„Ich brauche kein grünes Männchen“
Das
Millennium klingt mit einem Heiligen Jahr aus. Symbolträchtig fallen dann der
2000. Geburtstag des Heilands und das 1200. Krönungsjubiläum des
allerchristlichsten Kaisers und Einigers Europas -- Karl der Große --
zusammen. Der Privatgelehrte Dr.
Heribert Illig, Jahrgang 1947, Publizist und Herausgeber der
geschichtskritischen Zeitschrift Zeitensprünge, bezweifelt, daß es
sich dabei um "eine glückliche Fügung des Schicksals" handelt. In
seinem Buch Wer hat an der Uhr gedreht? führt er den Nachweis,
daß es sich bei dem scheinbar zufälligen Ereignis um eine teilweise minutiös
geplante Fälschung handelt, daß der gekrönte Herrscher ebenso wie der krönende
Papst und die versammelten Zeitgenossen niemals gelebt haben. Er dokumentiert
dabei einmal mehr, Wie 300 Jahre Geschichte erfunden wurden. Ketzer oder
Scharlatan?
Roland Detsch
unterhielt sich mit dem Autodidakten, der mit seinen Thesen immer wieder die
Fachwelt aus der Fassung bringt.
In
Ihren Büchern
Wann lebten die Pharaonen?
und
Der
Bau der Cheops-Pyramide stellen sie 2000 Jahre altägyptischer
Geschichte in Frage; nun wollen Sie die Uhr der europäischen Geschichte um
300 Jahre zurückdrehen. Fürchten Sie nicht, dass diese merkwürdige Häufung
unerkannter Phantomzeiten der sachlichen und damit auch Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit
schadet?
Was ich
bisher in meinen Büchern publiziert habe, erscheint mir absolut fundiert. Dafür
lege ich meine Hand ins Feuer. Dass es gewaltige Probleme mit den Chronologien
in der Geschichtsschreibung gibt, das lässt sich ja nicht mehr bestreiten. Ob
sie vielleicht in irgendeiner Weise anders gelöst werden können, das wird
die Zukunft zeigen. Wichtig für meine Glaubwürdigkeit scheint mir, dass ich
alles sauber prüfe und nicht alles über einen Leisten schlage. So stelle ich
etwa fest, dass die Zeitfälschung im Mittelalter aus dem Mittelalter selbst
stammt, während die erfundene Zeit in der ägyptischen Geschichte zu einem
Gutteil der Ägyptologie geschuldet ist.
Sie sind ja ein geschichtswissenschaftlich Spätberufener. Was
haben Sie vorher gemacht und wie kam es zur Zäsur in Ihrem Lebenslauf?
Sagen wir, ich bin dem ersten Ruf nicht gefolgt. Obwohl vor dem
Abitur klar war, dass Geschichte und Kunstgeschichte meine Fächer sind, habe
ich mir nach dem Tod meines Vaters einen Brotberuf gesucht. Ich arbeitete 13
Jahre lang als Systemanalytiker in einer Großbank, bis der Wunsch und Drang
zum Absprung übermächtig wurde. Aber ich musste wegen der finanziellen
Unsicherheiten erst dreimal kündigen und mich zweimal zurückholen lassen,
bis ich reif genug war, diesen Schritt zu vollziehen. Damals dachte ich an
einen Ausstieg für fünf Jahre. Inzwischen sind es elf geworden, in denen ich
als freier Autor und Verleger tätig bin. Und an Arbeit mangelt es mir
beileibe nicht. Daneben habe ich meinen Wissensfundus durch zusätzliche
Studien -- etwa der Ägyptologie -- erweitert, um mit gutem Gewissen mitreden
zu können.
Welchen Einfluss hat der Kulturhistoriker Egon Friedell, über den
Sie ja im Fachbereich Germanistik promoviert haben, auf Ihre Motivation?
Friedell ist ein typischer Gegendenker, schreibt ein exzellentes
Deutsch, und er hat Humor und Witz, was unter den Wissenschaftlern ja sonst
nicht verbreitet ist. In seinem eigenwilligen Hauptwerk Kulturgeschichte
der Neuzeit werden einige provokante Thesen aufgeworfen, die mich durchaus
beeindruckt haben. Friedell, der als konvertierter Jude für meinen Geschmack
zwar einem zu antiquierten Bild des Christentums huldigt und deshalb auch nie
geduldet hätte, das religiöse Mittelalter so zu traktieren, wie ich es tue,
hatte durchaus ein Gespür für Unstimmigkeiten. Beispielsweise kam ihm Ägypten,
obwohl es in der Wüste liegt, wie eingefroren vor, weil sich in seiner
Geschichte jahrtausendelang nichts zu tun schien. Er spricht auch von den
Babyloniern als bleiche Doppelgänger ihrer Vorfahren des 3. Jahrtausends.
Diese Blickschärfung war auf jeden Fall sehr wertvoll.
Wie kam es zu Ihrem Faible für die Zeitforschung?
