Kulturrevolution im Journalismus
Wie das Internet eine
ganze Branche zum Umbruch zwingt
Von
Roland
Detsch
Print oder Online?
Diese Alternative stellt sich schon längst nicht mehr. Verleger und
Journalisten werden vom Siegeszug des Internets gleichermaßen
überrollt. Crossover lautet das Zauberwort in der Branche, gemeint
ist die crossmediale Aufbereitung von Themen über alle
Verbreitungskanäle. Doch wie das in der Praxis aussehen soll, wie
sich das auf die Qualität der Berichterstattung auswirkt und wie
sich damit Geld verdienen lässt, ist noch nicht entschieden.
Eines steht fest: Die
Medienlandschaft befindet sich im größten Umbruch seit der Erfindung
des Buchdrucks. Schuld ist das Internet, das drauf und dran ist, den
traditionellen Massenmedien im Rekordtempo den Rang abzulaufen.
Besonders
die Printmedien haben unter der Hinwendung breiter, jüngerer
Leserschichten ins Netz zu leiden. Umfragen zufolge fühlen sich dort
viele inzwischen besser informiert als in so mancher Zeitung. Mit
Entlassungswellen und Etatkürzungen wappnen sich unterdessen die von
schrumpfenden Abonnentenzahlen und Werbeumsatzeinbrüchen gebeutelten
Verleger gegen das prognostizierte große Zeitungssterben.
Gleichzeitig haben sie sich mangels greifbarer Gegner in den Tiefen
der webbasierten Social and News Communities, denen sie gerne in
Bausch und Bogen die Professionalität absprechen, auf die Konkurrenz
der Webangebote der gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten eingeschossen. Und der ein oder andere einst
selbstgefällige Gralshüter der „vierten Gewalt“ scheut inzwischen
nicht einmal mehr zurück, auf der Suche nach einem Retter aus der
Not auf den Staat zu schielen.
Zeitungsketten vor dem Aus
Doch während ganze Zeitungsketten vor dem
sicheren Aus stehen, geht es in der Branche zu wie im Tanzcasino der
sinkenden Titanic. Die digitale Revolution sei an sich keine Gefahr
für die Zeitungen, im Gegenteil, erklärte etwa Matthias Döpfner,
Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, zum Auftakt des
Kongresses des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) am
20. September in Essen: „Der Journalismus hat jetzt noch ein paar
zusätzliche Vertriebskanäle zur Verfügung.“ So sieht es auch der
Vorsitzende des Verbandes Bayerischer Zeitungsverleger (VBZV),
Andreas Scherer, der bei den Medientagen in München gut drei Wochen
später von einer Krise nichts wissen wollte: „Die Zeitung ist unsere
cash cow“ – print, online und mobil erreiche sie heute mehr Menschen
denn je.
Mehr Realismus zeigte da schon das diesjährige
World Editors Forum, das Anfang Oktober mit 600 Teilnehmern aus 77
Ländern in Hamburg stattfand. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil
Chefredakteure und Verleger aus den USA, die sich als Avantgardisten
der Kulturrevolution in den Massenmedien verstehen, dort das Wort
führten. „Why mobile distribution will change the News Business”,
lautete das Motto der Tagung, auf der unter anderem die Chancen und
Risiken des iPads für die Zeitungen, die crossmediale Aufbereitung
von Nachrichten mittels Fotos, Videos und Audios, die Bandbreite
möglicher Vertriebskanäle und generelle Möglichkeiten, mit
Internetcontent Geld zu verdienen, erörtert wurden. „Wir werden uns
nicht aus dem Printbereich zurückziehen, aber im Online-Bereich
liegt die Zukunft“, so brachte es Janet Robinson,
Vorstandsvorsitzende der New York Times Company, auf den Punkt, die
sich zuversichtlich zeigte, dass auch im Internet für hochwertige
Inhalte bezahlt werde: „Unsere Leser sind loyal, wenn wir qualitativ
hochwertigen und meinungsbetonten Journalismus machen.“
Berufliche Sinnkrise
Meinungsbetonter Journalismus, dieses
Schlagwort leitet zu der Frage über nach den Auswirkungen der
Revolutionswirren auf die schreibende Zunft. In der Masse ohnehin
nicht mit Spitzensalären verwöhnt, verheißt die zunehmende
Konkurrenz infolge des Personalabbaus bei den Festangestellten für
die Heerscharen von freiberuflichen Lohnschreibern nichts Gutes.
