Zum Teufel mit Darwin

Kreationismus in Deutschland

Von Roland Detsch

Laut einer aktuellen Umfrage glaubt jeder fünfte Deutsche, dass der Mensch von Gott erschaffen wurde. Zu den skurrilsten Gegnern der Darwinschen Evolutionslehre gehören die Kreationisten, die sich als weiterer kultureller Import aus den USA auch in Deutschland breit gemacht haben. Sie nehmen die biblische Schöpfungsgeschichte wörtlich oder stilisieren das Leben zumindest zum zielgerichteten Intelligent Design einer höheren Macht.

Sphärische Klänge, Fanfaren und Choräle wabern. Der Blick schweift über eine sterile Landschaft, in der sich märchenhafte Gebäude erheben. Eingerahmt von einem überdimensionalen Schneckenhaus, einer gigantischen Weltkugel, einer gewaltigen Blüte und einem monströsen Kubus, die die Schöpfung, die Sintflut, den Geist Christi und das Jüngste Gericht symbolisieren sollen, liegt wie ein Flugzeugträger der kolossale Leib einer hölzernen Arche. Hinter allerlei Palästen und Tempeln ragt der Rohbau des Turms zu Babel in den Himmel. Rechts und links ein glasüberdachter Garten Eden und ein römisches Amphitheater, dazwischen Kinos, die Altstadt von Jerusalem und Henoch, Park- und Wasserlandschaften mit Himmel- und Hölle-Bahn. Genesis-Land prangt in gemeißelten Lettern auf dem steinernen Portal, über das sich ein bunter Regenbogen spannt.

Noch ist dieses biblische Disneyland nichts als ein Phantasiegebilde, dem Hirn von Gian-Luca Carigiet entsprungen und von Computern in 3D animiert. Doch für den frommen Schweizer Unternehmensberater ist die Realisierung nur noch eine Frage der Zeit. Die Finanzierung des rund 200 Millionen Euro teuren Projekts, hinter dem der kreationistische Verein ProGenesis steht, scheint gesichert. Was fehlt, ist ein geeignetes Areal für den 500 000 Quadratmeter großen Erlebnispark. Seit sich die ursprünglichen Pläne zur Errichtung im Rhein-Neckar-Raum zerschlagen haben, stehen die Großräume Berlin und München im Fokus der Genesis-Land AG mit Sitz in Vaduz.

Zu Fall gebracht hat die als „Zeitreise durch die Geschichte der Menschheit von der Schöpfung bis zur Vollendung“ konzipierte Anlage, die den „Plan Gottes mit den Menschen“ erlebbar machen will, massiver Widerstand der evangelischen Landeskirche von Baden-Württemberg. „Ein solches Projekt steht uns bei der Vermittlung des Glaubens nur im Weg“, meint ihr Weltanschauungsbeauftragter Hansjörg Hemminger und beruft sich auf die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD); in einer „Orientierungshilfe“ hatte sie im April 2008 klare Grenzen zum Kreationismus gezogen und ihn – gemeinsam mit dem „neuen Atheismus“, der den biblischen Schöpfungsglauben bekämpft – als„Irrweg“ verdammt.
 

Schönheit der Schöpfung
 

Eine Ambivalenz, die typisch ist für den deutschen Protestantismus. „Wir sind von der Schönheit der Schöpfung tief bewegt und beeindruckt und sprechen gemeinsam mit den Menschen jüdischen Glaubens den ersten Vers des Buches Genesis: ‚Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.’ ER ist der Ursprung und Urgrund der Welt! ER rettet und erlöst, schafft und regiert.“ So heißt es etwa in einer Erklärung von Peter Jörgensen, dem Beauftragten der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) am Sitz der Bundesregierung.

Als Sprecher von 14 reformatorischen Gemeinschaften mit 260 000 Gläubigen, die fern von der Staatskirche ein „Priestertum aller Glaubenden“ praktizieren, sah sich der Baptistenpastor bemüßigt, sich vom Fundamentalismus der US-amerikanischen Evangelikalen zu distanzieren, der in den letzten Jahren über den Atlantik geschwappt ist. Dass er sich dennoch zum Sprachrohr ihres kreationistischen Gedankengutes und ihrer bildungspolitischen Forderungen macht, ficht ihn nicht an. „Vertreter der Evolutionstheorie, aber auch des Intelligent Design und auch Anhänger des Kreationismus haben nebeneinander ihren Platz in den Freikirchen“, heißt es bei Jörgensen. „Als VEF sind wir der Meinung, dass es unangemessen ist, aus religiöser Haltung heraus die Wissenschaften zu diskreditieren. Jedoch reklamieren wir auch, dass es umgekehrt ebenso unangemessen ist, für wissenschaftliche Überzeugungen eine areligiöse Haltung zur Vorbedingung zu machen.“
 