Ich bin 1977 als friedlicher Tourist nach Ägypten gefahren, wo mir
auffiel, dass große Zeiträume der Geschichte archäologisch
schlicht nicht existent sind. Die Erklärung, wonach sich Eroberer
ausgerechnet an den Bauten ausgewählter Dynastien ausgetobt haben sollen, während
sie andere aus älterer Zeit unangetastet ließen, mochte mir überhaupt nicht
einleuchten. Und als ich ein halbes Jahr später eine Rezension der neu
aufgelegten ägyptischen Geschichtsrekonstruktion von Immanuel Velikovsky las,
da hatte ich verstanden. Bis dahin hatte ich die Zeitachse in der Geschichte für
absolut gesichert und unhinterfragbar gehalten. Und da kommt ein
Schriftsteller, der genau dies für nötig erachtete. Das war für mich ein
Schlüsselerlebnis. Doch wo Velikovsky durch seine unkritische Bibelsicht
glaubensbedingt auf halbem Wege liegengeblieben ist, sind Heinsohn und ich
entschlossen weitergegangen.
Was treibt Sie an? Woher schöpfen Sie als Amateurhistoriker das
Selbstbewusstsein, der versammelten Fachwelt mit Ihren grundstürzenden Thesen
die Stirn bieten zu können?
[Lacht] Gute Frage. Man zögert oft, ob man sich eine solche Kritik
erlauben darf. Aber wenn man meint, Ungereimtheiten zu erkennen, und im
Dialog, oder besser gesagt im streitbaren Disput, feststellen muss, dass sich
die Fachgelehrten diese Fragen schlicht noch nie gestellt haben, sagt man
sich: Offenbar weiß ich trotz meines Amateurstatus in der Hinsicht mehr oder
bin zumindest offener. Meine Feuertaufe und einen weiteren Ansporn zu meiner
Arbeit erhielt ich im Januar 1996, als bei einer Radiodiskussion Professor
Rudolf Schieffer, der oberste Hüter der deutschen historischen Urkunden, mir
auf die Frage nach archäologischen Beweisen beschied: "Dazu dürfen Sie
mich nicht befragen. Ich bin kein Kunsthistoriker, ich weiß das nicht, da bin
ich nicht kompetent, dazu gebe ich keine Auskunft." Da merkte ich, was
den typischen Mediävisten auszeichnet. Er bezieht sein Weisheit ausschließlich
aus seinen Urkunden, ohne jemals einen Abgleich mit den mindestens ebenso
wertvollen archäologischen Befunden zu unternehmen. Man hat mir inzwischen
netterweise vorgeworfen, dass sich auch all diese Fragen nicht stellen würden,
die ich stelle, wenn ich nur methodisch korrekt arbeiten würde, womit die
Wissenschaft ihre Scheuklappenmethode einräumt, die das Fragestellen
verhindert, statt es zu fördern.
Wie erklären Sie sich, dass ganzen Legionen von Experten die von
Ihnen postulierten Zeitfälschungen bislang verborgen geblieben sind?
Aus diesem einfachen Grund. Weil sie nur auf die Urkunden fixiert
sind, und eine Korrektur bei dieser Betrachtungsweise nicht möglich ist.
Und aus dem Quellenstudium allein erschließen sich die Fälschungen
nicht?
Nein! Die haben nun 200 Jahre diese Quellen um- und umgewendet. Natürlich
finden sich dort viele Widersprüche. Dass man diese Sachen immer und immer
wieder neu durchkämmt, setzt ja auch viele Wissenschaftler ins Brot. Und man
darf nicht vergessen, dass das Mittelalter ja die Königszeit aller Fälschungen
ist. Das ist längst nachgewiesen und bekannt.
Wie gehen Sie mit der von der Wissenschaft zur Schau getragenen
Geringschätzung um? Ich denke da zum Beispiel an Ihre Thesen zu den Pharaonen
und Pyramiden, die die Ägyptologen ja offenbar nicht einmal für lesenswert,
geschweige denn für diskussionswürdig erachtet haben.
Da muss man eine dicke Haut entwickeln. Bei den Ägyptologen war
die Ablehnung in der Tat extrem. Die haben in diesem Jahrhundert schon einige
Angriffe erlebt und wissen: Da hilft nur Abschotten. Während die Ägyptologen
schweigen, haben die Mediävisten den Fehdehandschuh aufgenommen. Die
Geringschätzung tut ja weniger weh. Aber wenn man als verkappter Neonazi
abqualifiziert wird, wie es der Frankfurter Mediävist Johannes Fried öffentlich
anklingen ließ, oder der Berliner Professor Michael Borgolte vor mir als Gründer
einer pseudoreligiösen Vereinigung warnt, die immer stärkeren
Sektencharakter annehme, dann wird es schon ziemlich massiv. Da werden schwere
Kaliber aufgefahren. Da geht's ans Eingemachte und dementsprechend wird
zugeschlagen. Aber ich werde durchaus auch zu Vorträgen an Universitäten
eingeladen, wie unlängst nach Bremen zu zwei Veranstaltungen, die heillos überfüllt
waren.
