Wem Ehre gebührt
Richard Sennett über die Behandlung sozial Deklassierter
Von
Roland Detsch
Die Verlockungen des
Paradieses sind es heute kaum mehr, die den US-Amerikaner zur Arbeit
anspornen. Schon eher die Aussicht auf einen neuen Wagen. Diese inbrünstige
Leistungsbereitschaft ist dennoch unschwer als Relikt einer
puritanisch-protestantischen Ethik zu erkennen, welche göttliche
Erwähltheit einst am ökonomischen Erfolg ablas. In einem geistigen
Klima, das seit den Gründervätern den aufrechten Staatsbürger mit
dem arbeitenden Menschen gleichsetzt, haben es sozial Deklassierte
naturgemäß nicht leicht. Die Schande der Armut und der Ruch des
Parasitentums nagen bei so manchem Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger
schwer am Ehrgefühl. Dass diesbezüglich gerade in den unteren
Schichten besondere Sensibilität herrscht, zeigt der Soziologe
Richard Sennett in Respekt im
Zeitalter der Ungleichheit.
„In a World of Inequality“, wie es im Originaltitel treffender heißt, denn
es geht hier weniger um ein epochales Phänomen. Gemeint ist die
Ungleichheit, die sich über die Meinung der Anderen in Kategorien
wie Achtung, Ansehen oder öffentliche Wertschätzung manifestiert.
Ganz im Sinne Rousseaus: „Derjenige, der am besten sang oder
tanzte, der Schönste, der Stärkste, der Gewandteste oder der
Eloquenteste wurde zum Geachtetsten; und das war der erste Schritt
hin zur Ungleichheit und gleichzeitig zum Laster.“ Nicht von ungefähr
beweist der in New York und London lehrende Gesellschaftstheoretiker
viel Einfühlungsvermögen bei der Untersuchung sozialer
Deprivation. Wenn er auf die Diskriminierung durch Mildtätigkeit
und Mitleid aufmerksam macht, wenn er „Sozialhilfe“ zum Synonym
für Demütigung erklärt oder die Degradierung ihrer Empfänger zu
fremdbestimmten Konsumenten der ihnen gewährten Hilfe beklagt,
bewegen Sennett Kindheitserinnerungen. Aufgewachsen in einem
gemischtrassigen Armenghetto Chicagos, aus dem er sich nur dank
besonderer Talente befreien konnte, machte der Bestsellerautor
diesmal eigene Erfahrungen zum Ausgangspunkt seiner Reflexionen.
Nach
viel versprechendem Anfang verliert sich Sennett in seinem
intellektuellen Eifer dabei leider zusehends in soziologischer
Geschwätzigkeit. Er kommt vom Hundertsten zum Tausendsten, bis man
sich fragt: Worauf will der Mann eigentlich hinaus? Dennoch lohnt
die Lektüre.
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