliche Medienverbund KEP, das
Christliche Nachrichtenportal idea und der Sender ERF Medien. Die
DEA betreibt darüber hinaus ein eigenes Institut für Islamfragen,
das nach eigener Darstellung „sachlich-wissenschaftliche Forschung
und Informationen zum Thema Islam aus christlicher Perspektive vor
dem Hintergrund der besonderen Ereignisse unserer Zeit“ bietet. Über
einen gleichnamigen Verein ist sie Veranstalter des Christival.
Diese als „Motivationskongress“ bezeichnete Großveranstaltung
richtet sich explizit an jugendliche „Christen aus allen Gemeinden
und Kirchen, die mithelfen wollen, dass auch die nächste Generation
in Deutschland, Europa und darüber hinaus die Botschaft von Jesus
vernehmen kann“.
Missionare gegen die
Moderne
Das Christival findet in
unregelmäßigen Abständen statt. Zuletzt Ende April 2008 mit 16 000
Teilnehmern in Bremen, bestens in Erinnerung wegen eines Eklats, für
den der Grünen-Politiker Volker Beck mit Angriffen auf die
Schirmherrin Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) sorgte.
Der Anlass: zwei Seminare auf der Agenda, in denen es um Abtreibung
als Mord sowie die Therapiebedürftigkeit von Homosexualität ging.
Womit sich Beck wiederum Schelte von Bischof Wolfgang Huber
einhandelte. Der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche
Deutschlands (EKD), der in seiner Amtszeit die Evangelikalen wie
kein anderer vor ihm hofierte, verteidigte im Vorfeld seines Besuchs
das Christival samt Veranstalter vehement gegen
Fundamentalismusvorwürfe. „Evangelikal und fundamentalistisch
gleichzusetzen widerspricht meiner Lebenserfahrung. Genauso wie es
falsch ist, bei Evangelikalen an Neuimporte aus Amerika zu denken“,
so der evangelische Theologe und Lutheraner. „Was man heute als
evangelikal nennt, ist vor allem im Pietismus verankert.“
Dabei sind die deutschen
Evangelikalen ganz zweifelsfrei mit der sogenannten „Religiösen
Rechten“ in den USA verflochten, die sich unverhohlen zum
christlichen Fundamentalismus bekennt. Ja für deren
Moralvorstellungen und Frömmigkeit dieser inzwischen relativ
beliebig verwendete Begriff überhaupt erst geprägt wurde. In
Anspielung auf eine gegen neue naturwissenschaftliche und
philosophische Erkenntnisse gerichtete Schriftenreihe mit dem Titel:
„The Fundamantals: A Testimony to the Truth“, welche übrigens der
Berliner Politikwissenschaftlerin Katja Mertin zufolge von
religiösen Nationalisten im Ersten Weltkrieg auch zur Stimmungsmache
gegen „German Kultur“ als Symbol für Modernismus, Gottlosigkeit und
Verfall instrumentalisiert wurde.
Apokalyptischer Kampf
Religion gebe dem
antimodernistischen „Kampf eine höhere Weihe und erlaubt es den
Fundamentalisten, sich als Helden in einem apokalyptischen Kampf zu
verstehe“, meint der Religionssoziologe Martin Riesebrodt. „Von der
Geburt bis zum Tod, von den intimsten zu den öffentlichsten Seiten
der menschlichen Existenz haben Religionen Ideologien und Praktiken
parat, die dem einzelnen in Krisensituationen zur Verfügung stehen
und die aufgrund ihrer Tradition und Sakralität oft einen
Vertrauensvorsprung vor allen säkularen Alternativen genießen, so
Riesebrodt weiter. „Fundamentalistische Milieus sind nicht zuletzt
aus diesen Gründen oftmals erfolgreich darin, die Lebenswelt ihrer
Anhänger kognitiv, emotional und praktisch neu zu ordnen, ihnen eine
neue soziale Identität zu verleihen und dabei zu helfen, Würde und
Selbstachtung wiederzuerlangen.“
Links:
Evangelische Allianz
Deutschland (EAD)
Christival 2008 –
Informationen
Beiträge von Martin Riesebrodt und Katja Mertin in
„Fundamentalismus. Politisierte Religionen“, hrsg. v. Kilian
Kindelberger
EKD-Weltanschauungsbeauftragter Reinhard Hempelmann:
„Evangelikale sind keine Fundamentalisten“
Grundwerte der „Jugend
mit einer Mission“ (JMEM)
*... Es begann wie so oft
mit einer koordinierten Leserbrief-Kampagne und gipfelte zuletzt in
einem Schreiben des Rechtsanwaltsbüros des CSU-MdB Peter Gauweiler,
bei dem Wolfgang Baake, Beauftragter der Evangelischen Allianz am
Sitz des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung, in der
Causa vorstellig geworden war. Unter Hinweis einer möglichen
Diffamierung einiger Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die
der Allianz angehören (namentlich Volkmar Klein, Frank Heinrich,
Johann Selle und nicht zu vergessen CDU-Generalsekretär Hermann
Gröhe), hatte er sich über die Verunglimpfung seiner
Glaubensbrüder bei Gauweiler (CC: Volker Kauder und Hans-Peter
Friedrich) beschwert, der daraufhin das GI um Stellungnahme bat. Der
Fall endete mit einer förmlichen Entschuldigung, der
Rücknahme des Artikels, der Schuldzuweisung an den Autor und der
Ankündigung, das Thema alsbald in "differenzierterer
Darstellungsweise neu aufzugreifen", wozu es freilich niemals
gekommen ist.
|