Trifft Sie der Vorwurf, Sie seien ein Wichtigtuer und Scharlatan
vom Schlage eines Erich von Däniken, und es gehe Ihnen gar nicht um
wissenschaftliche Ernsthaftigkeit, sondern in Wahrheit nur um
Sensationshascherei zur Auflagensteigerung Ihrer Bücher?
Da lächle ich dann wirklich. Der Verlag stöhnt über die Fülle
von Fußnoten, die ich ihm zumute, was ja bedeutet, dass die Sachen ordentlich
belegt sind. Und selbst die Wissenschaftler müssen zähneknirschend
akzeptieren, dass sie da nichts rausbrechen können. Ich brauche kein grünes
Männchen. Hier steht eine astreine Argumentation, die eben bisher nicht
ausgehebelt werden konnte. Dass gewisse Professoren mich mit Däniken
vergleichen, ist klar, denn sie wollen mich desavouieren.
Ist es mit dem öffentlichen Interesse an Ihren Bücher überhaupt
so gut bestellt? Darf ich fragen, wie sie sich verkaufen?
Das erfundene Mittelalter befindet
sich nun in der neunten Auflage, da kann ich nicht klagen. Aber die
Vorstellung, dass sich jemand durch dieses ganz Material hindurchquält, um
reich zu werden? Da wäre ich als Anlageberater in einer Bank oder dergleichen
sicherlich besser gefahren.
Sie haben 1981 die Gesellschaft zur Rekonstruktion der Natur- und
Menschheitsgeschichte gegründet und geben seit 1988 die Zeitschrift Zeitensprünge
heraus. Was muss man sich darunter vorstellen?
Nach der Neuauflage von Velikovskys Büchern hat sich im Gefolge
seiner kritischen Geschichtssicht damals ein Kreis Gleichgesinnter formiert.
Wir haben einen Verein gegründet, der sich jedoch als Totgeburt erwies. Er
wurde schließlich ersetzt durch eine vierteljährlich erscheinende
Zeitschrift, die sich auf rund 180 Seiten querbeet zu allen möglichen Fragen
chronologischer oder katastrophistischer Natur äußert, sich eben mit diesen
grundsätzlichen Zivilisationsfragen beschäftigt. Seit dreieinhalb Jahren
dominiert das frühe Mittelalter, und es wird die gesamte Diskussion mit den
Gelehrten dokumentiert. Hier habe ich auch einmal das letzte Wort, wenn es mir
ansonsten auch meist verweigert wird. Im Gegensatz zu den Wissenschaftlern bemühe
ich mich ja, Gegenargumente auszuräumen. Inzwischen ist unsere Gemeinde auf
rund 100 Mitstreiter angewachsen, die zu den verschiedensten Themen
geschrieben haben. Das alles ruht also nicht nur in den Gehirnzellen von ein,
zwei Leuten. Es hat eine Basis von Leuten, die sich auch wechselseitig immer
wieder auf die Finger schauen, kontrollieren, unterschiedliche Ansätze
versuchen; und von Zeit zu Zeit entspringt diesen Aktivitäten dann ein Buch.
Offenbar sind Sie also nicht der einzige Geschichtsrevisionist. In
einer Streitschrift zum 16. Berliner Geschichtssalon mussten Sie sich bezüglich
der Mittelalterkürzung ja kürzlich neben anderen Gemeinheiten sogar den
Vorwurf des Plagiats gefallen lassen. Was sagen Sie dazu?
Da steckt Uwe Topper dahinter, der früher ebenfalls in Zeitensprünge
publiziert hat, bis er ohne unseres Wissens ein Buch ausgerechnet bei Grabert,
dem rechtslastigsten Verlag in Deutschland, herausgebracht hat. War das allein
schon peinlich genug, nachdem uns ja der Neonazi-Vorwurf bereits gemacht war,
hat er mich obendrein noch kräftig plagiiert. Seitdem ich mich in meiner
Zeitschrift von ihm distanziert und detailliert aufgezeigt habe, wo er mich überall
bestohlen hat, unternimmt Topper alles, mir böswillig die Prioritäten
abzusprechen.
Welche Überraschungen haben Sie sonst noch auf Lager? Können wir
bald mit neuen Enthüllungen zu weiteren Phantomzeiten in der Geschichte
rechnen?
[Lacht] Ich werde mich hüten, da mit einem "Ja" zu
antworten, sonst untergrabe ich ja meine Glaubwürdigkeit noch mehr. Insofern
werde ich jetzt darauf bestehen, dass alle weiteren Zeiten echt sind. --
Stimmt aber nicht. Eine Enthüllung hat es ja längst gegeben. Ich habe 1988
ein Buch über Die veraltete Vorzeit -- also noch vor Ägypten --
geschrieben. Darin hat sich abgezeichnet, dass die europäische Megalithzeit
viel zu früh angesetzt wird, was mit der unzuverlässigen C-14-Datierung
(Radiokarbon-Methode in der Archäologie zur Altersbestimmung von Gegenständen/Anm.)
zusammenhängt, die ja die Kulturentstehung in ungeahnte Fernen bis ins 8./9.
Jahrtausend getrieben hat. Da gibt's durchaus noch Schlupf, wenn ich so will.
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