Umso mehr als die vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV) beklagte
zögerliche Umsetzung der neuen verbindlichen Vergütungsregelung in
den Verlagen – sie gehen von Tagessätzen von hochgerechnet 250 Euro
als betriebswirtschaftliches Minimum für Freie aus – alles andere
als hoffnungsfroh stimmt. Noch gravierender könnten sich die zu
erwartenden Veränderungen der Arbeitsbedingungen auswirken.
Die Aussicht, sein Leben künftig als
Internet-Punk fristen zu müssen, um die Aufmerksamkeit von
Auftraggebern zu erregen, oder für ein monetär schwer kalkulierbares
Almosen den großmäuligen Web-Zampano markieren zu müssen, dürfte so
manchen Journalisten, der sich seinen Traumberuf noch in „analogen
Zeiten“ ausgesucht hat, in eine berufliche Sinnkrise stürzen. Denn
glaubt man etablierten Online-Journalisten wie Klaus Jarchow, liegt
genau darin das Erfolgsrezept – oder wie er es selbst im typisch
polemischen Web-2.0-Jargon auf seinem Blog unter dem Titel
„Medienhass“ formuliert: „Es sind vor allem medienkritische Blogs,
die wie Stefan Niggemeier den grassierenden medialen Blödsinn durch
ein gerüttelt Maß an Gegenrecherche aufmischen, bis weit hinein in
das Terrain von ‘Spiegel’ und ‘Stern’. Es sind die blanken
Invektiven eines Don Alphonso oder auch des F!XBRM-Blogs, die eben
nicht vor jedem Öchsperten dienern, nur deshalb, weil der zufällig
einer selbstgegründeten IFO-GmbH oder einer anderen PR-Bude
vorsteht.“
Verbaler Schlagabtausch im Web
Ob sich mit solch potenzierter Meinungsmache,
wie man sie bisher nur von Boulevard- und Kampfblättern kannte, im
Web tatsächlich Geld verdienen lässt, bleibt abzuwarten. Jarchow hat
da keine Zweifel: „Die Frage ist zunächst einmal nicht, wie ein
solcher Journalismus bezahlbar wäre. Im Gegenteil: Gewinnt zuerst
die Leser zurück, durch einen anderen Blickwinkel, durch andere
Themen, durch andere Schlüsse, die ihr zieht, und durch einen guten
Stil. Dann folgt der Rest von allein. Denn der Wirtschaft – sieht
man einmal von den Hard-Core-Ideologen der INSM ab – der geht es nur
um ihre ‘Zielgruppen’, nicht um die Themen. Was ihr also inhaltlich
schreibt, um die ‘relevanten Zielgruppen’ zurückzugewinnen, ist den
smarten Jungs aus den Marketing-Abteilungen ziemlich egal.“
Angesichts dieses rüden Umgangston könnte am
Ende womöglich der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung,
Frank Schirrmacher, Recht behalten, der beim BDZV in Essen mit der
Bemerkung den Vogel abschoss: „Papier wird in der Gesellschaft der
Zukunft ein fast therapeutisches Medium sein, mit dem Menschen sich
aus dieser völlig vernetzten Welt auf eine Insel der
Nachdenklichkeit und der Reflexion zurückziehen.“
Links:
Deutscher Journalisten-Verband
(DJV)
Bundesverband Deutscher
Zeitungsverleger (BDZV)
Verband Bayerischer Zeitungsverleger
World Association of Newspapers
and News Publishers als Veranstalter des
World Editors Forum
Blog von Klaus Jarchow
Dieser
Artikel oder eine Version erschien erstmalig auf der Website des
Goethe-Instituts e.V. unter www.goethe.de...>>weiter
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