Deutungsrahmen der Bibel

Dass die Freikirchen wohl nicht zu unrecht im Verdacht kreationistischer Umtriebe stehen, belegt die Website des Verbandes Evangelischer Bekenntnisschulen (VEBS). Bundesweit 70 an der Zahl unterrichten sie derzeit 25 000 Schüler und finden dabei auch bei vielen unreligiösen Familien aus der Mittelschicht Anklang. Ihre Lehrer, die nach eigenem Bekunden „bewusste Christen sind und durch die Glaubwürdigkeit ihrer eigenen Jesusnachfolge überzeugen“, sind gehalten, den zu vermittelnden Stoff „ganzheitlich am Deutungsrahmen der Bibel“ zu orientieren. VEBS-Generalsekretär Berthold Meier ist überzeugt, dass eine Schule, deren Bekenntnis den Glauben an die Schöpfung durch Gott enthalte, geradezu gegen die staatlichen Genehmigungsvoraussetzungen verstoßen würde, wenn sie die offenen Fragen der Evolutionstheorie nicht behandelt und keine schöpfungstheoretischen Alternativen diskutiert.

Dies äußerte Meier in einem Interview mit dem „prochristlichen Magazin“ Factum. Chefredakteur Rolf Höneisen macht den Darwinismus gleich in Bausch und Bogen für den verhängnisvollen Abfall vom Glauben verantwortlich: „Offensichtlich ist, dass die Evolutionstheorie eine Entstehung der Welt ohne einen Schöpfer denkbar machte. Das hatte gleichzeitig einen Einfluss auf Ethik und Moral in der Gesellschaft. Der Einfluss des Christentums begann zu schwinden.“ Zu den Stammautoren der Schweizer Zeitschrift gehört auch Werner Gitt, ehemals Direktor des Fachbereichs Informationstechnologie der Abteilung für Wissenschaftlich-Technische Querschnittsaufgaben innerhalb der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Als eifriger Streiter für den Kreationismus engagiert sich der ehrenamtliche Älteste der Evangelisch-Freikirchlichen (Baptisten‑)Gemeinde Braunschweiger Friedenskirche unter anderem für das Missionswerk Bruderhand des selbst ernannten Evangelisten Wilhelm Pahls. Vor allem aber für die so genannte Studiengemeinschaft Wort und Wissen, die als Tummelplatz für Anhänger des Intelligent Design gilt, einer wissenschaftlich verbrämten Variante des Neokreationismus.

Gegen den Evolutionismus

Attraktiv macht diese Organisation, dass ihre prominentesten Vertreter allesamt aus Naturwissenschaften und Technik stammen. Zu den schillerndsten Figuren zählt dabei Siegfried Scherer, seines Zeichens Professor für Mikrobielle Ökologie am Department für Grundlagen der Biowissenschaften des Wissenschaftszentrums an der Technischen Universität München in Freising-Weihenstephan. Zusammen mit dem in Theologie promovierten Biologie- und Mathematiklehrer Reinhard Junker hat Scherer Evolution – ein kritisches Lehrbuch geschrieben. Wie Creatio, das Lehrbuch zur Schöpfungslehre des Diplombiologen Alexander vom Stein gehört es zur Unterrichtslektüre in Bekenntnisschulen.

Der mehrfach ausgezeichnete Wissenschaftler mit Forschungsschwerpunkten in der Taxonomie und Evolution hat nie einen Hehl aus seiner religiösen Gesinnung und seiner kritischen Einstellung zum Darwinismus gemacht. „Als Biologe bin ich der Überzeugung, dass Kernprobleme der Evolutionstheorie bisher nicht gelöst wurden“, so Scherer. „Ich finde es einigermaßen verblüffend, dass es Evolutionsbiologen gibt, die eine grundlegende naturwissenschaftliche Kritik an der Evolutionstheorie kategorisch ablehnen.“ Sein Verdikt: „Diese, wie auch immer motivierte, Ausblendung von Argumenten trägt ideologische Züge. Die Evolutionstheorie wird in diesem Fall zum Evolutionismus und wird faktisch nicht nur in den Rang der Unfehlbarkeit, sondern auch in den Status der Unantastbarkeit erhoben.“

Links:

Erlebnispark Genesis-Land

EKD-Orientierungshilfe: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule

Evolutionslehrbuch contra Kreationismus

Studiengemeinschaft Wort und Wissen

Kreationistische Plattform Genesisnet

Prof. Dr. Siegfried Scherer

Prof. Dr. Werner Gitt

Verband Evangelischer Bekenntnisschulen (VEBS)

Vereinigung Evangelischer Freikirchen


Dieser Artikel oder eine Version erschien erstmalig auf der Website des Goethe-Instituts e.V. unter www.goethe.de...>>weiter

 

Mai 2009 (© cpw Medien- und Publikationsdienste)