Sein Wille geschehe
Ian Kershaw über die
mörderische Eigendynamik im NS-Staat
Von
Roland
Detsch
Zu den großen Rätseln der deutschen
Geschichte gehört nach wie vor, wie es einem ungebildeten
Stammtisch-Choleriker mit uneinnehmender Physiognomie und fragwürdigem
Lebenswandel gelingen konnte, sich das Volk einer Kulturnation hörig zu
machen und es völlig zu barbarisieren. Diese Frage treibt auch den britischen
Historiker Ian Kershaw um, der in seinem bei dtv inzwischen in zweiter Auflage
erschienenen Buch Hitlers Macht inspiriert von Max Webers Konzept der
"charismatischen Herrschaft" ein scharfsichtiges Profil der
NS-Herrschaft zeichnet.
Kershaw hält nichts von der gängigen Dämonisierung
Hitlers zum modernen allmächtigen Tyrannen und der damit im Grunde
verharmlosenden Reduktion von Tätern und Mitläufern zu Marionetten eines
totalitären "Hitlerismus". Er sieht im "Führer" weniger
den aktionistischen Diktator als den tonangebenden Ideologen -- die "Verkörperung
der Idee" sozusagen --, der seinen "Volksgenossen" und Getreuen
bei ihrer Arbeit im "nationalen Interesse" und zum Nutzen der
"völkischen Erneuerung" und "Rassenhygiene" weitgehend
freie Hand ließ. Das an feudales Vasallentum erinnernde Machtgefüge im
Dritten Reich tat dann ein Übriges, um die mörderische Spirale der
Unmenschlichkeit in Gang zu setzen, die zunehmend an Eigendynamik gewann:
"Die Regierung verkam (...) zu einem monströsen Gebilde rivalisierender
Machtsphären, bei dem die einzelnen Machthaber zur Stärkung und Erhaltung
der eigenen Position bestrebt waren, sich gegenseitig darin zu übertreffen,
'im Sinne des Führers' zu handeln - bei der Umsetzung seiner 'Idee' in die
Praxis." Indem Hitler seine konkurrierenden Paladine und Statthalter an
der langen Leine hielt, sicherte er sich nach der Devise divide et impera
geschickt seine zentrale Stellung im System.
Auch in diesem Buch hebt sich der Autor
von Der Hitler-Mythos und der noch bemerkenswerteren großen Hitler-Biografie
mit seinen Thesen zu Phänomen und Struktur des Nationalsozialismus wohltuend
vom Mainstream ab. Dies mag nicht zuletzt an der Unbefangenheit liegen, die er
sich als Außenstehender bei der Analyse der heiklen deutschen Geschichte
erlauben kann.
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