Hybris und Nemesis
Ian Kershaws ultimative
Monographie über Adolf Hitler
Von
Roland
Detsch
Das Warten hat sich gelohnt. Mit einem
Jahr Verspätung hat Ian Kershaw sein 1998 erschienenes, viel gelobtes Buch Hitler
1889 - 1936 durch einen zweiten Band ergänzt, der die Jahre 1936 -
1945 behandelt. Auf gut 1000 Seiten (zuzüglich 300 Seiten Anhang)
schildert der britische Historiker den Aufstieg des Diktators zum Zenit der
Macht und seinen jähen Absturz bis zum bitteren Ende im Bunkerlabyrinth unter
der Berliner Reichskanzlei. "Nemesis" lautet der Untertitel des
englischen Originals -- nach der griechischen Rachegöttin, die die Hybris von
Krieg und Holocaust unbarmherzig verfolgt haben würde.
Kershaws grandioses Meisterwerk stellt
eine beträchtlich erweiterte Synthese seiner auch fürderhin unbedingt
lesenswerten Bücher Der NS-Staat, Hitlers Macht und Der
Hitler-Mythos dar. Der international anerkannte NS-Experte, Jahrgang 1943,
besticht dabei einmal mehr durch seine erfrischend unbefangene Sicht der Dinge
bei einem Thema, das gerade für deutsche Kollegen mit einer Vielzahl tückischer
Fußangeln behaftet ist.
Welcher Biograph könnte es sich
hierzulande etwa erlauben, den Initiator des größten Völkermordes nicht als
Monstrum, sondern als Mitleid heischende, tragische Figur darzustellen, die
gefangen in der selbstinszenierten Rolle des sagenumwobenen Führers in
wohlkalkulierter Weltentrücktheit das deprimierende Leben eines einsamen
Wolfes fristete? Wer aus dem Volk der Täter könnte wie Kershaw daran
zweifeln, dass Hitler ein perverser Psychopath war und ihn nur als wirrköpfigen
Sonderling abtun? Wer könnte gar ungestraft den persönlichen Anteil des
Chefideologen des Rassenwahns an den ungeheuren Verbrechen gegen die
Menschlichkeit relativieren und diese als dynamische Exzesse, der um die Gunst
des Führers buhlenden Lehensträger deuten? Ganz zu schweigen vom Aufschrei
der Empörung, wenn ein Deutscher behaupten würde, Hitler habe sich bei
seinen Herrenmenschen-Phantasien vom Auftreten der britischen Kolonialherren
in Indien inspirieren lassen.
Ian Kershaw ist mit seinem monumentalen
Werk über Adolf Hitler der ganz große Wurf gelungen. Er kann nun mit Fug und
Recht beanspruchen, die ultimative Monografie über die unheilvollste Gestalt
der Neuzeit verfasst zu haben.
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