Tagebuch einer Desillusionierung

Christian Simmerts Erfahrungen als grüner Jungabgeordneter im Bundestag

Von Roland Detsch

Bekenntnisse eines Desillusionierten, so könnte das Buch des Grünen-Politikers Christian Simmert überschrieben sein, der 1998 mit jugendlichem Elan in den Bundestag auszog, um nur vier Jahre später aus Sorge vor dauerhaften Rückgratschäden das Handtuch zu werfen. Pünktlich zum Finale der 14. Wahlperiode hat der inzwischen unfreiwillig zum Dissidenten mutierte Westfale gewissermaßen einen Abgesang auf das politische System im Allgemeinen und das rot-grüne Regierungsprojekt im Besonderen vorgelegt. Abgeklärt durch zermürbende Grabenkämpfe und Mobbing, aber im politischen Urteilsvermögen deutlich gereift, macht der 29-jährige Parteilinke am Ende seiner kurzen Parlamentarierkarriere aus seinem Herzen keine Mördergrube.

Assistiert von dem Journalisten Volker Engels übt er beißende Kritik am Bonner und Berliner Polittheater und legt dabei schonungslos Missstände und delikate Interna offen. Wer aus dem Buchtitel folgert, dass es sich hier um eine Generalabrechnung mit Korruption und bösem Wirtschaftslobbyismus handelt, täuscht sich. Freilich kommt dies auch zur Sprache. Etwa im Zusammenhang mit dem windelweichen Atomkompromiss oder der inzwischen gängigen Praxis, Grundsatzentscheidungen nicht mehr von den gewählten Volksvertretern, sondern von Kommissionen aus Interessenvertretern vorbereiten zu lassen. Im Mittelpunkt stehen jedoch die obskuren Beziehungsgeflechte und Kungeleien innerhalb des parlamentarischen Betriebes. Allen voran der grassierende „Regierungslobbyismus“, dessen verheerende Wirkung in der galoppierenden Selbstkorrumpierung der stets um die Machtteilhabe fürchtenden Grünen besonders augenfällig wurde. Simmert zeigt, wie die Regierung Grenzgänger zwischen Legislative und Exekutive (Fraktionschefs, Parlamentarische Staatssekretäre, Minister) instrumentalisierte, um die verfassungsrechtlich eigentlich unabhängigen Parlamentarier in „politische Isolationshaft“ zu nehmen.

Nicht nur sein Tagebuch der Ereignisse im Vorfeld der Vertrauensfrage, mit der Bundeskanzler Gerhard Schröder im Verein mit seinem Vize Joschka Fischer eine Hand voll Pazifisten aus den eigenen Reihen – darunter Simmert selbst – zur Billigung des Anti-Terror-Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan erpressen wollte, liest sich wie ein Politthriller. Ein Buch, das nicht gerade zur Minderung der Politikverdrossenheit beitragen wird.

Christian Simmert, Volker Engels:
Die Lobby regiert das Land
Argon Vlg., Bln. 2002 -- 269 Seiten
Hardcover -- € 19,90
 
(© cpw Medien- und Publikationsdienste)